Fair Use als Wirtschaftsmotor
Die US-Wirtschaft profitiert in Billionenhöhe von den Fair-Use-Regelungen des amerikanischen Copyrights. Das hat eine Studie des IT-Verbands Computer & Communications Industry Association (CCIA) festgestellt. Damit konterkariert sie diverse Anti-Piraterie-Studien der Medienindustrie, denen zufolge Verstöße gegen das Copyright nur Milliardenschäden verursachen.
Der Studie zufolge verzeichneten Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle auf der Fair-Use-Doktrin und den damit verbundenen Beschränkungen des Copyrights aufbauen, im Jahr 2007 Umsätze in Höhe von 4,7 Billionen US-Dollar (im Original: $4.7 trillion). Im Jahr 2002 waren es erst 3,4 Billionen gewesen.
Der CCIA gehören zahlreiche Schwergewichte der US-amerikanischen IT-Industrie an, von Microsoft über AMD bis hin zu Oracle, Red Hat und Google.
Die Industrien mit Fair-Use-Bezug konnten für die US-Wirtschaft einen Mehrwert von 2,2 Billionen US-Dollar generieren – und hatten damit einen 23-Prozent-Anteil am realen Wirtschaftswachstum in den Jahren 2002 bis 2007. Insgesamt machen Unternehmen, deren Tätigkeit auf ein sorgfältig austariertes Copyright basiert, das auch Ausnahmen zulässt, ein Sechstel des US-Bruttoinlandsprodukts aus. Die Studie richtet sich methodisch nach den von der World Intellectual Property Organization (WIPO) definierten Richtlinien für die Berechnung Copyright-bezogener wirtschaftlicher Aktivitäten.
Ausnahmen für Bildung und Kunst
Die Fair-Use-Doktrin ist ein wesentlicher Unterschied zwischen dem kontinentaleuropäischen Urheberrecht und dem angelsächsischen Copyright. Sie erlaubt, geschütztes Material zu verwenden, wenn das der öffentlichen Bildung und der Anregung geistiger Produktion dient. Das Urheberrecht regelt das im Rahmen des Zitationsrechts.
Die Geschäftsmodelle unzähliger IT-Unternehmen basieren auf dieser Generalklausel. Profitiert hat etwa Google mit seiner Thumbnail-Anzeige in der Bildsuche. Auch das Dekompilieren von Computerprogrammen ist erlaubt, wenn das der Herstellung von Interoperabilität dient. Der Vertrieb von Videorecordern wurde in den USA ebenfalls auf dieser Grundlage für legal erklärt - die US-Filmindustrie hatte in den 1970er und 1980er Jahren im Rahmen des "Betamax-Falls" versucht, den Vertrieb der Geräte zu verhindern.
Grenzfall Google Books
Der Fall Google Books zeigt hingegen auch, dass eine derart offene Regelung es Unternehmen ermöglicht, die legalen Grenzen bis zur rechtlichen Klärung auszureizen. Beobachter sind daher der Meinung, dass unter anderem das flexible Fair-Use-Prinzip die hohe Innovationsgeschwindigkeit amerikanischer Internet-Unternehmen ermögliche. Europäische Unternehmen hätten aufgrund des vergleichsweise strengeren Urheberrechts das Nachsehen.
Die CCIA-Studie jedenfalls richtet sich an den US-Kongress, der zurzeit über eine Verschärfung der Copyright-Gesetzgebung nachdenkt. Sie will den großen Anteil der Industrien an der Volkswirtschaft verdeutlichen, die von den Beschränkungen des Copyrights abhängen – und CCIA-Chef Ed Black warnt daher: "Eine breitere Regulierung wirtschaftlicher Aktivitäten durch das Copyright kann möglicherweise zusätzliche Kreativität unterstützen, sie wird aber bestimmte Arten technologischer Innovation verhindern und Wettbewerb und Meinungsfreiheit unterhöhlen." Es gehe deshalb darum, die "Fair-Use-Wirtschaft" von unbeabsichtigten Folgen einer zu breiten Copyright-Ausweitung zu bewahren.
Zahlen der Medienindustrie infrage gestellt
Die Zahlen der CCIA-Studie stehen jedenfalls in starkem Kontrast zu denen, die die Verfechter strengerer Urheberrechts- und Copyrightgesetze dies- und jenseits des Atlantiks präsentieren: Wie sehr die Kreativwirtschaft unter Urheberrechtsverletzungen angeblich leidet, stellte jüngst erst die Pariser Beratungsfirma TERA Consultants vor.
Demnach erwirtschafte die europäische Kreativindustrie jährlich 862 Milliarden Euro. Durch Urheberrechtsverletzungen bzw. "Piraterie" gingen ihr jedoch zehn Milliarden Euro verloren. Diese Zahlen wurden im Zusammenhang mit der Abstimmung über den Gallo-Bericht im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments genannt. Der amerikanische Musikverband RIAA beziffert den jährlichen Schaden überdies ähnlich hoch auf 12,5 Milliarden US-Dollar.
Strittige Methodik
Kürzlich kam der US-Rechnungshof GAO in einer eigenen Studie zu dem Schluss, dass diese Zahlen zu Copyright-Verstößen bzw. -Piraterie kaum vernünftig begründet werden können. So sei es schwierig, einen Ansatz für die Quantifizierung des – unbestreitbaren – Schadens zu finden, der durch unlizenzierten Tausch von Mediendateien entstehe.
Das US-Fachblog Techdirt stellte angesichts dieser Kritik an den Anti-Piraterie-Studien auch fest, dass die CCIA-Studie dieselbe umstrittene Methodik verwende, gleichwohl sei sie "unglaublich detailliert" und mit Beweismaterial gut unterfüttert. Anfang Juli will CCIA übrigens auch für den europäischen Markt eine Fair-Use-Studie vorstellen.
Urheberrecht und Copyright versöhnen
Weil es hier keine Fair-Use-Doktrin gibt, wird sich diese Studie damit beschäftigen, welche vornehmlich negativen Auswirkungen das auf die europäische Kreativwirtschaft hat. Eine entsprechende Adaption des europäischen Rechts ist jedoch nicht ohne Risiken, meint Reto Hilty, Direktor des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München. Hilty: "Bevor sich solche Rechtsprechung etabliert hat, sind die Risiken für die betroffenen Nutzer allerdings sehr hoch, weil sie keine Rechtssicherheit haben."
Außerdem müsse ein Nutzer erst einmal die Kosten eines Musterprozesses wagen, damit der Richter überhaupt aktiv werden könne. Damit würde jedoch für lange Zeit ein Schwebezustand bestehen. Dieser würde nicht bestehen, wenn der Gesetzgeber das Recht an eine neue Entwicklung anpassen würde. Tut er das nicht, sind aber auch die Gerichte in der Lage, gestützt auf das geltende Recht sog. Richterrecht zu schaffen, also selbst Schranken zu kreieren.
Hilty hat vor diesem Hintergrund gemeinsam mit anderen europäischen Rechtswissenschaftlern einen schlanken European Copyright Code entworfen, der das angelsächsische Copyright mit dem kontinentaleuropäischen Urheberrecht versöhnen soll. Zum einen definiert er einen ausführlichen Katalog von vier Gruppen von Schrankenbestimmungen, zum anderen aber auch eine Art Öffnungsklausel mit einem Dreistufentest, die eine ähnliche Funktion wie Fair Use haben soll.
Mehr dazu in:
(Christiane Schulzki-Haddouti)