Die Ursprünge des ECHELON-Systems
Die von den Militärgeheimdiensten der USA und Großbritanniens veröffentlichten Dokumente zur Gründung des weltumspannenden Funküberwachungssystems UKUSA offenbaren tiefe Einsichten in das bis heute bestehende "besondere Verhältnis" der beiden Staaten. UKUSA ist rein bilateral, nur gegenseitige Wirtschaftsspionage ist ausgeschlossen.
In der vergangenen Woche gaben die Geheimdienste NSA (National Security Agency, USA) und Government Communication Headquarters (GCHQ Großbritannien) eine ganze Serie von Dokumenten frei.
Die ursprünglich als "top secret" eingestuften Verträge zwischen den USA und Großbritannien zum Zwecke der Errichtung eines weltumspannenden Überwachungssystems sind für Militärhistoriker, Politwissenschaftler und Soziologen gleichermaßen interessant.
Die Ursprünge des in den 90er Jahren als ECHELON bekanntgewordenen Systems datieren bis in das Jahr 1940 zurück, als sich die US-Marine und -Armee unabhängig voneinander auf befristete Abkommen mit britischen Aufklärungseinheiten einigten. Ziel waren die Lufthoheit über die militärische Kommunikation auf den Weltmeeren, aber auch zu Lande, vor allem über dem europäischen Kontinent.
Antennen Richtung Osten
Die Zusammenarbeit betraf auch den wohl heikelsten Teil eines derartigen Abkommens mitten in einem Krieg: Man tauschte lange vor dem Kriegseintritt der USA Erkenntnisse über die Verschlüsselungsmethoden des gemeinsamen Gegners aus - auf strikt bilateraler Basis, also ganz geheim.
Bereits gegen Ende des Zweiten Weltkriegs richteten sich die Antennen des im Rahmen des UKUSA-Vertrags begründeteten Überwachungssystems in Richtung Osten, wo sich mit der Sowjetunion ein neuer Feind am Horizont manifestierte.
Praktisch alle Überwachenungsaktivitäten spielten sich während dieser Jahre fast ausschließlich auf den kurzen Wellen ab, deren physikalischen Eigentümlichkeiten diese Überwachungstätigkeit zu einer Art von vernetzter Wellenjagd machten. Die einzelnen Stationen waren weiträumige Antennenparks, die ersten Radome (siehe Bild oben) entstanden erst in den späten 60er Jahren.
Auswahl aus den in letzter Zeit bekanntgewordenen Aktivitäten beider genannter Dienste in den digitalen Netzen Europas.
-Der Tummelplatz der Telekomschnüffler
-Data-Retention: Geheimdienste wollen mehr
-Die Militarisierung des Cyberspace
Die Tücken von SIGINT
Während eine Überwachungsstation wenige hundert Kilometer von einer gegnerischen Signalquelle im toten Winkel lag, konnte eine andere Station dasselbe Signal klar und deutlich 3.000 Kilometer entfernt aufnehmen. Das war die hauptsächliche Aufgabe in den Anfängen des Systems, SIGINT oder Signals Intelligence, das Orten von Feindeinheiten anhand ihrer Funkkomunikation.
Dazu kamen Analysen der Truppenbewegungen sowie die räumliche Suche nach den jeweiligen Kommandozentralen anhand der Häufigkeit und Länge der abgesetzten Funksprüche und der verschlüsselten Morsedepeschen.
Von SIGINT war es dann nicht sehr weit bis zu "Traffic Analysis", die immer dann zur Anwendung kommt, wenn der Funkverkehr nicht in Echtzeit zu entschlüsseln ist, aber in bestimmten Situationen genaue Einsichten geben kann. Ein typisches Muster: das Anschwellen des Funkverkehrs zwischen Kommandozentrale und mobilen Einheiten sowie vermehrte Funksprüche ins Hinterland, gefolgt von Funkstille - dann Angriff.
COMINT, Verkehrsanalyse
Bereits in der Frühzeit des später ECHELON genannten Systems aus Funküberwachungsstationen, die untereinander wiederum über Funk kommunizierten, versuchte man dieser Verkehrsanalyse durch Multiplexing zu begegnen. Die Funkfrequenzen werden dabei in einem bestimmten Zeitabstand nach einem vorher festgelegten Muster gewechselt, um sowohl der Verkehrsanalyse wie der COMINT des Gegners zu entgehen. Letzteres bezeichnet die "Communications Intelligence", das betrifft den Inhalt von Kommunikationen.
Im interessantesten Dokument - siehe weiter unten - hat "Collection of Traffic", also das Abfangen von Funksprüchen und verschlüsseltem Morseverkehr, absolute Priorität. Punkt drei ist die Verkehrsanalyse, gefolgt von Kryptoanalyse, Entschlüsselung und Übersetzung.
"Communications Intelligence" bezog sich schon bald nicht nur auf militärische Sprachkommunikation gegnerischer Streitkräfte - analoger Sprachfunk kann gegen Mithören nicht gesichert werden -, sondern auf die unverschlüsselte zivile Kommunikation aus "interessanten" Weltgegenden.
Geburtsstunde der NSA
Nicht ganz unerwartet ist in den freigegebenen Dokumenten nirgendwo von ECHELON die Rede, sondern immer nur von UKUSA, wobei das Akronym für seine geopolitische Bedeutung symptomatisch ist.
Das insgesamt wohl aufschlussreichste der nun veröffentlichten Dokumente ist ein Amendment ("Update") vom 10. Mai 1955 zu den ersten UKUSA-Verträgen, es markiert die Geburtsstunde des Supergeheimdienstes NSA. Der erste Punkt der Neufassung lautet "Gründung und Weiterentwicklung der NSA samt Definition der Verantwortlichkeiten des NSA-Direktors". Das bis heute bestehende "besondere Verhältnis" zwischen den USA und Großbritannien ist in diesen UKUSA-Amendments unmissverständlich festgehalten.
Das "besondere Verhältnis"
"Die Existenz dieses Übereinkommen darf Drittstaaten nur dann bekanntgegeben werden, wenn beide Seiten dem zustimmen", heißt es in Paragraf 6/1.
Im darauffolgenden Paragrafen sieben zeigt sich, wie die Briten die Staaten des eigenen Commonwealth hinter die USA zurückstufen. Mit den Kanadiern wird von beiden Seiten nur unter wechselseitiger Informationspflicht verhandelt, die Prioritäten liegen jedoch bei den USA. Die übrigen Staaten, nämlich Australien und Neuseeland, stehen unter Patronanz der Briten bei Informationspflicht gegenüber den USA.
Links zu den Dokumenten
Der Absatz zum strikten Verbot der Spionage in wirtschaftlichen Angelegenheiten betrifft in diesem Dokument ausschließlich die Beziehungen zwischen den USA und Großbritannien. Alles andere sind Drittstaaten, gegenüber denen bilateral und geheim zu vereinbarende Konditionen gelten werden.
Über die Mythen der 90er Jahre rund um das ECHELON-System und welches Verhältnis vormalige ECHELON-Betreiber zu den SWIFT-Finanzdaten und dem European Telecom Standards Institute haben, lesen Sie im nächsten Teil.
(futurezone/Erich Moechel)