"Es geht um Problemerkennung"
Medienkünstler müssen die demokratischen Möglichkeiten neuer Technologien freilegen, ist ZKM-Chef Peter Weibel überzeugt. Im zweiten Teil des Interviews mit ORF.at spricht Weibel über die Rolle der Medienkunst und den Stellenwert der Forschung in der Kunst.
Im ersten Teil eines Interviews anlässlich zehn Jahre Zentrum für Kunst und Medientechnologie [ZKM] in Karlsruhe sprach Peter Weibel mit ORF.at über den Museumsbesucher als Künstler, die Emanzipation des Konsumenten und den Monopolanspruch der Industrie.
ORF.at: Welche Rolle spielt die Medienkunst im Zeitalter der Mitmachmedien?
Weibel: Der Medienkünstler wird quasi ein ziviler Diener. Er hat eine technische Kompetenz, die einer Kaste von Herstellern gegenübersteht. Im Gegensatz zur Politik, die überhaupt keine Kompetenz mehr hat. Wir haben heute das verblüffende Phänomen, dass wir Minister und Staatssekretäre haben, die von dem Gebiet, dem sie vorstehen, gar nichts verstehen, weil die Besetzung der Posten fast ausschließlich nach parteipolitischen Gesichtspunkten erfolgt. Man kann heute auch sagen, "politisch" heißt soviel wie "sachlich nicht begründbar".
Der Künstler wird derjenige sein, der ein Experte ist, der eine Kompetenz hat. Das muss nicht der akademisch gebildete Künstler sein, das kann auch jeder Konsument werden, wenn er sich hineinkniet. Diese Kompetenz stellt der Künstler in die Dienste der Zivilgesellschaft.
Der Künstler von heute muss im Dienste der Zivligesellschaft die demokratischen Möglichkeiten der Technologie durch seine Kompetenz freilegen. Die Netzkünstler, ob das Piraten oder Blogger sind, machen genau das.
Der Konsument muss sich mit Hilfe des Künstlers, des Experten, der die Kompetenz hat, emanzipieren.
Wie das auch Bruno Latour sagt, in allen Wissensgebieten erweitert sich das Feld der Aktanten. Wenn etwa heute die Pharmaindustrie sagt, wir haben eine Krankheit, aber die haben nur 100 Leute - da forschen wir gar nicht, weil da kein Gewinn zu machen ist. Die betroffenen Eltern schließen sich aber über das Netz zusammen und gründen eine Wissensgemeinschaft und tauschen Informationen aus. Es gibt schon sehr viele Fälle im medizinischen Bereich, wo nicht mehr nur die Fachleute entscheiden wo es langgeht. In diesem erweiterten Feld der Aktanten werden neue Kompetenzen gebündelt - und das sind für mich die Künstler.
Wenn ein Künstler heute überleben möchte, muss er ein Operateur unter vielen sein im erweiterten Feld der Aktanten, der seine eigene Kompetenz dazubringt.
ORF.at: Dazu braucht man jedoch Bewegungsfreiheit. Muss man da nicht jemanden finden, der das finanziert?
Weibel: Dafür brauchen wir den Staat. Das ist die Pflicht des Staates, denn der Markt wird das ablehnen. Mit dem Markt kann man nicht rechnen. Der Staat muss endlich eine Verfassungspriorität erreichern, er muss erkennen, dass in diese Freiheit investiert werden muss.
Der Betrug ist ja der, dass ja die Wirtschaft sowieso mit Unsummen subventioniert ist. Die "Kronen- Zeitung" wird ja auch mit Millionen subventioniert. Ein Bruchteil dessen, das der Staat der "Kronen Zeitung" gibt, würde genügen, um Bloggern die Freiheit zu geben, die sie brauchen.
ORF.at: Sie haben das ZKM auch als das "Max-Planck-Institut der Künste" bezeichnet. Wie wichtig sind Forschung und Entwicklung für die Medienkunst?
Weibel: Es kann nicht sein, dass der Künstler im Gebrauch der technischen Geräte vollkommen von der Industrie abhängig ist. Im technischen Bereich ist Kunst immer Forschung - und zwar Hardware-Forschung und Software-Forschung.
Wir stellen die Frage, wie gewisse Ideen mit Hilfe der Technik verwirklicht werden können. Und dann arbeiten Künstler und Techniker gemeinsam daran, die vorliegenden Probleme zu lösen. Wir liefern aber auch neuartige Problemstellungen. Das ist genau der Punkt. Heute geht es ja nicht nur um die Priorität von Problemlösungen - wie das einmal der Philosoph Karl Popper gesagt hat: "Leben ist Problemlösung" - heute geht es zuallererst um Problemerkennung.
Kunst sollte ein Synonym für Forschung und für Experimente, für experimentale Systeme sein. Aber der Markt macht das Gegenteil. Umso mehr brauchen wir die Freiheit in der Forschung und in der Kunst.
Insofern ist es auch ein Wahnsinn, dass man jetzt die Forschung zur Wissenschaft gibt. Das heißt, hier ist Kultur und Bildung und die Forschung ist explizit nicht mehr dabei.
In Wien, an der Klasse für digitale Kunst, ist es etwa gelungen, dass die Studenten Dinge bauen und programmieren können, die die Industrie nicht liefert. Die Künstler sind avancierter als die Industrie. Die Medienkünstler sehen eine Tür an einer weissen Wand, die die Industrie nicht sieht. Das, was einmal die Maler waren - Experten, die etwas konnten, was andere nicht konnten - das gilt heute für wirkliche digitale Künstler.
Das Wissen auf einem Spezialgebiet wird man jedoch nur erwerben, wenn man sich auf das Studium konzentrieren kann. Zu sagen, wie die Politik das macht, die sollen halt daneben arbeiten, ist eine Verhöhnung.
ORF.at: Wo sehen sie das ZKM in der Zukunft?
Wir sind ein Zentrum für Kunst und Medientechnologie. Das heißt, wir müssen Kunst auch sammeln. Das ist die vorrangige Mission eines Museums. Wir müssen dafür sorgen, dass die Werke nicht verschwinden. Wer sonst soll das tun?
Die zweite Aufgabe besteht darin, Ausstellungen zu kuratieren. Es gibt zwei Verträge - mit den lebenden und mit den toten Künstlern. Wenn die Künstler aber nicht nur malen, sondern technische Installationen machen, dann können die ihre Arbeit selbst nicht mehr vorfinanzieren.
Auch Komponisten, die eine Oper schaffen, bekommen das Geld vorher, die können auch nicht sagen, jetzt sitz ich zwei Jahre lang nur zu Hause, sondern: der kriegt ein Auftragswerk. Und das gleiche gilt für die technischen Künstler. In dem Augenblick rückt das Museum näher zum Theater und näher zur Oper - ich muss die Herstellung produzieren. Wir werden automatisch durch die technische Entwicklung in die Produzentenrolle gedrängt. Ich bin also auch schon Produzent.
Dann brauche ich natürlich auch die Kenntnisse. Wenn jemand einen Lichtstrahl haben will, der an einem bestimmten Punkt automatisch erscheint, brauche ich Programmierer und Techniker, die das können. Dadurch werden wir auch Entwicklungs- und Forschungslabor.
Wenn man die Funktion eines Museums im technischen Zeitalter konsequent zu Ende denkt, dann müsste jedes Museum eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung und eine Produktionsabteilung haben.
(futurezone | Patrick Dax | Günter Hack)