Schweizer, Terror, Fax, Spion

12.04.2007

In der Schweiz stehen am 17. April drei Journalisten vor einem Militärgericht. Sie haben einen als geheim eingestuften Bericht über ein Fax veröffentlicht, das vom eidgenössischen Überwachungssystem Onyx aus dem Äther gefischt wurde. Aus der Affäre um das Fax wird nun ein Kampf um die Existenz von Militärgerichten in der Schweiz.

"Es geht uns darum, dass die Militärjustiz abgeschafft wird", sagt Sandro Brotz, einer der drei angeklagten Journalisten, im Gespräch mit ORF.at. Brotz und seine beiden Mitangeklagten Beat Jost und Christoph Grenacher haben am vergangenen Sonntag eine Unterstützer-Website aufgeschaltet. "Wir haben schon mehrere hundert Unterstützer", sagt Brotz, "für so ein exotisches Thema ist das viel."

Am Dienstag, den 17. April, wird die Hauptverhandlung in der so genannten CIA-Fax-Affäre vor dem Militärgericht 6 in St. Gallen unter dem Vorsitz von Oberst Hans-Rudolf Arta unter Vorbehalten öffentlich stattfinden. Die Vorgeschichte dazu ist eine Agentenstory aus der Ära nach dem 11. September 2001, dem Zeitalter der automatisierten Überwachung.

Der Bericht

Die drei Journalisten hatten am 8. Jänner 2006 in der Boulevardzeitung "SonntagsBlick" einen als geheim gekennzeichneten Bericht des Schweizer Auslandsgeheimdienstes SND veröffentlicht. Der Bericht enthielt die Übersetzung einer mit Hilfe des Überwachungssystems Onyx abgefangenen Fax-Nachricht, die das ägyptische Außenministerium an die Londoner Botschaft des Landes geschickt hatte.

Wie dieser Bericht dann in die Hände der Journalisten gelangte, ist bisher unbekannt, entsprechende interne Untersuchungen des SND kamen zu keinem Ergebnis. Laut Darstellung der Journalisten hatte ein unbeteiligter Bürger das Papier in einem durch die Schweiz fahrenden Intercity gefunden und es an die Zeitung weitergegeben.

Umstrittene Inhalte

Die Veröffentlichung des Dokuments erregte weltweit Aufsehen, da darin zum ersten Mal in einem offiziellen staatlichen Papier die Existenz diverser Geheimgefängnisse der US-Geheimdienste in Europa erwähnt wurde. Bis heute ist umstritten, ob US-Dienste an den im Fax genannten Orten Verdächtige gefangen gehalten und befragt haben.

Der Abschlussbericht der unter Vorsitz des liberalen Schweizer Ständerats Dick Marty vom Europarat durchgeführten Untersuchung von CIA-Flugbewegungen in Europa ["Rendition Flights"] stützt allerdings die Aussagen über die im Fax erwähnten Anlagen des US-Geheimdienstes.

So umstritten die Bedeutung des Berichts auch sein mag, so handfest ist jetzt der Konflikt um die Zuständigkeit der schweizer Militärjustiz für Gesetzesverstöße durch Zivilisten.

Kampf gegen den Terror behindert

Am 10. Jänner 2006 hatte das Oberauditoriat, also die Staatsanwaltschaft der Militärjustiz, gegen die drei Journalisten Anklage wegen Verletzung militärischer Geheimnisse erhoben. Die Armee wirft Brotz, Jost und Grenacher in ihrer Anklageschrift unter anderem vor, die Arbeit des Nachrichtendienstes SND im Kampf gegen den Terrorismus behindert zu haben.

Die Veröffentlichung des Gesamtdokuments inklusive Kürzel des Verfassers und Dokumentencodenummer habe Gegnern des Dienstes Einblick in dessen Organisation und Arbeitsweise verschafft. Besonders peinlich ist den Militärs natürlich, dass mit dem Dokument ein Beweis für ihre Abhörtätigkeiten vorliegt.

Militärjustiz für Zivilisten

Problematisch an dem Fall ist, dass keiner der drei Angeklagten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Mitglied der Schweizer Armee war.

Christoph Grenacher, der Chefredakteur des "SonntagsBlick" war, als der Bericht veröffentlicht wurde, erkannte anlässlich der ersten Vorladung vor das Militärgericht am 24. Jänner 2006 die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit für seinen Fall nicht an und gab eine entsprechende Erklärung zu Protokoll.

Verletzung militärischer Geheimnisse

"Gemäß dem Wortlaut des Gesetzes ist in der Schweiz die Militärjustiz nicht nur für Soldaten, sondern - leider - auch für Zivilisten zuständig, wenn sie der Verletzung militärischer Geheimnisse angeklagt sind. Dass keiner der drei Angeklagten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung militärisch eingeteilt war, ändert daran nichts", sagt Matthias Schwaibold, der Anwalt der drei Journalisten.

Martin Immenhauser, Sprecher der Schweizer Militärjustiz, erklärt, dass sich diese Besonderheit aus der Geschichte und politischen Struktur seines Landes ergebe: "Da jeder der 26 Schweizer Kantone seine eigene Strafprozessordnung hat, der Gesetzgeber aber verhindern wollte, dass bei jedem Fall, der das Militär betrifft, eine andere Rechtsprechung zum Zug kommt, gibt es die Militärjustiz als einzige gesamtschweizerische Gerichtsbarkeit."

Milizgericht und Parallelrecht

Die Urfassung des entsprechenden Gesetzes sei 1927 in Kraft getreten, das Parlament habe es in seiner aktuellen Version erst im vergangenen Jahr nochmals bestätigt. "Ob die Verletzung militärischer Geheimnisse von einer militärischen oder einer zivilen Justiz verfolgt wird, ist eine politische Entscheidung", sagt Immenhauser, der auch auf den Milizcharakter des Gerichts hinweist.

Keines der fünf Mitglieder des Gerichts sei Angestellter des Militärs, es handle sich um Angehörige ziviler Justizbehörden oder Anwälte. Das Militärrecht lehne sich zudem eng an das bürgerliche Strafrecht der Schweiz an und werde diesem auch laufend angepasst.

Politisierung des Falls

Die Angeklagten halten es trotzdem für untragbar, sich als Zivilisten vor der gesonderten eigenen Gerichtsbarkeit des Militärs verantworten zu müssen, denn diese neige in der Abwägung der Rechtsgüter im Zweifelsfall dazu, ihre eigene Organisation zu begünstigen. Sie machen ihren Fall zur politischen Sache und wollen dafür kämpfen, dass die Schweiz die Militärjustiz ganz abschafft. Im Gespräch mit ORF.at macht Sandro Brotz klar, dass die Angeklagten ihre Sache im Zweifelsfall durch alle Instanzen bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen werden.

Der Weg durch die Instanzen

Über dem St. Galler Militärgericht gibt es noch zwei Instanzen der eidgenössischen Militärjustiz: das Appellationsgericht und das Kassationsgericht, dessen Präsident ein Bundesrichter ist.

Immerhin steht in der Schweiz auf die Verletzung militärischer Geheimnisse eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. "Freiheitsstrafen von bis zu sechs Monaten können als Geldbußen in Tagessätzen abgeleistet werden, deren Höhe sich aus dem Einkommen der Angeklagten ableitet", sagt Justizsprecher Immenhauser.

Koalition gegen Militärjustiz

So weit wollen es die Angeklagten nicht kommen lassen. "Die Militärjustiz soll kippen", sagt Sandro Brotz. Er weiß sich dabei von wichtigen Schweizer Bürgerrechtlern, Politikern und Gewerkschaftern sowie von der Organisation Reporter ohne Grenzen unterstützt.

Vielleicht erledigt der Gesetzgeber aber die Militärgerichtsbarkeit selbst. Bis 2010 will die Schweiz sich eine einheitliche Strafprozessordnung gegeben haben. Dann würde auch das wichtigste Argument der Militärgerichtsbefürworter - die einheitliche Anwendbarkeit der Militärjustiz in der ganzen Schweiz - endlich wegfallen.

"Skandalöse Justiz"

Der Schweizer Journalist Frank A. Meyer, Kolumnist des "SonntagsBlick", mag nicht so lange warten. "Es gibt hier zwei Skandale", sagt er im Gespräch mit ORF.at. "Erstens, dass es eine solche Justiz in der Schweiz überhaupt noch gibt. Und zweitens, dass es Richter gibt, die sich dieser skandalösen Justiz zur Verfügung stellen. Beides ist beschämend."

(futurezone | Günter Hack)