Unser Eigenheim im Web

17.07.2007

Nach dem rasanten Aufstieg der Online-Gemeinden zweiter Generation wie MySpace, YouTube und Flickr ist allzu schnell der Ausverkauf an Großkonzerne gekommen. Doch nicht jeder Nutzer will seine persönlichen Daten in den Händen von Rupert Murdoch, Google oder Yahoo sehen. Zeit, einen Blick auf selbst finanzierte Gemeinschaften im Web zu werfen.

"Ich fühlte mich, als ob ich auf der Bühne eines gewaltigen Opernhauses stünde, auf mehreren Ebenen umringt von Zuschauern. Alles schien zu einem Theaterstück zu gehören, jede Bewegung und jeder Gedanke. Der geschlossene Raum des Metro-Centre ließ die Kunden sich ganz auf ihre Rollen konzentrieren, als ob die Welt ein Musical geworden wäre, in dem wir alle Statisten sind."

So beschreibt der britische Schriftsteller James G. Ballard das Einkaufszentrum Metro-Centre, das in der Londoner Vorstadt seines Romans "Kingdom Come" alle traditionellen Funktionen öffentlicher Räume wie Geschäfte, Büchereien und sogar Kirchen übernommen hat.

Im Metro-Centre werden die Menschen Teil einer bewirtschafteten und von Sicherheitstrupps eingehegten Herde. Ballards Botschaft: Die Viehzucht hat über den Ackerbau gesiegt.

Virtuelle Mall-Rats

Auch das Web hat seine Metro-Centres, seine mehr oder weniger geschlossenen Gemeinden, innerhalb derer traditionelle Kommunikationsfunktionen des Netzes noch einmal reproduziert werden, auf dass die Kundschaft möglichst lange verweile und die Statistiken in für Werber interessante Höhen treibe.

Einige von ihnen öffnen sich für "Mash-ups", aber letztlich verweisen die einzelnen Elemente wie Bilder von Flickr und Videos von YouTube wie Werbeplakate immer nur auf ihren Ursprung zurück. Alte kommerzielle Websites waren Kaufhäuser ohne Fenster. Moderne Soziale Netzwerke funktionieren wie Einkaufszentren, gefüllt mit Franchising-Shops.

Aufbauen und verkaufen

"Bei vielen Communitys ist es das Geschäftsmodell, sie erst aufzubauen und dann möglichst teuer zu verkaufen", sagt Wolfgang Zeglovits, Geschäftsführer der Wiener Agentur Datenwerk, der sich im Rahmen seiner Dissertation im Fach Kulturanthropologie mit der Entstehung von Weblog-Plattformen beschäftigt.

Mit virtuellen Gemeinschaften Geld zu verdienen ist schwierig. "2001 hat Evan Williams, Mitgründer von blogger.com, alle seine Mitarbeiter gefeuert und den Server allein weiterbetrieben", sagt Zeglovits. Williams verkaufte blogger.com 2003 an Google.

Unabhängige Wikipedia

Könnte es nachhaltiger sein, eine Online-Community unabhängig und selbst finanziert zu betreiben, anstatt sie auf möglichst hohe User-Zahlen hochzutreiben und mit Haut und Haaren an den Meistbietenden zu verkaufen?

Immerhin finanziert sich mit der Wikipedia eine der zehn meistbesuchten Websites der Welt überwiegend durch die Spenden ihrer Nutzer - auch wenn die Wikipedia als Dienstleister nicht unmittelbar mit Spaßplattformen wie MySpace gleichgesetzt werden kann.

Private Spenden überwiegen

"Das Gesamtaufkommen an Spenden für den Betrieb der deutschsprachigen Wikipedia betrug 2006 81.568,08 Euro", sagt Christoph Breitler, Österreich-Sprecher der Wikipedia, "Davon entfielen auf Firmen 5.722,47 und auf Private 75.134,48 Euro." Der deutsche Trägerverein der Wikipedia schlüsselt die Spenden nicht nach Herkunftsländern auf.

Für Breitler haben kommerzielle Online-Gemeinden wie MySpace den Vorteil, dass sie sich früher über Werbung refinanzieren und daher auch schneller wachsen können. Für die Wikipedia als Dienstleister käme die Werbefinanzierung allerdings nicht in Frage.

Selbst finanzierter Spaß

Dass sich eine offene, nützliche und gemeinnützige Ressource wie die Wikipedia selbst finanzieren kann, ist so verständlich wie beruhigend. Wie aber sieht es mit Communitys aus, die keinen professionellen Vernetzungscharakter haben und auch nicht nützlich sind, sondern einfach nur der Fellpflege dienen?

B3ta.com ist definitiv nicht nützlich. Die Bewohner dieser britischen Website pflegen seit 2001 einen ganz eigenen, brachial-absurden Humor. Vor allem die beinahe vergessene Kunst der Gif-Animation wird von den B3ta-Forenmitgliedern in Ehre gehalten. Aber auch Flash-Animatoren wie Joel Veitch konnten sich auf B3ta austoben, bis sie vom britischen Medien-Mainstream entdeckt wurden.

T-Shirts und Taschengeld

"B3ta macht nicht besonders viel Geld", sagt Rob Manuel, der die Site mit seinen Freunden Denise Wilton und Carl Henderson gegründet hat, auf Anfrage von ORF.at. "Wir machen etwas Geld damit, aber wir verdienen damit sicher keine Web-2.0-Milliarden. Der Verdienst reicht dazu aus, meine Arbeitszeit zu bezahlen und ein paar anderen Leuten etwas Taschengeld zustecken zu können. Die Serverkosten können wir mit den Spenden unserer User decken. Das restliche Geld kommt über kleine Anzeigen und den Verkauf von T-Shirts rein."

Laut Wikipedia-Eintrag hat der Newsletter von B3ta über 100.000 Abonnenten. "Ich habe nichts gegen Anzeigen", sagt Manuel, "Ich mag nur keine Banner und keine Pop-ups. Also haben wir die nicht auf unserer Site." Stattdessen gibt es zahlreiche Google-Ads.

Klasse braucht Masse

So ganz werbefrei ist auch B3ta.com also nicht, wobei die Spenden immerhin die technischen Kosten decken. Solche Mischfinanzierungen und Quersubventionierungen sind im Bereich der Community-Websites häufig, wenn der Betreiber nicht auf den Ausverkauf an ein Großunternehmen abzielt oder gleich selbst Data-Mining betreibt.

"Kleine Communitys tragen sich in der Regel nicht selbst", sagt Zeglovits. "Sie erreichen nicht die kritische Masse von zahlenden Nutzern, die es einem Betreiber ermöglichen würden, sich intensiv um die Weiterentwicklung seiner Plattform zu kümmern. Daher glaube ich nicht, dass selbst finanzierte Communitys nachhaltiger funktionieren als rein kommerzielle."

Die Freiheit der Ameisen

"Ich sehe das etwas optimistischer", sagt Tobias Schäfer. Der Entwickler betreibt seit 2001 den österreichischen Weblog-Server Antville.org und hat einen Teil der dort laufenden Software geschrieben.

Antville.org diente als Testserver für Antville, die Weblog-Software, und für das in Java geschriebene Web Application Framework Helma. Sowohl Helma als auch Antville sind Open-Source-Software, die unter einer selbst formulierten Lizenz veröffentlicht wurden. Auf Grundlage der beiden Systeme entstand ab 2003 auch Twoday, die Software des kommerziellen österreichischen Weblog-Anbieters Knallgrau.

Antville wurde ab 2001 von Robert Gaggl, Christoph Lincke, Matthias & Michael Platzer, Tobias Schäfer und Hannes Wallnöfer entwickelt.

Vom Testserver zur Community

Der 2001 gestartete Testserver von Antville.org stand zu Beginn neuen Usern offen. Jedermann konnte sich kostenlos eines oder mehrere Weblogs anlegen, was im seinerzeit noch neuen Weblog-Boom schnell dazu führte, dass auf dem Server eine lebendige virtuelle Gemeinschaft mit über 5.000 regelmäßig aktiven Mitgliedern entstand.

2002 sammelten die Antville-User für einen neuen Server, wobei in kurzer Zeit 3.500 Euro zusammenkamen. Mit der Anschaffung des neuen Rechners schlossen die Administratoren allerdings das System ab, und es konnten keine neuen Weblogs mehr angelegt werden. Die Software stellte ihre Stabilität unter Beweis, das virtuelle Leben auf dem Server aber stagnierte.

Von der Community zum Verein

Das möchte Schäfer nun ändern. Im Mai 2007 kündigte er an, den Code von Antville weiterentwickeln zu wollen und dafür seine Stelle als Programmierer bei ORF.at auf einen Halbtagsjob zurückzufahren.

Am 21. Mai begann Schäfer, für das Projekt bei den Antville-Usern Geld zu sammeln. Bis zum 11. Juli kamen 3.860 Euro zusammen - genug, damit sich Schäfer die Zeit nehmen kann, das Ameisendorf auf mehr als sechs Beine zu stellen.

"Aus Antville.org soll ein wirklich autonomes Projekt werden, das von der Community selbst organisiert, betreut und verwaltet wird", sagt Schäfer. "Mir schwebt eine Institutionalisierung als Verein vor, die über Mitgliedsbeiträge die laufenden Kosten für Housing und Domain decken und eine geringfügige Rücklage für neue Hardware bereitstellen kann."

Buchhaltung und Kreativität

Schäfer mag keine Prognose wagen, ob das Projekt dann auch wirklich so funktionieren kann. "Antville.org war eine selbsterhaltende Community, weil Geld tatsächlich nie ein Thema gewesen ist", sagt er.

Ob sich die Gemeinschaft selbst tragen kann, muss sie sich noch beweisen. Und ob die zur nachhaltigen Selbstorganisation notwendige Disziplin nicht der für interessante Online-Communitys grundlegenden kreativen Ungezwungenheit wesentlich entgegensteht, bleibt ebenfalls abzuwarten.

Vom Metro-Centre zum Metro-Centre

Sicher dürfte jedenfalls sein, dass der größte Teil der Nutzer Sozialer Software auch in Zukunft auf zahlreiche kostenlose Angebote kommerzieller Anbieter zurückgreifen können und diese auch nutzen werden, auch wenn sie dafür Unannehmlichkeiten wie Werbung und Data-Mining in Kauf nehmen müssen.

Außerdem begünstigt das Modell "Metro-Centre" der geschlossenen kommerziellen Websites auch den Nomadismus, denn die entsprechend aufgebauten Communitys sind instabil, wechseln schnell Besitzer und Management, verändern sich mit dem Zwang zur schnellen Rentabilität oder führen, wie kürzlich Yahoo bei Flickr, nach Ländern und Kulturen definierte Filter ein, die trennen, wo das TCP/IP-Protokoll einst vereinte.

Es ist nicht zu sagen, ob offene und selbst verwaltete Communitys um ihrer selbst willen über längere Zeit hinweg im Netz existieren können. Notwendig wäre ihre Existenz im Schatten der Metro-Centres aber ganz gewiss.

(futurezone | Günter Hack)