Die Verlierer der Digitalisierung
Hersteller von Funkmikros für Konzerte und Sportereignisse stehen als Untermieter der TV-Frequenzen vor einem Dilemma. Die digitalen TV-Kanäle sind viel dichter gepackt als die analogen, ein Teil des bisherigen, analogen TV-Spektrums wird für WiMAX umgewidmet.
Die von der EU seit Jahren vorangetriebene Digitalisierung des terrestrischen Fernsehens kennt anscheinend nur Gewinner.
Nach Abschaltung des Analog-TV steht aufgrund des geringeren Bandbreitenbedarfs von digitalem Fernsehen ein Teil des bisher benutzten Frequenzspektrums zwischen 470 und 862 MHz zur Neuverteilung an.
Darüber freuen sich die Verwalter des knappen Guts Frequenzen, die nationalen Regulationsbehörden, sowie die Anbieter neuer Funkdienste.
Frei werdende Bänder
Erstere können zusätzliche Einnahmen für den Staat lukrieren, in den USA werden beispielsweise bis zu 15 Milliarden Dollar für die Neuverteilung des 700-MHz-Bandes zum Aufbau eines landesweiten WiMAX-Netzes erwartet.
Die Betreiber des neuen Funkstandards WiMAX, denen in Europa bis jetzt zwei jeweils 84 MHz breite Bandbereiche zwischen 3.410 und 3.594 MHz zugewiesen wurden, können in absehbarer Zeit in Europa den Wellenbereich 790 bis 862 MHz dazuersteigern.
Die Reichweiten
Das ist insofern wichtig, als dass dieser Teil des elektromagnetischen Spektrums mit weit höheren technischen Reichweiten und deutlich besserer Gebäudepenetration aufwarten kann als die Dezimeterwellen rund um 3,5 GHz.
Bekanntlich tendieren die elektromagnetischen Wellen ab einem GHz immer mehr dazu, an Hindernissen reflektiert zu werden.
"Funk ist ein Hund"
Nun könnten also alle zufrieden sein, doch weil der "Funk ein Hund ist" - wie es der Funkerjargon gerne ausdrückt -, liegt auch bei der Digitalisierung des Fernsehens für wenigstens eine Branche der Hund begraben.
Mit der laufenden Entwicklung gar keine Freude haben die Hersteller und Benutzer von drahtlosen Mikrofonsystemen und jene, die sie nutzen: Sport- und Konzertveranstalter, Musikproduzenten und alle anderen, die Bühnenmitschnitte und Liveübertragungen produzieren.
Funkmikrofone
Der österreichische Frequenznutzungsplan - und nicht nur der - weist nämlich Funkmikrofone in genau jenem Bereich, der bisher vom Analog-TV belegt war, als Sekundärnutzer aus.
Bei Live-Übertragungen von Skirennen und Open-Air-Konzerten sowie Aufführungen von Musicals kommen ganze Batterien von Funkmikros zum Einsatz. Deren aktuelle Frequenzen werden so eingestellt, dass sie irgendwo im Spektrum senden, wo gerade kein TV-Sender in der Nähe aktiv ist, der stören könnte.
80 Mikros parallel
Auch wenn zwölf bis 15 dieser analogen Funkmikros pro gerade [regional] freien Analog-TV-Kanal untergebracht werden können, ist die Entwicklung enorm problematisch.
"Bei Großereignissen wie den Bregenzer Festspielen kommen rund 80 Mikros zeitgleich zum Einsatz" sagt Peter Tiefenthaler, Frequenzexperte des österreichischen Herstellers AKG Acoustics, "damit wird es für uns äußerst eng." Der kleinste Knackser durch die Störung irgendeines Geräts würde dann verstärkt live übertragen und natürlich ebenso auf dem Livemitschnitt vorhanden sein.
"Keine Quantensprünge"
Auf die Frage, wie es denn mit der Digitalisierung der bisher analogen Funkmikrofone aussehe, lautet die Antwort: "Man kann sich ein bisschen etwas davon erwarten, aber keine Quantensprünge. Wir stehen ja ganz am Anfang der Akustikkette, nämlich dort, wo sie entsteht."
Anders als Digital-TV oder gar Datendienste, die leichte Verzögerungen in der Übertragung kompensieren können, operiert die Live-Akustikbranche ganz hart an der Echtzeit. Die im Digitalbereich übliche Fehlerkorrektur bei Störungen des Signals führt bei digitalen Funkmikros zu Latenzzeiten, die sich verheerend auswirken.
Die Latenzen
"Ab drei Millisekunden Latenz bei einer Musikaufführung wird es schon problematisch", sagt Tiefenthaler, da sich die Sänger ja selbst auf den ebenfalls per Funk angebundenen Monitorboxen auf der Bühne hören müssten: "Bei einer Verzögerung von zehn Millisekunden kann niemand mehr singen."
Aus diesem Grund müssen auch die Frequenzen für digitale Funkmikros einen gewissen Respektabstand einhalten, voneinander und natürlich ebenso von digitalen TV-Kanälen, die höhere Latenzen vertragen, ohne dass der Zuseher das überhaupt wahrnimmt.
"Digitale Dividende",
Während zwischen zwei analogen TV-Kanälen immer ein freier bleiben muss, um Störungen zu vermeiden, können im digitalen Zeitalter der Fehlerkorrektur die Sender dicht an dicht ins Band geschachtelt werden.
Das ist der eine Teil der "digitalen Dividende", den anderen tragen Kompressionsverfahren bei.
Frequenz zur Untermiete
Jenes Frequenzband zwischen 790 und 862 MHz, in dem irgendwann der digitale Datenfunk zu senden beginnt, ist für High-End-Mikros als Untermieter in Zukunft mindestens ebenso problematisch, wenn nicht noch mehr.
Da es sich bei WiMAX um eine mobile Funkanwendung handelt, könnte in Hinkunft ein vazierendes Notebook nahe dem Konzertsaal schon genügen, um einen hochwertigen Mitschnitt zu "verknacksen".
Drohendes Dilemma
Die Frage, warum man sich angesichts dieses drohenden Dilemmas nicht um irgendeinen Teil des Frequenzbereichs als Primärnutzer bewerbe, beantwortet der Frequenzexperte von AKG für die Branche schlicht mit "nicht leistbar".
Die Zukunft von Live-Großübertragungen mit Funkmikrofonen, wie wir sie gewohnt seien, so fürchte er, könne nur durch eine politische Entscheidung gesichert werden, sagt Tiefenthaler abschließend.
(futurezone | Erich Moechel)