50 Jahre ARPA: An der Wiege des Internets
Immer noch hält sich der Mythos, das Internet sei vom US-Militär entwickelt worden, um ein Datennetz zu schaffen, das auch einen Atomkrieg überstehen könne. Ronda Hauben erklärt, warum dieses Gerücht nicht stimmt, indem sie die fünfzigjährige Geschichte der ARPA erzählt, jener Behörde, unter deren Ägide das Internet entstand.
Der Sputnik beflügelt die Forschung
Am 4. Oktober 1957 überraschte ein Signal aus dem Weltraum die Erde. Das Piepen kam von Sputnik, dem ersten künstlichen Erdtrabanten. Dieses Flugobjekt von der Größe eines Basketballs sollte zum Ausgangspunkt wichtiger wissenschaftlicher Entwicklungen werden. Auch eine aufsehenerregende Methode zur Vernetzung von Computern verdankt ihre Existenz dem kleinen Satelliten.
Wie der erste Sputnik von 1957 dabei half, das Internet zu schaffen, ist eine interessante Geschichte, auch wenn sie zunächst nicht vom Internet selbst handeln mag, sondern von der Behörde, in der es entstanden ist. Diese Behörde, die Advanced Research Projects Agency [ARPA], wurde am 7. Februar 1958 gegründet.
Ihr fünfzigster Geburtstag ist ein guter Anlass, sich damit zu befassen, wie die ARPA gegründet wurde und was man aus ihrer Geschichte über die Art der Forschung ableiten kann, mit der sie befasst war. Aus dieser Geschichte kann man auch viel darüber erfahren, wie eine erfolgreiche Förderung von Forschung und Entwicklung aussehen kann. Von der ARPA unterstützte Forschung hat die Grundlagen für das Internet von heute geschaffen; ein Blick auf ihre Geschichte hilft auch dabei, die Ursprünge der Netzwerk- und Computertechnik zu verstehen.
Die New Yorker Netzhistorikerin und Journalistin Ronda Hauben verfasste mit ihrem Sohn Michael in den frühen 90er Jahren das Buch "Netizens", in dem sie den Ursprüngen des Internets und des Usenet und der sozialen Aneignung dieser Technologien auf den Grund ging.
Die Hintergründe: Wie die ARPA entstand
Bekanntermaßen wurde die ARPA von der überrumpelten US-Regierung als direkte Antwort auf die Sputnik-Herausforderung durch die Sowjetunion gegründet. Das Aufgabengebiet der ARPA war aber von Anfang an keineswegs auf die Weltraumforschung beschränkt.
Mit der vom US-Verteidigungsministerium ausgegebene Direktive Nummer 5105.15 vom 7. Februar 1958 wurde eine Behörde gegründet, die für die "Aufsicht und Durchführung bei bestimmten Forschungs- und Entwicklungsaufgaben im Hochtechnologiebereich" zuständig sein sollte.
Laut dem Barber-Bericht, einer wichtigen Quelle über die Entstehung der ARPA, ging die Anweisung schon am 4. Februar 1957 vom Verteidigungsministerium aus. Alle weiteren Zitate stammen, wo nicht anders angegeben, aus diesem Bericht.
Aus bestimmten Gründen, auf die wir gleich zu sprechen kommen werden, unterstand der Direktor der Behörde direkt dem US-Verteidigungsminister. Der Kongress hatte die Einrichtung der ARPA bereits am 12. Februar 1957 als Teil eines Gesetzes gebilligt.
Der ursprüngliche Auftrag
Eigentlich war die ARPA dazu gegründet worden, die Weltraumforschung voranzutreiben. Allerdings übertrug die US-Regierung diese Aufgabe schon bald einer zivilen Behörde, der NASA, um eine allzu offensichtliche Verbindung zwischen Raumforschung und Militär in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Der ARPA gab das wiederum die Freiheit, sich allgemeineren Forschungsaufgaben anzunehmen.
Der Mann, der die Bedingungen schuf, unter denen die ARPA entstehen konnte, war James Killian. Killian war von 1948 bis 1959 Rektor der renommierten technischen Hochschule Massachusetts Institute of Technology [MIT] und diente Präsident Dwight D. Eisenhower von 1957 bis 1959 als Wissenschafts- und Technologieberater.
Der Wissensvorsprung
Schon vor dem Sputnik-Schock hatte Killian mehrfach bei Anhörungen vor dem US-Kongress darauf hingewiesen, wie wichtig Grundlagenforschung auch für das Verteidigungsministerium sei. Damit das US-Militär nicht im Wettbewerb mit den Sowjets ins Hintertreffen geriete, sei es notwendig, die heimische Wissenschaft in bisher unerforschte Gebiete vordringen zu lassen.
Killian glaubte, dass die Waffensysteme der Zukunft nur dann erfolgreich entwickelt werden könnten, wenn sich das Verteidigungsministerium von seinen traditionellen Managementmethoden verabschieden würde.
Freie Forschung
Bei den Anhörungen im Kongress beschrieb Killian, wie Forschung und Entwicklung im Zweiten Weltkrieg funktionierten. Gerade unorthodoxe Methoden hätten dazu geführt, dass kriegsentscheidende Geräte wie das Radar, der Näherungszünder und letztlich auch die Atombombe gebaut werden konnten.
Wichtigste Grundlage für diese Entwicklungen sei "das kreative Denken hervorragender Wissenschaftler und Ingenieure, die im universitäten Umfeld schon immer frei von Einschränkungen hatten arbeiten können. Jedes wichtige Forschungslabor muss solche Mitarbeiter haben und ihnen eine solche freie Umgebung bieten, um ihre Kreativität zu fördern."
Rigide Militärstrukturen
Gerade die Militärs könnten eine solche Umgebung niemals schaffen, weswegen sie auch nicht dazu in der Lage seien, neue Ansätze und Waffensysteme zu entwickeln. Stattdessen sollten sie, so schlug Killian vor, die Forschung auslagern. Die wirklich wichtigen neuen Ideen könnten nur "im Rahmen kreativer Grundlagenforschung an den Universitäten und anderen Institutionen entwickelt werden".
Anstatt einfach nur neues Militärgerät zu entwerfen, ginge es im Wettlauf mit den Sowjets vielmehr darum, neue Forschungskonzepte zu entwickeln. "Gerade die unerwarteten und noch nicht absehbaren Entdeckungen werden es sein, die in Zukunft die Grundlage unserer militärischen Stärke bilden", sagte er dem Kongress. "Wir müssen eine Umgebung schaffen, in der solche Entdeckungen gemacht werden können."
Killians Trick
Killians Trick bestand also darin, das bisherige Verhältnis zwischen Grundlagenforschung und militärischen Entwicklungsprozessen einfach umzudrehen. Außerdem wies er den Kongress darauf hin, wie wichtig die Führerschaft auf wissenschaftlichem und technischem Gebiet auch für das internationale Prestige der USA sei.
"Die Zukunft der Vereinigten Staaten liegt in den Händen derer, die die Geheimnisse des Atoms, der Zelle und der Sterne erforschen – und vor allem in den Händen jener, die das betreiben, was wir so unzulänglich mit dem Begriff Grundlagenforschung bezeichnen."
Die Sputnik-Chance
Vor dem Sputnik-Schock hatten Killian und andere, die mit ihm für eine Unterstützung der Grundlagenforschung durch das Militär eintraten, keine Chance darauf, von der Politik ernst genommen zu werden. Mit dem Start des ersten sowjetischen Satelliten änderte sich diese Situation schnell.
In einem Bericht, den die Firma des Technologieberaters Richard Barber 1975 angefertigt hat, um die erfolgreichen Strategien der ARPA zu analysieren, hoben die Autoren hervor, dass die Behörde in einem Umfeld entstanden sei, in dem "Grundlagenforschung mit militärischer Sicherheit gleichgesetzt wurde"; die Grundlagenforschung sei als "Quelle" aller wichtigen Ideen gesehen worden, die sich dann auch längerfristig als entscheidend für die militärische Entwicklung herausgestellt hätten.
Die ARPA und die Politik
Nur in dieser neuen Atmosphäre sei es möglich gewesen, dass Präsident Eisenhower Killian mit der Gründung der ARPA beauftragen konnte. Sogleich nach dem Start des Sputnik war Eisenhower an Killian mit der Frage herangetreten, wie man eine zentrale Agentur zur Koordination der Grundlagenforschung schaffen könne.
Killian schlug ihm daraufhin vor, eine Behörde zu schaffen, die die Arbeit eines Netzes aus hochrangigen Forschungszentren finanziell unterstützen und damit eine stabile Umgebung für wissenschaftliche Arbeit herstellen sollte. In diesen Forschungszentren sollten Fehler und Fehlschläge nicht als Probleme betrachtet werden, man sollte vielmehr von ihnen lernen dürfen.
Das waren die grundlegenden Gedanken, die zur Gründung der ARPA führten. Glücklicherweise trafen diese Ideen in der Gemeinschaft der Computerwissenschaftler auf Resonanz, was dazu führen sollte, dass die ARPA-Forschung auf dem Gebiet der Informatik die Entwicklung und den Gebrauch von Computern revolutionieren sollte.
Manöver der Macht
Als Präsident Eisenhower die Gründung der ARPA unterstützte, hegte er allerdings einen Hintergedanken. Es ging ihm darum, die kostspieligen Rivalitäten zwischen den drei Teilstreitkräften des US-Militärs zu beenden.
Das Verteidigungsministerium in seiner heute bekannten Form war schließlich erst 1947 gegründet worden, seine Kontrolle über Marine, Bodenstreitkräfte und Luftwaffe war noch schwach. Indem die ARPA die Forschungsaktivitäten des US-Militärs bündelte, sollte sie gleichzeitig als Agent der Zentralisierung wirken und das Verteidigungsministerium stärken.
Zur Zeit Eisenhowers herrschte zwischen den Teilstreitkräften ein aggressiver Wettbewerb um Geld und Forschungsprojekte. So geriet die ARPA schnell zum Zankapfel im Streit um die Ressourcen zwischen dem Verteidigungsminister und den Militärs.
Letztere opponierten dann auch heftig dagegen, dass die ARPA sich auch mit angewandter Forschung befassen sollte.
Der damalige Luftwaffenminister James H. Douglas war zwar bereit, der ARPA eine Rolle bei der Förderung von Grundlagenforschung zuzugestehen, gab aber zu Protokoll, dass er sein Veto einlegen werde, "sobald sie die ohnehin schwach definierte Grenze zur angewandten Forschung überschreitet" [Quelle: Barber-Bericht, S. I-27]. Dieser und andere Einwände sollten die ARPA vom Beginn ihrer Existenz an verfolgen.
Die ARPA und die Informatik
Trotz dieser Schwierigkeiten begann die ARPA 1962 auch damit, die Computerwissenschaften zu fördern und damit eine jener Funktionen zu erfüllen, die Killian ihr zugedacht hatte. Um die Vorgehensweise der ARPA verstehen zu können, empfiehlt es sich, einen Blick auf ihre Direktoren zu werfen und die Rollen, die sie im Verlauf der Entwicklung der Behörde gespielt haben. Die Jahre 1961 bis 1963 unter der Leitung von Jack Ruina gelten dabei als richtungsweisend.
So heißt es auch im Barber-Bericht: "Unter Ruina entwickelte sich der Stil der ARPA. Der Direktorenposten lag in den Händen eines Zivilisten und Wissenschaftlers, der den technischen Leitern viel Freiraum gab, starke und intelligente Leiter für die Technikabteilungen anheuerte, Bürokratie und Management in die Schranken wies und bei der Anwerbung von Mitarbeitern und Vertragspartnern größten Wert auf hohe Qualität legte."
Auftritt Licklider
In die 31 Monate von Ruinas Amtszeit fiel auch der Start des Computerforschungsprogramms. Das Forschungsgebiet der Computerwissenschaften war der ARPA im Juni 1961 zugewiesen worden, ursprünglich hatte es Command and Control Research [CCR] geheißen. Ziel dieser Forschung war es, "den Umgang von Menschen mit Maschinen in Organisationen und Informationssystemen besser verstehen zu lernen, sowie neue Technologien in der Datenverarbeitung zu erproben und darüber hinaus ein Rechenzentrum zu unterhalten".
Da die Computerwissenschaften 1961 noch jung waren, hatten die Streitkräfte noch keine eingefahrenen Programme auf diesem Gebiet etabliert, was dazu führte, dass es hier kaum Hindernisse in Forschung und Entwicklung gab. Schon früh warb Ruina den renommierten Forscher J.C.R. Licklider an, einen Experten auf dem Gebiet der Psychoakustik. Licklider hatte grundlegende Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Mensch-Maschine-Interaktion geleistet und Modelle zur Verarbeitung akustischer Eindrücke im menschlichen Gehirn erstellt.
Interaktion oder Stapelverarbeitung
Lickliders Ansicht nach konnte es nur dann einen Fortschritt im Umgang mit Computern und deren Einsatz in Kommando- und Kontrollstrukturen geben, wenn die Informatik sich auf radikal neue Konzepte einließe.
Er engagierte sich besonders in der Entwicklung interaktiver Benutzerschnittstellen, wie wir sie heute kennen. Damals üblich war die Programmierung via Lochkarten, Stapelverarbeitung genannt.
Kommunikation statt Befehle
Ruina ließ Licklider freie Hand bei der Entwicklung des Informatik-Forschungsprogramms. Killians Vorschlägen folgend, leitete Licklider die Gründung einer Reihe von Forschungszentren an verschiedenen Universitäten in die Wege. Jedes dieser Zentren hatte sich auf ein bestimmtes Gebiet der Informatik zu konzentrieren.
Licklider verschob den Schwerpunkt der ARPA-Computerforschung weg von der Unterstützung bestehender militärischer Kommandostrukturen und dem Aufbau von Manöversimulationen hin zur Entwicklung interaktiver Mehrbenutzer-Computersysteme, Computergrafik und neuer Programmiersprachen – und Computernetzwerken.
Geburt des IPTO
Anfang 1964 wurde das Büro für Computerwissenschaften der ARPA in Information Processing Techniques Office [IPTO] umbenannt, was die Änderungen widerspiegeln sollte, die Licklider eingeführt hatte. Das IPTO richtete zahlreiche Forschungsstellen ein, darunter Project MAC am MIT und an der Carnegie-Mellon-Universität.
Dieses sollte nach den Vorstellungen Lickliders "darauf hinarbeiten, ein Gleichgewicht in der Informationstechnologie zu schaffen und den Menschen die Rechenkraft des Computers zunutze zu machen".
Quelle:
Ronda Hauben, "Computer Science and the Role of Government in Creating the Internet" Part III "Centers of Excellence and Creating Resource Sharing Networks"
Das ARPANET
Auch andere Forschungszentren wurden von Licklider ins Leben gerufen, darunter eines, das sich mit Computergrafik beschäftigte. Obwohl die Entwicklung von Computernetzwerken Teil von Lickliders Plan für seine beiden ersten Jahre bei der ARPA war, erwies es sich noch als zu früh, dieses Forschungsthema anzugehen. Der Barber-Report feiert Lickliders Initiativen trotzdem als "wichtigste Unterstützer und vielleicht die wichtigste Kraft in der Geschichte der Computertechnik".
Lickliders Innovation bestand darin, den Computer nicht nur als Rechenmaschine zu verstehen. Diese Idee, wahrscheinlich die bedeutendste in der Geschichte der ARPA, führte zur bedeutendsten Phase in der Entwicklung der Computertechnik am IPTO, denn man begann dort, den Computer auch als Kommunikationsgerät aufzufassen – die Grundlage für die Erfindung von Netzwerken auf Basis von Paketvermittlung, also des ab 1967 geplanten ARPANET, des Protokolls TCP/IP und damit des Internets.
"Der entscheidende Impuls, dafür, den Computer nicht mehr als Rechner, sondern als Kommunikationsgerät zu verstehen, kam aus der universitären Forschungsgemeinschaft", schrieb Michael Hauben in einem Papier über die Entstehung des Internet-Vorläufers ARPANET.
Quellen:
Michael Hauben, "Behind the Net: the Untold History of the ARPANET and Computer Science", in "Netizens: On the History and Impact of Usenet and the Internet"
Ronda Hauben, "The Internet: On its International Origins and Collaborative Vision [A Work in Progress]"
Konflikte innerhalb der ARPA
Die Geschichte der ARPA ist jedoch auch die permanenter interner Konflikte sowie eines nicht enden wollenden Streits um die Ziele der Organisation zwischen den Militärs und den zivilen Forschern. Um 1970 begann das wissenschaftliche Personal des IPTO unter ernsthaften Beschränkungen zu leiden.
Am 23. März 1972 verordnete das Verteidigungsministerium der ARPA eine neue Geschäftsordnung. Die Behörde sollte fortan Defense Advanced Research Projects Agency [DARPA] heißen. Mit dieser Umwidmung fiel auch der wichtigste Schutz der Behörde vor den Begehrlichkeiten der Teilstreitkräfte weg, fortan war sie nicht mehr direkt dem Verteidigungsminister unterstellt.
Charles Herzfeld, Direktor der ARPA von 1965 bis 1967, zu den einschneidenden Folgen dieses Schritts für die Agentur: "Als die ARPA 1958 gegründet wurde, unterstand sie unmittelbar dem Verteidigungsminister. Im Verlauf der 60er Jahre wurde sie immer stärker und effizienter. In den 70er und 80er Jahren schrumpfte sie auf die Rolle eines Forschungslabors der Beschaffungsabteilung zusammen, das sich zuallererst um die Konstruktion und den Kauf von Waffen kümmert."
Quelle:
Charles Herzfeld, "How the change agent has changed", "Nature", vol 451, January 24, 2008, p. 404.
Die Bürokratie schlägt zurück
Auch J.C.R. Licklider war von diesen Änderungen irritiert, als er im Januar 1974 als Direktor des IPTO zur ARPA zurückkehrte. Zuviel hatte sich verändert. Er musste feststellen, dass es nun "viel weniger Möglichkeiten gab, neue Projekte anzuschieben. Der damalige ARPA-Direktor hatte die fixe Idee, dass ein Projektantrag nur dann akzeptabel sei, wenn der Ablauf der Tätigkeiten exakt in ihm niedergelegt war.
Ich glaube, er war der Ansicht, dass ein Vorschlag umso besser war, je mehr genau definierte Projektabschnitte in ihm definiert waren. Alle Vorschläge mussten auf diese Art heruntergebrochen und neu verfasst werden."
Quelle:
Thomas Bartee, ed. Expert Systems and Artificial Intelligence, Indianapolis, 1988, p. 225. See Ronda Hauben, "Computer Science and the Role of Government in Creating the Internet" ARPA/IPTO (1962-1986): Creating the Needed Interface, p. 19.
Vernachlässigte Forschung
In einer E-Mail, die Licklider im April 1975 an verschiedene Wissenschaftler des IPTO schickte, heißt es: "Es herrscht derzeit eine Tendenz in der ARPA, die mich betroffen macht und von der auch Sie alle erfasst sein werden. Dabei handelt es sich darum, dass die Leitung der ARPA die Bedeutung der Grundlagenforschung immer mehr zugunsten der angewandten Forschung vernachlässigt, um die anstehenden konkreten Probleme des Verteidigungsministeriums zu lösen."
Quelle:
Adele Goldberg, "The History of Personal Workstations", ACM, N.Y. 1988, p. 129.
See also Ronda Hauben, "The Birth and Development of the ARPANET" in "Michael Hauben and Ronda Hauben, Netizens: On the History and Impact of Usenet and the Internet", John Wiley and Sons, 1997.
Versagen der Organisation
Auch der Barber-Bericht weist darauf hin, wie wichtig es für die ARPA und ihre Rolle in der Unterstützung von Grundlagenforschung war, direkt dem Verteidigungsminister zugeordnet zu sein: "Im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens unterhielten die Chefs der ARPA direkte Beziehungen zum Verteidigungsminister und platzierten ihre Behörde als einzigartige Organisation innerhalb des Ministeriums. Das machte sie gewissermaßen immun gegenüber den zahlreichen Begehrlichkeiten der Teilstreitkräfte und anderer Abteilungen des Ministeriums."
Doch bereits Ende der 60er Jahre wurde diese Protektion abgeschwächt und der Handlungsspielraum der ARPA eingeschränkt. Die Autoren des Barber-Berichts zeigten sich von dieser Entwicklung kaum überrascht, aber sie sind doch darüber irritiert, wie wenig sich die Führung des Verteidigungsministeriums darum kümmert. Sie stellen "einen relativen Mangel an Diskussionen" über die Veränderungen rund um die ARPA fest.
Ein Fazit
Im Rahmen des fünfzigsten Geburtstags der ARPA wird der Geschichte und Expertise dieser Organisation wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Blick auf die Entwicklung der ARPA zeigt, wie wichtig Grundlagenforschung ist.
Die Behörde hat in den vergangenen fünfzig Jahren zahlreiche Belege dafür vorgelegt, dass James Killian und seine Unterstützer mit ihrem Konzept, den Schwerpunkt auf Förderung nicht unmittelbar zweckgebundener Forschung zu legen, richtig lagen. Die Politik hat freilich erst der Sputnik-Schock von der Relevanz dieser Argumente überzeugen können, sodass die ARPA sich zu Beginn tatsächlich der Grundlagenforschung hat widmen können.
IPTO und Militär
Die besondere Organisationsstruktur der ARPA ermöglichte erst die von Licklider angekurbelten Entwicklungen auf dem Gebiet der Informatik, die wiederum beweisen, wie wichtig Grundlagenforschung auch für die Computerwissenschaften ist. Das IPTO unterstützte zahlreiche Forschungsprojekte, darunter eines mit weitreichenden Folgen.
Das IPTO brachte keine Anwendungen hervor, die spezifisch auf die Bedürfnisse des Militärs zugeschnitten waren. Das IPTO unterstützte keine streng militärische Forschung. Wer dieses Faktum übersieht, wird auch weiterhin den Fehler machen, wichtige Entwicklungen in der Geschichte des Computers auf militärische Forschungsbestrebungen zurückzuführen.
Der militärische Mythos
So ist der Mythos immer noch weit verbreitet, dass die Entwicklung des Internet auf eine Zielvorgabe der Militärs zurückzuführen sei, nämlich ein Computernetzwerk zu schaffen, das einen Atomkrieg überstehen könne. Das ist eine Falschinformation, die bedauerlicherweise immer noch im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert ist.
Dass dieser Mythos entstehen konnte, ist darauf zurückzuführen, dass nur wenige verstanden haben, dass die ARPA keineswegs zu dem Zweck gegründet worden ist, Forschung zu finanzieren, die unmittelbar zu militärischen Anwendungen führen sollte. Sie ist dazu gegründet worden, Grundlagenforschung zu fördern, die zu neuen Konzepten und Ideen führen sollte. Aus diesen wiederum hätten auch militärische Anwendungen hervorgehen können, aber sie waren zuallererst dazu gedacht, der Allgemeinheit zu nützen.
Offene Horizonte
Es dürfte klar sein, dass eine Forschung, die ausschließlich zu dem Zweck betrieben wird, militärische Produkte hervorzubringen, nicht über den Horizont ihrer Zeit hinausgehen kann.
Das Schlusswort zum Theman ARPA, IPTO und Grundlagenforschung sei hier Alan Perlis gewährt, einem der Wissenschaftler am IPTO: "Wir verdanken der ARPA viel, weil sie uns damals keine Beschränkungen auferlegt hat. Aus meiner Sicht ist es die Aufgabe des Militärs, die ARPA zu unterstützen, deren Aufgabe es wiederum ist, für die Forschung da zu sein."
Quelle:
Adele Goldberg: The History of Personal Workstations. ACM, N. Y. 1988, p. 129.
Siehe auch Ronda Hauben: The Birth and Development of the ARPANET. In: Michael Hauben and Ronda Hauben, Netizens: On the History and Impact of Usenet and the Internet. John Wiley and Sons, 1997.
(futurezone | Ronda Hauben | Übers.: Günter Hack)