ELGA: "Grundsatzfragen nicht gelöst"

08.05.2008

Die Ärztekammer hat Zweifel daran angemeldet, ob eine Elektronische Gesundheitsakte sinnvoll sei, in der Patienten allein darüber entscheiden könnten, welche Aspekte ihrer Krankheitsgeschichte ein Arzt sehen dürfe. Die Apotheker wollen ihren "Arzneimittel-Sicherheitsgurt" bis Ende 2009 ELGA-kompatibel implementiert haben.

"Herr Auer vom Gesundheitsministerium hat versucht, den Zustand einer heilen Welt darzustellen", sagte Otto Pjeta, für die Elektronische Gesundheitsakte [ELGA] zuständiger Referent bei der Österreichischen Ärztekammer [ÖAK], auf Anfrage von ORF.at. "Dabei sind bei der ELGA Grundsatzfragen immer noch nicht gelöst."

Clemens Auer, für die ELGA zuständiger Sektionsleiter im Gesundheitsministerium, hatte vorigen Mittwoch in Wien gemeinsam mit dem niederösterreichischen Patientenanwalt Gerald Bachinger die Grundzüge und den Fahrplan für die Einführung der ELGA vorgestellt.

Bachinger und Auer hatten bei der Präsentation besonders großen Wert auf die Feststellung gelegt, dass die Patienten in dem neuen System, dessen Aufbau bereits im Herbst 2008 starten soll, die Hoheit über ihre Daten haben würden. So soll der Patient genau bestimmen können, wer im Netzwerk welche Aspekte seiner Krankheitsgeschichte einsehen dürfe.

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"Nettes Spielzeug"

"Damit ist die ELGA ein nettes Spielzeug, mehr aber nicht", so Pjeta. Wenn der Patient gegenüber dem Arzt wichtige Aspekte seiner Krankheitsgeschichte oder Medikation verbergen könne, dann könnten die Ärzte ihn nicht optimal behandeln. "Der Patient hat die volle Kontrolle über die Daten. Er kann machen, was er will. Die Ärzte aber gar nichts", gibt der Vertreter der Ärztekammer zu bedenken. Zudem seien auch andere Fragen des Datenschutzes nicht gelöst: "Auch die Apotheker sollen Zugriff auf die Krankheitsgeschichten erhalten. Es ist noch nicht geklärt, wer welche Zugriffsrechte bekommt."

Auch ob sich die Einrichtung des Systems wirklich rentiere, sei noch längst nicht geklärt. Bisher hatte die zuständige ARGE ELGA für die Einführungskosten die Zahl von 30 Millionen Euro in den Raum gestellt. Die ersten Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Studie seien gestern einzelnen Mitgliedern der verschiedenen ELGA-Arbeitsgruppen vorgestellt worden. Zitieren lassen will sich Pjeta mit den Zahlen nicht, denn: "Es gibt bei diesen Präsentationen keine schriftlichen Unterlagen. Wir haben mehrmals dagegen protestiert. Der Prozess ist völlig intransparent."

Pjeta weist darauf hin, dass es in verschiedenen ELGA-Arbeitsgruppen aber auch große Fortschritte gegeben habe. So gebe es breiten Konsens über die Datenstruktur der Befunde und den Umgang mit Labor- und Radiologiedaten. Ob der am Mittwoch vorgestellte Zeitplan unter den genannten Umständen eingehalten werden könne, mochte Pjeta noch nicht sagen, verwies dabei aber nochmals darauf, dass aus Sicht der Ärzte die Grundsatzfragen der Datenhoheit noch nicht geklärt seien.

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Arzneimittel-Sicherheitsgurt

Seitens der Apotheker geben sich Wolfgang Gerold und Gottfried Bahr, Obleute der Pharmazeutischen Gehaltskasse, gelassen. Die Pharmazeutische Gehaltskasse betreibt das Rechenzentrum der Apotheken und hat gemeinsam mit der Apothekerkammer den Arzneimittel-Sicherheitsgurt eingerichtet. Der Arzneimittel-Sicherheitsgurt ist ein Datenbanksystem, das den teilnehmenden Patienten und ihren Apothekern eventuelle Unverträglichkeiten zwischen den Medikamenten anzeigt, die sie konsumieren. "Wir haben immer gesagt, wir bauen das erste Stück ELGA", so Gerold.

Dieses System, das bereits seit rund eineinhalb Jahren in Salzburg erprobt wird, soll nun Teil des ELGA-Konzepts werden. "Das Salzburger System war noch selbst gestrickt", sagt Gerold. "Wir haben eine Ausschreibung für ein neues System gemacht, die Siemens gewonnen hat." Das neue System soll die Anforderungen der ELGA erfüllen. Ab Juni soll intensiv daran gearbeitet werden, der erste Probelauf des neuen Systems soll im Herbst 2008 starten, den Start in allen österreichischen Apotheken erwartet Gerold für Ende 2009.

Die Kosten

"Das Testsystem für Salzburg mit 71 teilnehmenden Apotheken hat rund eine Million Euro gekostet", sagt Gerold. "Der Start des neuen Systems wird 4,5 Millionen Euro kosten. Diese Summe umfasst die Kosten für Hardware, Software und Schulungen. Die Betriebskosten veranschlagen wir auf 700.000 Euro jährlich." Finanziert wird das System von den Beiträgen der Apotheker. Wenn es voll ausgebaut ist, sollen auch Ärzte und Apotheker auf die Daten zugreifen können.

Schwieriger ist es schon, den Nutzen zu beziffern. "Studien aus anderen Ländern weisen darauf hin, dass man Ausgaben in Höhe von 150 Millionen Euro sparen kann", so Gerold. "Es ist aber schwer, den Nutzen genau anzugeben."

Opt-out "kein Problem"

Probleme mit dem Opt-out durch Patienten sieht Gerold nicht. "Der Patient übernimmt die Verantwortung, er muss der oberste Souverän sein. Wenn er nicht will, dass der Kauf einer Packung Viagra im System vorkommt, dann muss er das ausblenden können." Die Akzeptanz des Systems werde über die Jahre kommen.

Die Patienten müssten nicht daran teilnehmen, sie hätten aber große Vorteile davon. "Vor allem ältere Menschen, die täglich viele verschiedene Medikamente einnehmen müssen, können damit vor unerwünschten Wechselwirkungen gewarnt werden", so Gerold. Beim Arzneimittel-Sicherheitsgurt funktioniert die E-Card des Patienten als Schlüssel, der Dienstleister kann nur auf die Datenbank zugreifen, wenn die Karte eingesteckt ist.

"Es wird nichts auf der Karte gespeichert, sie dient nur zur Identifikation des Patienten", sagt Gerold. Auch die Bürgerkartenfunktion muss auf der E-Card nicht aktiviert sein, um den Arzneimittel-Sicherheitsgurt nutzen zu können. Die Datenschutzkommission hat bereits dem Salzburger Testsystem einen Datenschutzbescheid erteilt. Eine rechtliche Absicherung gegen Missbrauch der Medikamentenverbrauchsdaten solle im Gehaltskassengesetz und später auch im ELGA-Gesetz verankert werden, so Gerold.

(futurezone | Günter Hack)