Anfang und Ende der E-Mail
Betagte Protokolle, fehlende Verschlüsselung, Spam: Die Liste der Probleme im E-Mail-Verkehr ist lang. Kulturinformatiker und Techniksoziologe Paul Ferdinand Siegert sieht das System der elektronischen Post im Internet in einer historischen Krise.
Angeblich schrieb der amerikanische Programmierer Ray Tomlinson 1971 die erste E-Mail. Tomlinson arbeitete damals für Bolt Beranek and Newman, eine US-amerikanische Firma, die für das Verteidigungsministerium ein Computernetz aufbauen sollte: das Arpanet, aus dem später das Internet werden sollte.
Anfang der 70er Jahre, als Computer noch so klobig wie mittelgroße Einbauschränke waren, waren gerade einmal zwei Dutzend Rechner miteinander vernetzt. "tomlinson@bbntenexa" lautete damals Ray Tomlinsons erste elektronische Adresse.
Kurze Adresse
BBN war die Abkürzung für Bolt Beranek and Newman, und Tenex hieß damals das Betriebssystem, auf dem die Rechner seiner Firma liefen. Das genügte als Adresse im jungen Netz. Kein .com, kein .org, kein .at hing damals dran, die heute bekannte Organisation des Internets nach Domains kam erst später dazu.
Der Inhalt von Tomlinsons erster Mail ergab nicht mehr Sinn als heutige Spam-Mails. Es war nur eine zufällige Reihe von Buchstaben und Zahlen. Sie kam auch nicht sehr weit. Tomlinson schickte sie von einem Großrechner auf den anderen, die im selben Raum standen.
Verständigung auf Großrechnern
Eine gute Anekdote. Sie stimmt aber nicht ganz, meint der Kulturwissenschaftler Paul Ferdinand Siegert, der an der Universität Lüneburg forscht und vor kurzem ein Buch zur Geschichte der E-Mail geschrieben hat. Tomlinson versandte nicht die erste elektronische Nachricht, sondern es war nur die erste Mail, die über das Arpanet gesendet wurde.
E-Mails gab es aber schon länger. Die Kommunikation über Computer setzte nämlich zu dem Zeitpunkt ein, als mehrere Rechner miteinander verbunden waren, und das war bereits in den frühen 60er Jahren der Fall.
In den 60ern und 70ern waren die Nutzer der elektronischen Post hauptsächlich Programmierer und Entwickler, die an Universitäten oder Forschungseinrichtungen saßen und mehr aus Jux versuchten, über ihre Computer miteinander zu kommunizieren, und gleichzeitig den Dienst entwickelten. Allerdings wurde die Entwicklung elektronischer Textnachrichtensysteme nie als offizielles Projekt der ARPA gefördert.
Buchtipp:
Paul Ferdinand Siegert: Die Geschichte der E-Mail. Erfolg und Krise eines Massenmediums, transcript 2008.
Klassiker SMTP
Die teuren Forschungsnetze waren schlichtweg viel zu aufwendig, um so einen Dienst zu legitimieren. Es entstand ein Wildwuchs an Mail-Software-Entwicklungen und Protokollen, bis sich ab den 80er Jahren das Simple Mail Transfer Protocol [SMTP] als technischer Standard international durchsetzte.
Wie der Name schon sagt, war das Sendeverfahren technisch bewusst sehr einfach gehalten, damit es für den noch relativ überschaubaren Kreis an Systemadministratoren leicht zu implementieren war. Allerdings auf Kosten der Sicherheit. Denn aufwendige Authentifizierungs- und Verschlüsselungsfeatures waren aufgrund des kleinen Nutzerkreises damals nicht notwenig.
Seit den 90er Jahren, als E-Mail-Programme in jedes Büro einzogen, hat der Nutzerkreis explosionsartig zugenommen - und dementsprechend das E-Mail-Aufkommen.
E-Mail am Ende
Heute steckt die E-Mail aus diesen Gründen in einer Krise, sagt Siegert. Denn die Zeiten haben sich geändert, das SMTP ist im Wesentlichen aber gleich geblieben. Aufgrund der von Haus aus fehlenden Authentifizierung und Verschlüsselung, die mühsam nachgerüstet werden müssten, häufen sich deshalb Phishing- und Spam-Attacken.
Manche prognostizieren gar, dass die E-Mail bald von anderen Kommunikationsmitteln wie dem Instant Messaging oder dem Wiki verdrängt wird. So schnell wird sich die gute alte E-Mail aber nicht ins Abseits drängen lassen.
Sonntag Abend in Radio Ö1
Mehr zu diesem Thema hören Sie am Sonntag, den 8. Juni 2008, um 22:30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "Matrix".
(matrix | Anna Masoner)