Linux oder die Kunst, ein Motorrad zu warten
Die Bewegung für freie und Open-Source-Software [FLOSS] steht für Offenheit, Freiheit, eine alternative Sichtweise auf Informationstechnologie und vielleicht auch das Leben. Doch gerade in dieser Szene ist der Anteil an Frauen unter den Entwicklern ausgesprochen gering.
Einer im Jahr 2006 erschienenen Studie zufolge liegt der Frauenanteil in der FLOSS-Entwicklerszene bei unter 1,5 Prozent. Die an der Universität Cambridge verfasste Studie kommt zu einem vernichtenden Urteil, was die Gender-Sensibilität bei den Open-Source-Entwicklern betrifft.
"Werk der Liebe"
In der FLOSS-Community gilt das Schreiben von Software als "Werk der Liebe", eine nahezu altruistische Tätigkeit zum Wohle der Menschheit - und zur Verbesserung und Erweiterung des Universums freier Software. Die Arbeit erfolgt unbezahlt und freiwillig. Teilnehmen kann, wer will und dazu in der Lage ist.
Abgesehen von den technischen Fähigkeiten und vorhandener freier Zeit gibt es keine besonderen Hürden. Frau braucht sich nicht bewerben, sondern trägt einfach zu einem existierenden Projekt etwas bei oder startet ein eigenes. So problemlos und meritokratisch sieht es zumindest der männliche Teil der Community.
Laut der Cambridge-Studie werden Frauen jedoch aktiv ausgeschlossen, anstatt einfach nur passiv desinteressiert zu sein. Die Gründe für die Ausschließung lägen vor allem in den kulturellen und sozialen Dynamiken der FLOSS-Communitys, schreiben die Autoren der Studie.
Die dunkle Seite der Hacker-Ethik
Paradoxerweise ist es gerade die in FLOSS-Communitys kultivierte Hacker-Ethik, die zu den stärksten Ausschlussgründen zählt. Mann sieht sich selbst als außerhalb des gesellschaftlichen Mainstreams positioniert, ein schweigsamer Linux-Indianer mit schwarzem Notebook, der in die Tiefen des Kernels geblickt hat und nur in äußersten Notfällen den Mund aufmacht.
Die Frauen hingegen werden eher mit dem gesellschaftlichen Mainstream assoziiert. Wenn sich Frauen in die FLOSS-Communitys einbringen, indem sie z. B. Dokumentationen, Manuals und HowTos schreiben oder Workshops organisieren, dann werden diese Tätigkeiten als sekundär gegenüber dem Schreiben von Code angesehen. Nur der schmallippige Coder genießt wirklich Ansehen in der Hacker-Bruderschaft.
Open Source und Attraktivität
Genau dabei beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn diese angeblich weiblichen Tätigkeiten sind eigentlich dringend nötig, um die Software attraktiver für alle zu machen, die nicht bereits zur Hacker-Elite zählen - also z. B. auch mehr Frauen.
Mehr Frauen in der Szene würden wiederum eventuell einen Einfluss auch auf die Art der Software haben, die entwickelt wird, argumentieren die Autoren der EU-Studie. Die gesamte Infrastruktur ist auf die Grundannahme aufgebaut, dass alle Teilnehmer eine lange Geschichte im Umgang mit Computern haben. Frauen kommen jedoch nachweisbar erst später zum Computer und werden dann oft auch noch weniger gefördert.
Wirtschaftliche Nachteile
Die Ergebnisse der EU-Studie werden durch eigene Recherchen gestützt. Neben sexistischen Verhaltensweisen in männerdominierten Foren und Mailinglisten sind es kulturelle Prägungen und wirtschaftliche Nachteile, die es Frauen erschweren, sich bei Hacker-Communitys einzubringen.
Dass manche es aber doch schaffen, wie die Informatikerin und Künstlerin Eva Trischak mit ihrem GPS- und Stadtprojekt 4816oder Uschi Reiter, die Leiterin von Servus.at und Organisatorin der Linzer Linuxtage, sollte auch anderen zur Vorbildwirkung dienen können. Beide interessieren sich übrigens auch für Motorräder, Gokarts, Autos und andere schnell bewegliche Dinge, was auch den Titel dieses Artikels inspirierte.
Grabenkämpfe aufgeben
Obwohl das Problem nach wie vor besteht, ist die Problematik zumindest auch bei männlichen Entwicklern zu einem wichtigen Anliegen geworden. Keines der großen Linux-Projekte, ob Apache, Debian oder Ubuntu, kommt mehr ohne eigene Frauenforen und Mailinglisten aus. Doch auch hier gibt es Bedenken seitens radikaleren Frauen, in ein Ghetto abgeschoben zu werden.
Debian Women genießt besonderes Ansehen, weil hier auch Männer mitmachen dürfen. Gerade die egalitären und meritokratischen Prinzipien der Open-Source-Bewegung sollten eine Ghettobildung vermeiden und die gemeinsamen Ideale betonen, anstatt das Trennende.
Und so manche Hackerin programmiert vielleicht im Verborgenen, ohne sich als Haeckse, wie sich die Damen vom CCC zu nennen pflegen, zu outen. So könnte es also durchaus sein, dass man in einigen Jahren feststellt, dass es viel mehr programmierende Frauen gibt, als man derzeit annimmt.
(matrix | Armin Medosch)