Das Microblogger-Manifest
Eine Reihe von Internet-Aktivisten will restriktive Web-2.0-Plattformen durch freie Alternativen ersetzen. Microblogging-Anbieter Twitter.com bekommt die Konkurrenz als Erster zu spüren.
Apache, Linux, MySQL: Freie Software ist heute aus dem Internet nicht mehr wegzudenken. Die meisten Web-Server nutzen freie Software, und mit Firefox wird Open Source auch unter Endnutzern immer beliebter. Viele Netznutzer bekommen von der oft beschworenen Freiheit quelloffener Software trotzdem nichts zu spüren.
Gerade im Web 2.0 setzen Online-Anbieter gerne auf restriktive Nutzungsbedingungen. Da sichert sich ein auf Linux-Servern laufender Online-Fotodienst schon mal pauschal das kostenlose Weiternutzungsrecht aller Bilder in allen Medien und für alle Ewigkeit. Oder ein soziales Netzwerk verbietet seinen Nutzern, die Daten ihrer Kontakte zu exportieren - und das, obwohl die eigene Open-Source-Datenbank das problemlos zuließe.
Am Anfang stand ein Manifest
Im März dieses Jahres trafen sich rund ein Dutzend Internet-Aktivisten in den Räumen der Free Software Foundation [FSF] in Boston, um nach einer Lösung für derartige Probleme zu suchen. Mit dabei: Vertreter von Creative Commons, der Open Knowledge Foundation, der FSF selbst und eine Reihe unabhängiger Programmierer und Open-Source-Vordenker.
Ein erstes Ergebnis des Treffens war das Franklin Street Statement - eine Art Manifest für freie Internet-Dienste, benannt nach der Adresse des FSF-Büros im Herzen Bostons. In dem Dokument heißt es unter anderem, dass der Trend zu zentralisierten Internet-Diensten erhebliche Auswirkungen auf freie Software und die Autonomie ihrer Nutzer habe.
"Einer der Punkte des Statements ist, dass wir selbst noch keine Antworten auf diesen Trend gefunden haben", erklärt Evan Prodromou, der im März an dem FSF-Treffen teilnahm. "Wir sind nicht in einer Position, von der aus wir Leuten sagen können: Ihr solltet dieses und jenes machen." Stattdessen wolle man mit dem Dokument Vorschläge zur Entwicklung freier Online-Dienste geben und gleichzeitig eine umfassendere Diskussion zu Freiheit und Autonomie im Web 2.0 auslösen.
Bisherige Lizenzen überdenken
Die Teilnehmer des Treffens haben dazu mittlerweile unter der Adresse Autonomo.us eine Online-Plattform eingerichtet, die dieser Diskussion mit einem Blog und einem Wiki eine Heimat bietet will. Zu den Bloggern der Site gehören neben Prodromou auch der Reddit-Mitbegründer Aaron Swartz und der Open-Source-Aktivist Bradley Kuhn, der unter anderem an der Entstehung der neuen AGPL-Open-Source-Lizenz beteiligt war.
Die AGPL-Lizenz verpflichtet Anbieter von Online-Diensten dazu, auch den Quelltext von Web-Anwendungen frei verfügbar zu machen. Das Franklin Street Statement empfiehlt Entwicklern denn auch, ihre Werke unter den Bedingungen der AGPL zu lizenzieren. "Wir sind uns allerdings nicht sicher, ob das wirklich alle Probleme löst", gibt Prodromou zu. "Ein Dienst kann freie Software nutzen und freie Inhalte anbieten, aber dann deine privaten Daten an Spammer weiterverkaufen. Vielleicht brachen wir so etwas wie freie Endnutzer-Lizenzverträge."
APIs sind nicht genug
Einige Kritiker haben in der Vergangenheit argumentiert, das klassische Open-Source-Lizenzen im Web 2.0 generell an Bedeutung verlieren. Wichtiger sei, dass Dienste wie Facebook, Flickr und Twitter Entwicklern API-Schnittstellen zur Verfügung stellten, mit denen diese dann beispielsweise Flickrs Fotos in ihre eigenen Plattformen einbinden können.
"Das Argument hat etwas für sich", gibt Prodromou zu. Entwickler nutzen APIs für viele interessante Mashups. Facebook sei jedoch ein gutes Beispiel für die Grenzen dieser Freiheit. "Du darfst ihre API nutzen, solange ihnen gefällt, was du damit machst." Prodromou verweist dazu auf Googles Friend Connect - einen Dienst, der Bloggern Zugriff auf Facebooks Daten geben wollte. Facebook sah darin einen Verstoß gegen seine Nutzungsbedingungen und sperrte Friend Connect kurzerhand aus. "Es ist eine offene Plattform - bis du hinausgeschmissen wirst", so Prodromous Fazit.
Googles Friend Connect ermöglicht Bloggern, ihren Lesern Möglichkeiten zur Vernetzung anzubieten. Teil des Angebots war die Idee, dass Leser auf einen Blick sehen können, wer ihrer Facebook-Freunde das gleiche Blog liest. Friend Connect befindet sich seit Mitte Mai in einem geschlossenen Betatest, besitzt jedoch keine Anbindung an Facebook mehr.
Eine freie Twitter-Alternative
Einer der Grundgedanken des Franklin Street Statements ist, freie Alternativen für derart limitierte Dienste zu schaffen. Prodromou nahm sich diesen Vorsatz zu Herzen und entwickelte im Frühsommer das Microblogging-System Laconica. Im Juli startete er dann auf der Basis von Laconica die Website Identi.ca, um damit dem beliebten Microblogging-Dienst Twitter Konkurrenz zu machen. Die Reaktion darauf war überwältigend: "Wir hatten innerhalb der ersten 36 Stunden 10.000 Nutzer", berichtet Prodromou.
Identi.ca ermöglicht wie Twitter, bis zu 140 Zeichen lange Nachrichten an Freunde und Bekannte zu verschicken. Anders als Twitter setzt Identi.ca dazu jedoch auf eine Netzwerkarchitektur. Nutzer können ihren Kontakten auch dann Nachrichten schicken, wenn diese auf einer anderen Microblogging-Plattform aktiv sind.
Identi.ca setzt dazu auf einen neuen Standard zur Vernetzung derartiger Dienste. Bisher wird dieser Standard nur vom Laconica-System genutzt, von dem es neben Identi.ca mittlerweile rund 50 weitere Installationen gibt. Prodromou weiß jedoch zu berichten, dass andere Anbieter bereits Interesse an der Implementierung des Standards gezeigt haben.
Twitter nicht so ernst nehmen
Ein Grund dafür ist, dass Twitter selbst immer wieder Probleme mit seinem eigenen Erfolg hat. Zehntausende von Nutzern mit hunderttausenden von Nachrichten zwingen Twitters Server regelmäßig in die Knie. Prodromou kann nicht versprechen, dass Identi.ca nicht irgendwann das gleiche Schicksal blüht. Doch die Vernetzung mit anderen Diensten würde die Auswirkungen solcher Ausfälle minimieren, erklärt er: "In einem vernetzten System funktioniert das Netzwerk weiter, wenn ein Node ausfällt."
Gleichzeitig gehe es ihm bei Identi.ca nicht darum, eine Lösung für Twitters Stabilitätsprobleme zu finden. "Mein Ziel war nicht in erster Linie ein vernetztes Twitter", so Prodromou. "Mein Ziel war ein Open-Source-Twitter." Die Aufregung um Twitters regelmäßige Ausfälle verfolgt er denn auch eher mit Amüsement: "Viele Leute nehmen Twitter einfach viel zu ernst."
(Janko Röttgers)