WiFi-Befreiung und Spam-Opfer-Casting

13.09.2008

Der Medienkünstler Jonah Brucker-Cohen hinterfragt das technische und soziale Regelwerk von Netzwerken und sucht nach subversiven Möglichkeiten der vernetzten Kommunikation.

Was passiert, wenn sich ein Teilnehmer ein offenes drahtloses Netzwerk komplett unter den Nagel reißt? Dieser Frage geht Brucker-Cohens Projekt WiFi-Hog nach. Das System für tragbare Computer, das aus einer Netzwerkkarte und einem Portable Video Jammer [PVJ] besteht, hindert andere daran, offene Netzwerke zu nutzen und lässt lediglich Datenpakete passieren, die die IP-Adresse des WiFi-Hoggers als Ausgangs- oder Zielpunkt haben.

Mit WiFi-Hog [2003] und dem Nachfolgeprojekt WiFi-Liberator [2007], einem Tool-Kit, das Pay-per-Use-Netzwerke für die Allgemeinheit öffnet, wolle er den Kampf um freie Funkfrequenzen thematiseren, sagt Brucker Cohen zu ORF.at. Mit der zunehmenden Dichte von Netzwerken im öffentlichen Raum komme es vermehrt zu Konflikten zwischen kommerziellen Betreibern und Anbietern freier Zugänge. Unternehmen würden durch das übermäßige Beanspruchen von Frequenzbändern versuchen, freie Alternativen zu verdrängen.

Die Kosten für die Errichtung von WiFi-Netzwerken würden ständig sinken, so Brucker-Cohen. Die Unternehmen sollten ihre Netzwerke öffnen, da der Umsatz, den sie mit gebührenpflichtigen Angeboten machen, ohnehin zu vernachlässigen sei. Es sei nicht einzusehen, warum Unternehmen für solche Dienstleistungen Gebühren einheben: "Die Nutzung der Toiletten bei Starbucks ist ja auch kostenlos."

Jonah Brucker-Cohen

Vergangene Woche war der in New York lebende Medienkünstler bei der Ars Electronica in Linz zu Gast, wo er beim Festivalsymposion zum Thema "A New Cultural Economy" über WiFi-Hog und andere Möglichkeiten des subversiven Spiels mit Netzwerken sprach

"Subversive Anwendungen finden"

"Ich bin an allen Aspekten von Netzwerken interessiert, von den technischen Grundlagen bis hin zu ihren Nutzungsweisen", sagt Brucker-Cohen: "Ich suche nach Regeln, hinterfrage sie und versuche, Konfliktpunkte zu finden und subversive Anwendungen aufzuzeigen.

BumpNet [2005], ein "drahtloses Netzwerk für die Entschlossenen", lässt nur eine genau definierte Anzahl von Clients in einem Netzwerk zu. Loggen sich neue Nutzer ein, fliegen andere raus. "Es ist interessant zu sehen, wie sehr sich Änderungen eines Parameters auf die Funktionsweise des gesamten Netzwerks auswirken", meint Brucker-Cohen, der mit BumpList dasselbe Schema 2003 bereits auf Mailing-Listen anwendete.

Spam und kollaboratives Filtern

PleaseSpam.us [2007] beschäftigt sich mit dem kollaborativen Filtern, wie es auf Seiten wie digg zur Anwendung kommt, und mit Online-Reputationssystemen: "Wenn etwas in diesen Systemen hoch gereiht wird, bedeutet das, dass es wichtig ist. Ich verwende Spam als einen Indikator und drehe die ganze Sache um", erläutert Brucker-Cohen.

Bei PleaseSpam.us konnten Nutzer E-Mail-Adressen vorschlagen und über ihre Attraktivität für Spammer abstimmen. Die ausgewählten Adressen wurden auf einer Website veröffentlicht, die so gebaut war, dass sie Spambots anlockten, die dann für die Aussendung von Massen-Mails sorgten.

Selbstreferenzielle Blog-Maschine

Der Google Alert Loop [2008] kommt fast gänzlich ohne menschliche Beteiligung aus. Dabei werden Google Alerts, Mail-Nachrichten, die von Google automatisiert versendet werden, wenn bestimmte Stichwörter auf Newssites und Weblogs vorkommen, automatisch auf einem Blog veröffentlicht.

Irgendwann publiziere das Blog seine eigenen Posting immer wieder, so Brucker-Cohen: "Das Projekt solle die Idee des unmittelbaren Publizierens in Weblogs hinterfragen", so Brucker-Cohen, der selbst ein Weblog betreibt und eine Zeit lang auch auf dem populären US-Techblog Gizmodo in der "Gizmodo Gallery" Medienkunstprojekte präsentierte.

Dass die vernetzte Kommunikation künftig ganz ohne menschliche Beteiligung auskommen und nur noch aus dem Austausch der Maschinen untereinander bestehen könnte, glaubt er nicht: "Die Menschen müssen den Anstoß geben."

"Netzwerke passen sich an"

Brucker-Cohens nächstes Projekt Thwonk, das in einigen Monaten veröffentlicht werden soll, will schließlich die Nutzer die Regeln in sozialen Netzwerken selbst bestimmen lassen, anstatt "sklavisch vorgegebene Regeln zu befolgen".

Netzwerke der Zukunft werden sich sowohl auf Software- als auch auf Hardware-Ebene ihren Nutzern anpassen, ist Brucker-Cohen überzeugt: "Sie werden von unseren Nutzungsweisen lernen."

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(futurezone | Patrick Dax)