Flugdaten-Weitergabe wird absurd
Seit gestern ist ein US-Gesetz in Kraft, das allen ausländischen Fluglinien mit Flügen aus den bzw. in die USA vorschreibt, ihr gesamtes Buchungssystem für US-Zollbehörden vollständig zu öffnen.
Die USA verlangen dabei von der EU einen direkten Zugang in Echtzeit zu den Buchungssystemen aller betroffenen Fluglinien.
Nach derzeitigem Stand der Dinge sieht es allerdings so aus, als ob weder die EU-Kommission noch die europäischen Airlines ein schlüssiges Konzept haben, wie mit den US-Forderungen umzugehen wäre.
Dabei sind von beiden Seiten höchst widersprüchliche Meldungen zu vernehmen, die insgesamt eigentlich nur den Schluss zulassen, dass sich derzeit alle Beteiligten um eine "praktische" Lösung der Causa bemühen, aber niemand weiß, wie das zu bewerkstelligen ist.
Was die Vertreter der EU-Kommission mit den US-Zollbehörden am 17. und 18. Februar in Brüssel ausgehandelt haben, geht weit über das Liefern von Passagierlisten [Passenger Name Records, PNR] hinaus. Die US-Zollbehörden verlangen keine Passagierlisten, sondern direkten Vollzugang zu allen Buchungs- und Reservierungsdatenbanken aller Airlines, die auch die USA anfliegen.
EU-Flugdaten für die NSAOffiziell alles geregelt
Gegenüber der dpa hat die EU-Kommission gestern ein Statement abgegeben, das sich so anhört, als komme man den Forderungen der Amerikaner voll und ganz nach.
Die Zoll- und Grenzschutzbehörde der USA erhält demnach seit Mittwoch Zugang zu den Passagierdaten europäischer Luftverkehrslinien. Die Daten dürften nur zur Bekämpfung des Terrorismus erfasst und verwendet werden, betonte die Brüsseler Behörde.
Gegenüber den betroffenen Fluglinien wurde allerdings im Widerspruch dazu die Empfehlung ausgesprochen, das US-Gesetz vorerst schlichtweg zu ignorieren ["operate and violate"].
Die Besorgnis über das "veritable rechtliche Dilemma" und "provozierte Rechtsunsicherheit" - wie aus dem Kreis der EU-Verhandler zu hören ist - paart sich mit zunehmender Empörung über die Vorgehensweise der USA.
EU auf Kollisionskurs mit den USAProtest gegen ein Phantom
Der Berliner CDU-Europaabgeordnete Ingo Schmitt warf der Kommission gestern trotz der praktischen Anweisungen an die Fluglinien vor, sich über europäisches Recht hinweggesetzt zu haben. Auskünfte über Kreditkartennummern, Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder sogar über die bestellten Mahlzeiten seien überzogen, kritisierte Schmitt.
Ob Schmitt dabei schlicht über die Praxis des "operate and violate" nicht informiert ist, oder ob er hier schon weiteren Verhandlungen vorgreift, bleibt dabei völlig unklar.
Wie in US-Passagierdaten nach "Terroristen" gesucht wird:
Computer Assisted Passenger Pre-Screening"Fluglinien bereiten sich vor
Die europäischen Fluglinien bereiten sich unterdessen auf eine Teilweitergabe der Passagierdaten vor.
Dabei gehen sie offensichtlich davon aus, dass der Vollzugriff auf ihre Buchungssystem nicht stattfinden wird, sondern jeweils nur die Buchungsdaten von US-Reisenden einzeln weitergeleitet werden.
Von der AUA ist zu hören, dass man sich derzeit technisch auf die Weiterleitung rüstet.
Die Lufthansa hat gestern bereits ihre Vertriebspartner informiert, dass zukünftig die Zustimmung der Passagiere für den Ticketkauf unbedingt erforderlich sei.
Die AUA hat auch ihre "Amerika-Wochen" von ihrer Frontpage genommen. Ob das mit der Flugdatenaffaire zusammenhängt, ist allerdings nicht bekannt.
AUAVon der Lufthansa war laut "Heise" auch zu hören, dass ein Vollzugriff auf das Lufthansa-Buchungssystem "technisch" machbar sei. Gleichzeitig schränkt das Unternehmen aber ein, dass selbstverständlich keine Weitergabe weiterführender Daten, wie beispielsweise aus dem Bonussystem, erfolgen werde.
LufthansaPraxis wird spannend
Wie und in welchem Umfang Passagierdaten an die US-Behörden weitergegeben werden, ist derzeit also weiter offen. Ein Vollzugriff auf die Buchungssysteme mit den Daten aller Passagiere scheint derzeit aber nicht mehr realistisch.
Die Praxis der nächsten Monate dürfte auf jeden Fall spannend werden, da auch "nur" die gezielte Weitergabe der Datensätze einzelner Passagiere in vielen EU-Ländern - darunter auch Österreich - schlicht mit nationalen Gesetzen im Zweifelsfall nicht vereinbar ist:
So kann die Zustimmung der Datenweitergabe durch den Passagier beim Ticketkauf verweigert werden, was nach derzeitigem Stand zu einer rechtlich fraglichen Beförderungsverweigerung führen dürfte.
Ein Passagier kann seine Einwilligung aber auch jederzeit nachträglich zurückziehen, was für die Fluglinie eine noch prekärere Situation schaffen würde.
Auf die ersten - unweigerlich kommenden - Prozesse darf man also gespannt sein.