"Orwell war gestern, heute ist Telekom"
Ganz wohl scheint es sogar den Karlsruher Verfassungshütern nicht gewesen zu sein bei dem Urteil, das sie am Mittwoch zur Erfassung von Telefondaten unbescholtener Journalisten fällten. Zwar darf die Polizei nun weiterhin heimlich alle Gespräche eines Journalisten registrieren, wenn anhand dieser Daten womöglich ein Schwerkrimineller dingfest gemacht werden kann.
Doch angesichts der Flut abgehörter Telefonate und erfasster Telefondaten beschleicht sogar die Verfassungsrichter inzwischen "ein Gefühl des Überwachtwerdens".
Jeder Telekom-Nutzer gerät laut BVG innerhalb von drei Tagen durchschnittlich zwei Mal ins Netz der Datenfahnder. "Orwells Überwachungsstaat war gestern, heute ist Telekom", sagte ein Fahnder der Kriminalpolizei nach der Urteilsverkündung.
Welche Erkenntnisse die Polizei allein aus den rund 80 Tage gespeicherten Verbindungsdaten der von einem Telefonanschluss abgehenden Gespräche gewinnen kann, ohne direkt mithören zu müssen, ist "erschreckend" [AFP]: Laut Bundesverfassungsgericht lassen sich aus diesen Daten intime Kenntnisse über das soziale Umfeld des Telefonierenden gewinnen. Wird jemand auf dem Handy angerufen, sei zudem der Ort, an dem der Betreffende das Gespräch führt, oft metergenau zu orten.
DT liefert Daten
Selbst die Verbindungsdaten aller bei einer bestimmten Nummer eingehenden Telefongespräche können bei der so genannten Zielwahlsuche problemlos erfasst werden.
Dazu überprüft etwa der Computer der Deutschen Telekom jedes der rund 216 Millionen täglich in ihrem Netz geführten Gespräche. 72 Stunden lang werden die Daten ankommender Gespräche jeweils gespeichert und in diesem Zeitraum im Durchschnitt zwei Mal von der Polizei zu Fahndungszwecken überprüft.
Mit diesen Methoden waren auch die Telefone der beiden Journalisten überprüft worden, die vor dem BVG geklagt hatten.

Laxe Richter
Laut BVG kommt es jetzt auf die saubere Arbeit der Ermittlungsrichter an, wenn angesichts von inzwischen mehr als 23.000 Telefonmitschnitten - die Zahl hat sich seit 1995 verfünffacht - und einer unbekannten Zahl bei der Erfassung von Verbindungsdaten "Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens" entstehen.
Doch glaubt man einer Studie der Universität Bielefeld, dann scheint die Mehrzahl der Ermittlungsrichter ihre Kontrollpflichten, auf die das BVG so sehr setzt, zu vernachlässigen: Von mehr als 500 untersuchten Telefonüberwachungen sei jede einzelne juristisch anfechtbar gewesen.
Der von der AFP zitierte Kripo-Beamte empfiehlt deshalb allen Journalisten und misstrauischen Bürgern, bei sensiblen Telefonaten auf öffentliche Telefonzellen oder besser noch Telefonläden mit vielen Kabinen auszuweichen.
Zumeist hätten die Richter die Abhöranträge der Staatsanwälte nicht detailliert überprüft, sondern mehr oder weniger abgeschrieben oder einfach unterschrieben, bilanzierte der Wissenschaftler Otto Backes. Von Verhältnismäßigkeit also kaum eine Spur.