© APA/Shawn Thew, Michael Chertoff sprechend und mit der Hand artikulierend.

Heimatschützer in der Klemme

BIOMETRIE
05.01.2009

Laut US-Rechnungshof kann das US-Heimatschutzministerium nicht sagen, ob und wann das automatisierte Biometriesystem für Ein- und Ausreisende (US VISIT) wie geplant funktionieren wird. Heimatschutzminister Michael Chertoff konnte bis zum Ende seiner Amtszeit jene Vorgaben nicht umsetzen, die er zuvor seit 2001 als oberster Terrorstrafverfolger der USA selbst formuliert hatte.

Wenn der neue Präsident der USA, Barack Obama, Mitte Jänner sein Amt antritt, dann hat er neben all den Kriegen und Finanzkrisen ein zusätzliches, internes Großproblem am Hals.

Im Ministerium für Heimatschutz herrscht dringender Handlungsbedarf. Im Dezember legte der Rechnungshof GAO seine Evaluation des US-VISIT-Programms (United States Visitor and Immigrant Status Indicator Technology) nach fünf Jahren Laufzeit vor.

Laut dem Bericht ist äußerst ungewiß, ob das automatisierte Ein- und Ausreisesystem US-VISIT - Stichworte: Passagierdaten, Biometriepässe - je so funktionieren wird, wie es geplant war.

Letzte Erlässe

Im Juni erließ der Heimatschutzminister neue Regeln für Reisende. Jene Informationen, die bisher an Bord der Maschinen in Formulare eingetragen wurden, müssen nun 72 Stunden vor dem Abflug online über eine Website des Ministeriums eingeben. Ab Jänner 2009 soll das verpflichtend werden.

Im Juli hatte Chertoff in Crystal City, Virginia, das neue Zentrum für die "Koordination des Schutzes geistigen Eigentums" eröffnet.

- Heimatschutz für "geistiges Eigentum"

Die Mängelliste

Nur einer von 13 Problempunkten, in denen US-VISIT die gesetzlichen Vorgaben seit Jahren nicht umsetzen konnte, wurde zufriedenstellend gelöst, neun weitere wurden mit "teilweise umgesetzt" und drei als "nicht genügend" klassifiziert.

Der Finanzplan für US-VISIT habe nicht definiert, für welche Zwecke man das Budget in Zukunft verwenden werde, auch fehle es an "Milestones", an deren Erreichung die Ausschüttung dieser Steuergelder verknüpft sein müsse, kritisiert der Rechnungshof.

200.000 Angestellte

Ein weiterer der als "ungenügend" eingestuften Punkte betrifft Personalkosten und -management. Der Inhalt kurz zusammengefasst: Der für "Human Ressources" zuständige Chief Officer habe keinen Überblick, wie viel Personal zur Verfügung stehe und wie es um dessen Qualifikation bestellt sei, so der GAO-Report.

Das Ministerum für Heimatschutz ist nach dem Verteidigungsministerium und jenem für Veteranen mit 200.000 Angestellten das drittgrößte Ressort der amtierenden Regierung.

Fehlende Exit-Strategie

Das dritte Hauptproblem ist paradoxerweise identisch mit jenem des Irak-Krieges: Es fehlte von Anfang an eine realistische Exit-Strategie.

Nach wenigen Seiten Lektüre dieses umfangreichen Berichts (139 Seiten) fällt auf, wie häufig das Wort "Exit" im Text auftaucht, denn genau das ist bei US-VISIT ein schier unlösbares Problem.

Die RFID-Posse

Bei drei kalifornischen Grenzübergängen wurde ein System eingerichtet, das mit recht primitiven RFID-Tags (Radio Frequency Identification Tags = Funkchips) arbeitet, die in die Visa integriert wurden. Auf diesen Chips befindet sich nur eine Prüfsumme, also ein Zahlencode, über den ein Eintrag in der zentralen IDENT-Datenbank eindeutig einer Person zuordenbar wird.

Diese Chips sollten bei Grenzübertritt im Vorbeifahren ausgelesen werden. Da es Funk so an sich hat, dass Verbindungen in einem Faraday'schen Käfig, also beispielsweise in einem Auto, schlecht funktionieren, war die Trefferrate unter 20 Prozent. Also erhöhte man die Sendeleistung, worauf Einreisende als Ausreisende und umgekehrt registriert wurden.

Da damit im besten Fall erfasst wird, welches Visum im betreffenden Wagen ist, aber nicht, welche Person(en) damit ausreist, lässt sich das wohl kaum als biometrische Identifikation und Überprüfung eines Ausreisenden bezeichnen.

Das ganze System zielt in erster Linie darauf ab, Personen mit abgelaufenen Visa automatisch zu identifizieren, da abgelaufene Visa ein Merkmal der Flugzeugattentäter von 2001 gewesen waren. Dass sich im US-VISIT-Netz dann auch kleinere Fische wie illegal Einwandernde verfangen würden, sollte der willkommene Nebennutzen sein.

Wer kontrolliert?

Nur eins war bei einem Programm, das vollständig auf der Zeitmessung von Ein- und Ausreisekontrollen basiert, stets ungeklärt geblieben: wer nämlich die Kontrollen bei der Ausreise durchführt.

Auch hier müssen dieselben Regeln wie bei der Einreise gelten, nämlich biometrische Kontrollen durchgeführt werden, denn Kernstück des Systems ist die zentrale IDENT-Datenbank, die automatisch berechnet, ob sich die Person legal im Land aufgehalten hat oder nicht.

Die Pläne des Ministeriums, alle Fluglinien zu Ausreisekontrollen zu verpflichten, würde "weniger Sicherheit und Datenschutz" auch für Staatsbürger der USA bedeuten, schreibt dazu der Rechnungshof.

Aeroflot für den Heimatschutz

Was in diesem Bericht, der nur die öffentliche, mit dem Heimatschutzministerium abgestimmte Version eines Geheimberichts darstellt, nicht explizit steht: Das würde bedeuten, dass Unternehmen wie Aeroflot und Air China direkt an die zentralen Datenbanken des US-Ministeriums für Heimatschutz angeschlossen werden.

Der Fingerprint-Flop

Nach Chertoffs legistischen Vorgaben wurde die Abnahme von Fingerabdrücken für alle Einreisenden vorgeschrieben, aufgrund des Zeitdrucks entschied man sich für ein Zweifingersystem, bei dem die Abdrücke flach aufliegend erfasst werden. Bei aufwendigeren Systemen werden die Finger auf den Scannern "abgerollt" und damit genauer erfasst. Vergeblich hatten der NSA nahestehende Biometrie-Spezialisten 2002 vor einem grundlegenden Designfehler gewarnt:

"Zwei Finger flach" werden auch mit hohem Aufwand nicht für einen automatischen Abgleich mit einer großen Zahl von aufgerollten Zehnfingerdatensätzen tauglich sein. Dieses Format benutzt das AFIS-System des FBI, die größte Fingerprintdatenbank der Welt.

Alsbald erwies die Praxis, dass es am Zoll nicht möglich war, anhand des Fingerabdrucksvergleichs beim FBI zu eruieren, ob eine einreisende Person eine kriminelle Vergangenheit hat oder nicht.

Deshalb wird jetzt auf ein Zehnfingerverfahren umgestellt, auch das ist nach dem Bericht des Rechnungshofs schwer in Verzug.

- US VISIT offiziell: "The Benefits of Biometrics"

Was die Landgrenzübergänge betrifft, so gibt es in San Ysidro, einem der geschäftigsten Grenzorte zu Kalifornien, 24 Fahrspuren mit Kontrollkabinen für einreisende Pkws. Bei den sechs Ausreisespuren sind in den Anlagen strukturell Kontrollen nicht vorgesehen.

Die Landgrenze

Erst versuchte man seitens der Heimatschützer, sich über die gesetzlichen Vorgaben zu biometrischen Ausreisekontrollen durch den Einsatz von Funkchips hinwegzuschummeln, was nach Auffliegen zur Streichung der betreffenden Pilotprojekte führte. Dann erwog man doch einen Umbau.

Für San Ysidro merkte der Rechnungshof 2007 an, dass zusätzliche 18 Fahrspuren auf der Ausreise-Seite nötig seien, der Übergang aber in dicht verbautem Industriegebiet liege. Eine völlige Neuerrichtung des Übergangs ein paar Kilometer weiter sei womöglich billiger, hieß es.

Das freilich ist nicht der einzige grundlegende Designfehler eines Systems, das auf den Biometrievorgaben des Notstandsgesetzes USA PATRIOT Act basiert, dessen Koautor Michael Chertoff heißt.

Das Fazit

Nach fünf Jahren könne US VISIT weder einen Zeitplan für die Implementierung eines funktionierenden Austrittskontrollsystems vorlegen noch einen Nachweis erbringen, dass ein solches System binnen fünf Jahren implementierbar sei, hieß es.

Chertoff konnte also bis zum Ende seiner Amtszeit 2009 jene Vorgaben nicht erfüllen, die der damals oberste US-Strafverfolger in Sachen Terrorimus, Chertoff, ab Oktober 2001 im PATRIOT ACT vorgelegt hatte.

(futurezone/Erich Moechel)