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Big Brother und seine Beobachter

BÜRGERRECHTE
14.10.2009

Am Freitag verleihen die deutschen Organisatoren der Big Brother Awards zum zehnten Mal ihre Anti-Oscars für Datenjunkies. Futurezone.ORF.at sprach mit Rena Tangens, Organisatorin der ersten Stunde, über die Bedrohungslage in Sachen Datenschutz, gute und böse Innenminister und die in jeder Hinsicht schreckliche Langeweile beim Anblick des 150. Arbeitgeber-Überwachungsskandals.

Zur Person:

Rena Tangens ist Künstlerin. Gemeinsam mit ihrem Partner padeluun hat sie den Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) gegründet, seit 1987 eine der wichtigsten Keimzellen der Netzkultur in Deutschland. Der FoeBuD ist Veranstalter der deutschen Big Brother Awards und engagiert sich dafür, dass die Bürgerrechte im digitalen Zeitalter gestärkt werden.

ORF.at: Wie ist es dazu gekommen, dass der FoeBuD die deutschen Big Brother Awards ausrichtet?

Rena Tangens: Den FoeBuD gibt es schon seit 1987 als Verein, der sich kreativ und kritisch mit Technik auseinandersetzt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es im Jahr 2000 mit den Big Brother Awards losging. Die Journalistin Christiane Schulzki-Haddouti hat im Herbst 1999 zu einem Artikel über den Big Brother Award recherchiert, ich glaube sogar, über den in Österreich, weil es den schon ein Jahr früher gab als unseren. Sie hat bei uns angerufen und uns gefragt: "Warum gibt es denn das in Deutschland nicht?" Zufälligerweise saßen wir ohnehin gerade bei einer Besprechung des Vereins und sagten spontan: super Idee! Na klar, machen wir! Und die Ankündigung, dass der FoeBuD im nächsten Jahr die Big Brother Awards in Deutschland organisieren wird, stand dann gleich in dem Artikel. Wir haben auch angekündigt, dass wir mit fachkundigen Leuten und Organisationen zusammenarbeiten wollen, mit dem Chaos Computer Club, mit dem Forum InformatikerInnen für den Frieden, dem Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG), der Humanistischen Union und der Internationalen Liga für Menschenrechte. Schnell hatten wir eine Gruppe von Leuten aus verschiedensten Bereichen der Gesellschaft zusammen: Datenschützer, Techniker, Juristen, Journalisten - eine bunte Mischung mit verschiedenen Anhaltspunkten und viel Hintergrundwissen. Wir haben acht Mitglieder in der Jury. Einige sind schon sehr lange dabei, wie Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte. Thilo Weichert, der heute Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein ist, war auch lange dabei, hat seine Funktion aber niedergelegt, als er sein neues Amt angetreten ist.

Big Brother Awards 2009

In Deutschland findet die Gala zur zehnten Verleihung der Big Brother Awards am Freitag, dem 16. Oktober von 18.00 bis 20.00 Uhr in der Hechelei in Bielefeld statt.

In Österreich findet die Verleihung der Big Brother Awards Austria am Sonntag, dem 25. Oktober im Theater Rabenhof in Wien statt. Einlass ab 19.00 Uhr, Beginn der Veranstaltung um 20.00 Uhr.

In der Schweiz laden die Veranstalter der Big Brother Awards - übrigens auch zum zehnten Mal - am Samstag, dem 24. Oktober ab 20.00 Uhr in die Zürcher Rote Fabrik ein. Vom 20. bis zum 24. Oktober gibt es in der Shedhalle der Roten Fabrik eine Aktionswoche zum Thema Überwachung und Bespitzelung.

ORF.at: Wenn Sie an die ersten Big Brother Awards zurückdenken: Was war damals anders als heute?

Tangens: Als wir angefangen haben, klangen die Proteste gegen die Volkszählung von 1984 nach. Wenn sich die Leute mit Datenschutz beschäftigt haben, sahen sie in erster Linie den Staat als Bedrohung an. Bei den ersten Big Brother Awards haben wir aber gezielt das Rabattkartensystem Payback in den Vordergrund gestellt. Das sah nämlich aus wie eine ganz harmlose Geschichte. Wir haben dann gezeigt, was die Betreiber mit den Daten der Kunden anstellen können und warum man solche Systeme nicht nutzen sollte. Es war damals sehr wichtig, diesen Punkt zu setzen, denn es war die Zeit der New Economy, und damals war es plötzlich so überwältigend wichtig, viel Geld zu verdienen, dass die Leute alles andere vergessen haben, auch den Aspekt, wie sich das Ganze finanzieren soll - und natürlich den Datenschutz. Jede Frage in diese Richtung wurde von den Firmen als bürokratisch abgewimmelt. Die Nutzer haben erst spät gemerkt, dass die Datenerfassung für sie negative Folgen haben könnte. Der Big Brother Award für Payback hat da eine große Schneise geschlagen. Wir haben gezeigt, dass die Wirtschaft noch detailliertere Daten nutzt als der Staat.

ORF.at: Das war aber noch vor den Anschlägen des 11. September 2001.

Tangens: 9/11, das war der Tiefschlag. Uns wurde schnell klar, dass eine bestimmte Sorte Sicherheitspolitiker nun alle Maßnahmen aus der Schublade holen würde, die sie sich schon die ganze Zeit gewünscht hatten. In Deutschland kamen die Otto-Kataloge, benannt nach dem damaligen Innenminister Otto Schily (SPD). Die Regierung hat eine ganze Reihe von Sicherheitsgesetzen beschlossen, von denen das Bundesverfassungsgericht viele gerügt und teilweise für verfassungswidrig erklärt hat. Das zeigt übrigens einen gewissen Verfall in der Rechtskultur der Legislative. Eigentlich muss schon im Gesetzgebungsprozess geprüft werden, ob das Gesetz verfassungskonform ist. Es muss verhältnismäßig sein, vor allem wenn es in die Grundrechte eingreift. Dieser Grundsatz wird schon seit langem nicht mehr befolgt. Man legt es darauf an, die Grenzen auszutesten, und wartet dann ab, ob jemand gegen das Gesetz klagt. Das ist schlechtes Handwerk und zeigt den Werteverfall bei den Politikern. Es ist eine Missachtung des Grundgesetzes.

ORF.at: Datenschutz galt zur Jahrtausendwende wohl noch als Expertenthema. Hat sich das seither geändert?

Tangens: Ich kann das nur mit den Anfängen im Umweltschutz vergleichen. Wer sich früh für den Umweltschutz engagiert hat, bekam auch immer zu hören: Entweder ihr wollt Industrialisierung und Zukunft - dann müsst ihr auch die Verschmutzung in Kauf nehmen. Oder ihr wollt zurück auf die Bäume. Uns wird heute auch weisgemacht, dass eine Informationsgesellschaft ohne Überwachung nicht möglich sei. Man tut so, als sei das ein Naturgesetz. Sie sagen: Ihr müsst das akzeptieren. Widerstand ist zwecklos. Das stimmt aber nicht.

ORF.at: Themen wie Datenschutz und Kontrollgesellschaft sind doch sehr abstrakt. Dennoch betreffen diese Fragen alle Menschen. Glauben Sie, dass es Ihnen gelungen ist, das Thema in die breitere Öffentlichkeit zu tragen?

Tangens: Wir haben auch an der Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung mitgearbeitet. Das wurde die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik mit über 34.000 Beschwerdeführern. Die hatten dabei durchaus einen Aufwand zu leisten, mussten ein langes Formular ausfüllen. Die Hürde war hoch. Wir haben uns in die Fußgängerzone gestellt mit einem Infostand zum Thema Vorratsdatenspeicherung. Als die Leute erfahren haben, was da vor sich geht, waren die entsetzt und haben gesagt: "Gib mal einen Packen Formulare her. Wir gehen in die Nachbarschaft." Die gehörten nicht zum Fachpublikum. Das waren keine Nerds. Alle Menschen, die telefonieren und übers Internet kommunizieren, sind von der Vorratsdatenspeicherung betroffen. Also haben sich viele angesprochen gefühlt. Zur letzten Großdemonstration "Freiheit statt Angst" am 12. September in Berlin hat eine breite Koalition von über 160 Organisationen aufgerufen, auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der Deutsche Gewerkschaftsbund, klassische Bürgerrechtsorganisationen und auch Parteien wie die Grünen, die FDP und die Linke und natürlich auch die Piraten.

ORF.at: Das Thema Bürgerrechte im digitalen Zeitalter war auch im vergangenen Bundestagswahlkampf überraschend präsent.

Tangens: Definitiv. Zu beobachten war das bei den Grünen, bei der FDP, etwas bei der Linken, und die Piraten haben das zu ihrem zentralen Thema gemacht. Dass die Piraten damit auf Anhieb zwei Prozent bekommen haben, ist ganz schön viel. Das schmerzt die anderen Parteien. Das Thema ist bei vielen Leuten angekommen. Wir merken, in allen Parteien gärt es - sie müssen sich damit befassen.

ORF.at: Sie haben auch anlässlich der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP eine Aktion gestartet.

Tangens: Der FoeBuD hat die FDP an ihre Wahlversprechen erinnert. Wir haben ein Papier mit Forderungen aufgestellt, in denen nochmals die Punkte aufgeführt sind, die wir für wichtig halten. Außerdem haben wir uns vor die Landesvertretung Nordrhein-Westfalens in Berlin gestellt, wo die Koalitionsverhandlungen stattfinden. Dort haben wir ein Transparent mit dem Slogan entrollt: "Bürgerrechte sind keine Verhandlungsmasse." Das hat es bis in die "Tagesschau" geschafft. Das Thema Bürgerrechte ist eine der Bruchlinien in der Koalition. Wir möchten hier Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP den Rücken stärken, die vielleicht Justizministerin wird. Ihr gegenüber steht die CDU, die gerne weitere Überwachungsgesetze beschließen würde, immerhin sitzt Innenminister Wolfgang Schäuble in der Verhandlungskommission. Wir werden der neuen Regierung hier genau auf die Finger schauen. Die Hauptverhandlungen finden übrigens am kommenden Wochenende statt, also genau nach der Big-Brother-Awards-Gala am Freitag.

ORF.at: Zurück zu den Big Brother Awards. Die klassische Frage lautet ja, ob überhaupt schon einmal einer der Preisträger seinen Award abgeholt hat.

Tangens: Das hat sich auch stark verändert. In den ersten Jahren dachten die Firmen und die Politiker noch: Das ist nicht ernst zu nehmen, das geht schon von selbst weg. Mittlerweile antworten die meisten Preisträger aber und versuchen, sich herauszureden. Zwei Preisträger haben auch ihre Datenschutzbeauftragten geschickt, die ihre Awards öffentlich entgegengenommen haben: Microsoft und die Deutsche Telekom. Die Firmen nehmen uns sehr ernst und sind entsprechend auf der Hut. Einmal kam kurz vor einer Gala ein eingeschriebener Brief der Firma Lidl, in dem sie uns indirekt mit einer Klage gedroht haben, falls wir unsere Begründung vortragen. Wir haben es natürlich trotzdem gemacht. Wir wussten, dass wir gut recherchiert haben und dass Lidl im Zweifelsfall vor Gericht verlieren würde. Sie haben nicht geklagt.

ORF.at: Datenschutzfragen werden schnell zu juristischen Problemen. Da sind Recherchen wichtig.

Tangens: Wir legen viel Wert auf gute Recherche. Wir arbeiten das ganze Jahr über, recherchieren viel. Am Ende bereiten wir den Juryreader vor, die Materialsammlung, die als Entscheidungsgrundlage dient. Die Jury hat dann zwei Wochen Zeit, die Fälle durchzugehen, und dann treffen wir uns und gehen einen Tag lang alles durch. Dieses Jahr mussten wir uns für zwei Tage treffen.

ORF.at: Weil es mehr Fälle gibt als früher?

Tangens: Ja, es sind mehr Fälle als früher. Wir haben diesmal inklusive Mehrfachnennungen fast 500 Einsendungen bekommen.

ORF.at: Ist das so, weil es mehr Datenskandale gibt oder weil die Leute stärker sensibilisiert sind und mehr melden?

Tangens: Beides. Es gibt ein gestiegenes Bewusstsein bei den Leuten, sie verlieren das Ohnmachtsgefühl und denken: Mal gucken, was ich dagegen machen kann. Auf der anderen Seite nehmen die Begehrlichkeiten ständig zu, weil die Daten so leicht verfügbar sind. Sie werden zu verschiedensten Zwecken verwendet, einfach weil sie da sind.

ORF.at: Das klingt nach einem Kampf, der nur schwer zu gewinnen ist.

Tangens: Klar. Bei der letzten Sitzung haben wir gemerkt, wir müssen auf uns besser aufpassen. Es sind so viele Geschichten, die sich ähneln. Da fällt schnell einmal ein Satz wie: "Oh, noch ein Fall von Arbeitnehmerüberwachung, von denen hatten wir doch schon so viele." Für einen selbst ist das vielleicht nicht mehr gravierend, aber es ist für die Leute wichtig, die es eingeschickt haben, man muss dranbleiben. Ansonsten denke ich, dass wir schon etwas bewirkt haben. Der größte Nutzen der Big Brother Awards besteht in der aufklärerischen Wirkung. Die Leute sollen verstehen, warum bestimmte Dinge gefährlich sind. Auch Politiker werden auf Handlungsbedarf aufmerksam gemacht, und einige Firmen verstehen, dass sie den Datenschutz nicht ignorieren können. In manchen Fällen dauert es, bis sich die Wirkung zeigt. Bei Payback hat es eine Wirkung gegeben, die wurden vom Verbraucherschutzverein geklagt wegen zwei Punkten in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Der Verein hat gewonnen, und Payback musste alle Teilnehmerformulare vom Markt nehmen. Da haben wir quasi Graffiti in den AGB hinterlassen. Da ist schon was passiert.

ORF.at: Aber es gibt auch Rückschläge.

Tangens: Sicher. Im Jahr 2000 standen IMSI-Catcher auf der Anschaffungsliste des Berliner Senats. Das sind Mobilfunk-Überwachungsgeräte, deren Betrieb damals noch illegal war. Nachdem wir darauf aufmerksam gemacht hatten, verschwanden die Geräte von der Liste. Die Politiker haben den Einsatz der IMSI-Catcher dann aber einfach durch ein neues Gesetz legalisiert. Dieses Muster kann man auch an anderen Stellen beobachten. So gab es einen Big Brother Award für T-Online, die in Deutschland auch bei Flatrate-Kunden die Verbindungsdaten gespeichert haben, obwohl das zu Abrechnungszwecken dabei ja nicht notwendig ist. Betroffene Kunden haben dagegen geklagt und gewonnen. Dann kam die Vorratsdatenspeicherung und machte das hinfällig. Da passiert etwas Illegales, und man gewinnt erst vor Gericht dagegen, dann kommen Politiker und machen ein Gesetz, um es doch noch zuzulassen.

ORF.at: Welcher Fall ist Ihnen als besonders hart in Erinnerung?

Tangens: Im Verbraucherbereich war das sicher der Feldversuch der Metro AG mit RFID-Schnüffelchiptechnologien im Future Store in Rheinberg. Den Award haben wir präventiv vergeben, weil wir wussten, was mit der Technik alles möglich ist, wenn jeder Artikel eine weltweit eindeutige Nummer hat. Ein halbes Jahr später haben wir dann herausgefunden, dass die Metro AG ihre Payback-Kundenkarten in diesem experimentellen Supermarkt mit RFID-Technologie ausgestattet hatte - und zwar ohne ihre Kunden darüber in Kenntnis zu setzen. 10.000 Kunden sind mit einer verwanzten Karte herumgelaufen. Wir haben den RFID-Chip in der Karte entdeckt und haben das veröffentlicht. Das ging sehr groß durch die Presse, auch international - sogar das staatliche japanische Fernsehen war hier. Und es fand Niederschlag in den Börsennachrichten. Seitdem sind viele Verbraucher in Deutschland über die Technik informiert, und Firmen wissen, dass RFID ohne Datenschutz nicht geht. Die gechipte Kundenkarte gehört zu den Szenarien der Industrie. Der Scanner erfasst den RFID-Chip in der Kundenkarte, wenn ihr Besitzer in den Laden kommt, und teilt dem Mann am Tresen mit, wer da vor ihm steht - und der weiß dann alles über den Kunden, obwohl er ihn noch nie zuvor gesehen hat. Das ist keine Horrorvision, das ist schon patentiert. Sie nennen es "Human Touch". Es gibt bereits ein Patent auf das Nachverfolgen von Personen anhand der RFID-gechipten Gegenstände, die diese bei sich tragen.

ORF.at: Erfährt dieser Einsatz auch Anerkennung?

Tangens: 2008 hat der FoeBuD die Theodor-Heuss-Medaille erhalten. Für die Big Brother Awards dieses Jahr hat uns Gerhart Baum ein Grußwort geschrieben. Er war Innenminister der Bundesrepublik Deutschland in einer recht spannenden Zeit. Heute führt er Verfassungsbeschwerden gegen den großen Lauschangriff, die Vorratsdatenspeicherung und ähnliche Pläne. "Die Zivilgesellschaft muss die Politiker aufrütteln", hat Baum geschrieben.

ORF.at: Zu Baums Zeiten war die RAF noch aktiv.

Tangens: Die Bedrohung durch die RAF war real, dennoch waren die Gesetze im Vergleich zu heute liberaler. Aber man kann noch weiter zurückgehen. Als das Grundgesetz geschrieben wurde, anno 1949, war die politische Lage in Europa sehr unsicher. Trotzdem hat man sich damals klar für die Bürgerrechte ausgesprochen. Wenn Wolfgang Schäuble heute behauptet, dass sich die Situation geändert habe, so ist das Humbug. Es ist heute so viel sicherer und friedlicher in Deutschland als damals. Bürgerrechte sind nicht ein Zuckerchen dafür, wenn alles gut läuft. Sie sind die Grundfesten unserer Gesellschaft.

ORF.at: Können Sie schon etwas über die Preisträger am Freitag verraten?

Tangens: Wir verraten nie etwas vor der Preisverleihung.

ORF.at: Eines der Prinzipien der ursprünglichen Big Brother Awards lautet: "Name them and shame them." Funktioniert das?

Tangens: Ja. Manchmal greifen Journalisten unsere Recherchen auf und erweitern sie. Da kann man viel machen.

ORF.at: Wie viele Mitglieder hat der FoeBuD eigentlich?

Tangens: Wir haben jede Woche ein Treffen bei uns, da kommen manchmal zehn, manchmal 20 Leute. Bei den Big Brother Awards kommen viele Leute und helfen. Das sind sicher um die 100 Personen. Als Organisation ist uns unsere Unabhängigkeit sehr wichtig. Wir bekommen keine staatliche Unterstützung, wir finanzieren uns über Spenden und Fördermitgliedschaften und über unseren Online-Shop, in dem wir Bücher und beispielsweise unseren Privacy-Dongle mit Verschlüsselungssoftware verkaufen.

ORF.at: Das Konzept zu den Big Brother Awards kam ursprünglich von der britischen Bürgerrechtsorganisation Privacy International. Funktioniert die internationale Vernetzung zwischen den verschiedenen Veranstaltern der Awards gut?

Tangens: Wir haben eine gemeinsame Mailingliste. Wir sind mit vielen Leuten in gutem Kontakt. Wir reichen auch Informationen weiter. Wenn einer mitbekommt, dass eine Firma in einem anderen Land etwas Böses tut, dann schreibt man eine "Überweisung". Europa ist ein komplexes Feld. Wir haben große Unterschriftensammlungen gegen die Vorratsdatenspeicherung organisiert und für den Datenschutz beim Einsatz von RFID-Chips haben wir an einem gemeinsamen Positionspapier von über 100 Organisationen mitgearbeitet. Das ist heute Pflichtlektüre in Handel und Industrie. Der internationale Austausch funktioniert gut.

ORF.at: Sie und FoeBuD-Mitgründer padeluun haben auch viele Kunstprojekte zusammen gemacht. Inwieweit lässt sich das mit der Arbeit an den Big Brother Awards vereinbaren?

Tangens: Wir stellen nach wie vor im Kunstkontext aus. Unser Konzept folgt einem Motto des französischen Komponisten Erik Satie: Art d'Ameublement. Es ging ihm darum, eine Hintergrundmusik zu schaffen, die sich nicht vordrängelt, die einen angenehmen Rahmen dafür schafft, dass sich Menschen wohlfühlen und selbst aktiv werden. Das wollen wir auch. Wir wollen keine Action auf der Bühne machen, sondern den Rahmen gestalten. Das gilt auch für die elektronische Kommunikation. Wir hatten eine Mailbox aufgesetzt, vor dem Internet-Boom, in der wir stark auf Verschlüsselung gesetzt haben. Normalerweise konnte jeder Betreiber alle Mails und Nachrichten mitlesen. Wir haben das systematisch unterbunden und versucht, Kommunikation über Software in angenehme Bahnen zu lenken. Irgendwann war das nicht mehr möglich, weil ab Mitte der 1990er Jahre zu viele verschiedene Nutzer ins Netz gegangen sind. Die Big Brother Awards waren die angemessene Fortsetzung dieses Projekts auf anderer Ebene. Es ist auch Rahmenbau. Ich denke, dass wir dafür kämpfen müssen, dass wir überhaupt noch frei kommunizieren können. Wenn alle Menschen das Gefühl haben, ständig überwacht zu werden, dann ändern sie ihr Verhalten. Sie nehmen Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit nicht mehr wahr, weil sie befürchten müssen, dass alles gespeichert wird. Sie denken: In fünf Jahren schadet mir mein Verhalten vielleicht im Job. Damit entsteht nicht nur persönlicher Schaden, sondern auch ein Schaden für die Allgemeinheit. Wenn immer mehr Menschen schweigen und sich zurückziehen, dann kommen auch keine Ideen mehr an die Öffentlichkeit. In der Gesellschaft findet keine Innovation mehr statt. Daher geht dieses Problem über die Feststellung "Meine Daten gehören mir" weit hinaus.

ORF.at: Wollen Sie mit den Big Brother Awards weitermachen?

Tangens: Wir haben auf der letzten Jurysitzung darüber gesprochen. Alle Mitglieder sagten, dass wir unbedingt weitermachen sollten.

(futurezone/Günter Hack)