Bootcamp für digitale Freiheitskämpfer
Es gibt Dinge, die man lernen kann, indem man Bücher liest oder Kurse besucht. Und es gibt Dinge, die entziehen sich völlig dieser Form von Bücherwissen. Man muss sie erlebt haben, um sie zu verstehen. Dazu zählen die Hackmeetings, die seit einem Jahrzehnt in Italien stattfinden. Teil eins der futurezone.ORF.at-Serie "Digitale Freiheitskämpfer".
Freie Software und Copyleft-Konzepte haben im Lauf der letzten Jahre die Welt verändert und die Grundlage für eine offene Wissensgesellschaft gelegt. In der Serie "Digitale Freiheitskämpfer" berichtet Armin Medosch von seinen Reisen, Recherchen und Erfahrungen mit Hacker-Projekten, die über den bloßen "Spaß am Gerät" hinausgehen.
Zugegeben, auch die alljährlich stattfindenden, immer größer werdenden Kongresse des CCC haben ihren Reiz, ebenso die Linuxwochen in Österreich. Doch die Hackmeetings, die im mediterranen Raum stattfinden, in Spanien, Italien, manchmal auch Kroatien, sind anders. Sie sind kleiner, bunter, lauter; sie sind mehr wie ein Familienfest, bei dem alle durcheinander reden, als eine Konferenz im üblichen Sinn.
Ein Blick zurück in den Herbst 2007. Schon am Vorabend waren die ersten Leute angereist und hatten irgendwie ihren Weg zu dem ehemals besetzten Jugendzentrum unweit des Bahnhofs von Pisa in einer etwas heruntergekommenen Industriezeile gefunden, ihre Geräte ausgepackt, ihre Schlafsäcke in eine Ecke geschmissen und begonnen die Tische zu organisieren, den Raum zu verkabeln, eine Volxküche, eine Bar und ein Soundsystem aufzubauen.
Gemeinsam kochen, gemeinsam denken
Kaum war die eher einfache Infrastruktur bereitgestellt, begannen die Leute, Ellbogen an Ellbogen, auf ihren Tastaturen herumzuklopfen, sich gegenseitig Sachen zu zeigen oder vorzuspielen oder einfach das zu tun, was sie sowieso immer tun. In den kleineren Nebenräumen gab es zwar ein Programm von verschiedenen Präsentationen, aber eine Agenda gab es nicht. Schon bald kam der Ruf, dass das Essen fertig sei, es gab verschiedene vegetarische Pastagerichte und die waren gar nicht schlecht, ebenso wie der Chianti direkt aus dem Weingarten, in Flaschen ohne Etiketten. Das Essen war nicht "frei" aber billig und selbstorganisiert. Und so war auch die ganze Veranstaltung. Es gab keine Teilnahmegebühr, doch wer wollte, konnte spenden. Alles schien immer am Rande des Chaos zu stehen, funktionierte aber dann auf wunderbare Weise doch.
Viele Leute glauben dass Freie, Libre und Open Source Software (FLOSS) deshalb "frei" ist, weil sie unter der GNU General Public Licence (GPL) herausgebracht wird. Die GPL ist sicher eine gute Sache, doch in Pisa wurde mir einmal mehr klar, dass es FLOSS nicht wegen der GPL gibt, sondern weil Menschen einen tief sitzenden Wunsch haben, Dinge miteinander zu teilen und gemeinsam zu genießen. Dem eine juristische Form zu geben, ist in unserer verrechtlichten Welt sicher nötig, aber eigentlich sekundär.
Human DHCP
Das bestätigte auch der links mir gegenüber sitzende Giorgio, einer der Mitorganisatoren, der mit weit aufgerissenen Augen schon den ganzen Abend Scripts für den Audioserver geschrieben hatte, so dass wir erstens unsere Playlists miteinander teilen und über die Anlage laut hören, und zweitens alles was in den Seminarräumen gesprochen wurde ebenfalls mithören konnten. Bei der freien Software geht es Menschen wie Giorgio weniger darum, übermenschliche "Skillz" unter Beweis zu stellen, als zwischenmenschliche Kommunikation über freie Plattformen zu ermöglichen, wie er mir erklärte.
Apropos zwischenmenschliche Kommunikation: der Abend war schon fortgeschritten, das Netz hatte eigentlich funktioniert aber plötzlich hieß es, wir müssten uns für "Human DHCP" anstellen. Was ist Human DHCP, werden Sie fragen? Die Abkürzung steht normalerweise für Dynamic Host Configuration Protocol, was bedeutet, dass einem Client in einem Netz automatisch die für die Verbindung nötigen Informationen wie IP-Nummer, Gateway und DNS-Server zugewiesen werden. In Pisa musste sich jeder Verbindungswillige selbst, also körperlich und ganz In Real Life (IRL) in einer langen Schlange anstellen und bekam dann von Hand eine IP-Nummer zugewiesen, so dass die Netzwerkadresse einer Nase zugeordnet werden konnte. Eine wirkliche sicherheitsrelevante Maßnahme stellte das nicht dar, doch es hat den Vorteil, dass "jeder zumindest einmal aufstehen muss und man in der langen Schlange miteinander ins Gespräch kommt" wie ein neben mir Anstehender erklärte.
Cookies der anderen Art
Die italienischen Hackmeetings gibt es seit 1998 und die "Veteranen" der Bewegung sind nun so Anfang 30. Viele kommen aus einem Umfeld von politischen und sozialen Bewegungen, aus den "centre sociali", den letzten noch verbliebenen autonomen Jugendzentren. Aber die Szene ist keineswegs homogen, wie ich sobald feststellen konnte, als sich gegenüber von mir zwei in Benetton und Lacoste gekleidete junge Burschen mit ihren nagelneuen Laptops installierten. Sie schienen, Oh Schreck!, ein proprietäres Betriebssystem zu benutzen. Ja, sie sind zum ersten Mal hier, bestätigten sie, und das war ihnen offenbar alles nicht ganz so geheuer. Wir hoffen, dass wir was lernen können, erklärten sie, und fragten prompt mich nach der Netzwerkkonfiguration. Ich bin doch nur Autor und gar kein richtiger Hacker. Ich wies ihnen den Weg zur menschlichen DHCP-Schlange.
Was allerdings ein "Hack" ist, darüber scheiden sich die Geister. Die Ladies von New Global Vision hatten sich kurz vor dem Pisa-Treffen in die Mailänder Modewoche "gehackt", fesch angezogen und bewaffnet mit einem Tablett voller kleiner brauner Kekse in Form von Scheißehäufchen. Diese boten sie der Punk-Modediva Vivienne Westwood an, was diese auch prompt annahm und alles auf Video festgehalten wurde. Die beiden Hackerinnen wollten so gegen die Verwendung von echten Tierpelzen in der internationalen Glamour-Modeszene protestieren. In Italien verbindet sich Hacking mit einer Reihe gesellschaftlicher Themen. Ganz hohe Priorität nimmt dabei die Opposition zu Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi ein und der Art, wie dieser die Vormachtstellung seines Medien-Konzerns für politische Zwecke benutzt.
Lieblingsgegner Berlusconi
Schon während Berlusconis erster, kurzlebiger Regierungsperiode 1994 hatte es den ersten "italienischen Hacker Crackdown" gegeben. Bei dieser Aktion, die als "Fidobust" in die Geschichte einging, wurden mehr als 170 Betreiber von Mailboxen, also Bulletin Board Systemen, von Razzien heimgesucht, auf Basis des Vorwurfs, diese dienten der Verbreitung raubkopierter Software. Tatsächlich handeltes es sich hauptsächlich um Freeware oder sogenannte Public Domain Software.
Viele dieser Mailboxen dienten jedoch im weitesten Sinne gesellschaftskritischen Gruppen oder Organisationen als Kommunikationssysteme, von Tier- und Umweltschützern über Organisationen für sexuelle Gleichberechtigung, bis hin zu alternativen Medien. Möglicherweise ging es der Staatsanwaltschaft also eher darum, Informationen über gesellschaftskritische Gruppen zu sammeln. Eine ähnliche Aktion wiederholte sich 1998, gefolgt von Versuchen, Indymedia Italia zu kriminalisieren, was seinen unrühmlichen Höhepunkt bei der extrem gewalttätigen Erstürmung des Independent Media Center im Rahmen der Anti-G8-Demonstrationen in Genua im Jahr 2001 fand.
WLAN-Brücke nach Nordafrika
Im Berlusconi-Italien kann scheinbar keine mediale Opposition geduldet werden, sei sie auch noch so klein. Umso wichtiger ist es deshalb für die italienische Hackerszene, freie Kommunikationskanäle aufzubauen und offen zu halten. Freie Medien sind allerdings nicht Selbstzweck sondern stehen in Verbindung mit sozialen Bewegungen, die etwa gegen Sexismus, Rassismus und Diskriminierung von MigrantInnen kämpfen. Ähnlich funktioniert das bei den Kollegen und Kolleginnen in Spanien, das zum Teil auch noch an einem autoritäten Hangover aus der Franco-Zeit leidet. Als Zeichen gegen die Anti-Migrationspolitik der EU bauten spanische Hacker eine WLAN-Brücke zwischen dem südspanischen Tarifa und dem marokkanischen Tanger auf.
Was nun ein "Hack" ist, wurde auch vom Key-Note-Sprecher der Pisa-Konferenz in eine andere Perspektive gerückt. In einem langen Vortrag berichtete Emmanuel Goldstein, Gründer des 2600 Hacker-Clubs aus New York, von den Repressionen des FBI gegen sogenannte Hacker in den USA seit den 1980er Jahren. Meistens habe es sich bei diesen "Hacks" ja eigentlich nur um Versuche gehandelt, irgendwie ins damals noch nicht öffentlich zugängliche Internet zu kommen, berichtete Goldstein. "Neugierde ist kein Verbrechen" lautet daher sein Motto.
Kriminalisierung der kritischen Experten
Die Geschichte der diversen Anti-Hacker-Operationen der US-Bundesbehörden und Polizeidienste, ausführlich geschildert auch von Bruce Sterling in seinem Klassiker "The Hacker Crackdown" lassen die Vermutung aufkommen, dass die Kriminalisierung der frühen Hackerszene einen politischen Hintergrund hat. Das Wissen unangepasster, von niemandem kontrollierter Computerexperten ist jenen eine Dorn im Auge, die das alleinige Monopol über die Definition von Wissen und Wahrheit behalten wollen. Computer und Netzwerke, als Schlüsseltechnologien des Informationszeitalters, sollen vor allem der Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen dienen und allenfalls noch den Geheimdiensten und anderen "legalen" Überwachungsbehörden.
Es ist also nur allzu opportun, jene zu kriminalisieren, die in diesem Bereich über unkonventionelles, tieferes Wissen verfügen. Ähnlich erging es vor nicht ganz 400 Jahren dem in Pisa geborenen Mathematiker und Astronomen Galileo Galilei, dessen experimentell erworbenes Wissen das Wahrheitsmonopol des Papstes in Frage stellte. Insbesondere seit 9/11, so Emmanuel Goldstein, ist eine Flut von Gesetzen erlassen worden, die jedes Erforschen von Netzwerklandschaften potentiell kriminalisieren.
Party als Universität
Es ist weit vorgeschrittene Stunde am Hackmeeting in Pisa. Die quirlige Freaknet-Crew hat einen VJ-Server aufgesetzt, der es erlaubt, vier Videostreams gleichzeitig auf die Leinwand zu zaubern. Lauter Elektro-Sound tönt aus den Boxen und eine südamerikanische Hackerin nutzt das System für eine VJ-Performance mittels Pure Data. Alles sieht eigentlich nach Party aus: ein großer Raum, halbdunkel, laute Musik, Visuals, dem guten Rotwein aus den Hügeln der Toskana wird reichlich zugesprochen, ebenso wie dem Bier und der Mate-Limonade.
Doch diese Hacker sind irgendwie "komisch". Sie tanzen nicht, sie feiern nicht, sie sitzen oder stehen neben den Computertischen, über die Bildschirme gebeugt, tauschen sich über Zeilen von Code aus, zeigen sich ihre kleineren und größeren Kunststücke, und das geht jetzt schon die zweite Nacht so! Der Wissensdurst ist unstillbar, so scheint es. Das Hackmeeting funktioniert wie ein elektrisch aufgeladenes Laboratorium, eine freie "Universität" für außergewöhnliches Wissen und autonome Technologien, außerhalb der staatlichen und privaten Bildungs-Institutionen. Es ist beinahe vier Uhr früh, als ich mich auf den Weg ins dankenswerter Weise bereitgestellte Privatquartier mache. Ein letzter Blick zurück bestätigt, dass die Intensität keineswegs am Nachlassen ist. Schwer aufgeladen mit intergalaktischem Hackerspirit kehre ich am nächsten Tag nach Hause zurück.
(Armin Medosch)