© ORF.at/Claudia Glechner, Schlot der thermischen Abfallbehandlungsanlage Spittelau

Fernkälte aus Müll gegen heiße IT-Anlagen

UMWELT
13.01.2010

Die Fernwärme Wien bietet seit August ein umweltschonendes Kühlmodell an: Abwärme und Energie aus der Abfallbehandlungsanlage Spittelau werden dazu genutzt, Fernkälte zu liefern. Das neue Kühlsystem, das rund 85 Prozent weniger CO2 produziert als herkömmliche Verfahren, ist neben Bürogebäuden auch für Rechenzentren interessant.

In einigen EU-Ländern übertreffen die sommerlichen Spitzen im Stromverbrauch mittlerweile jene im Winter. Schuld daran ist die zunehmende Verbreitung von Klimaanlagen. In den USA und Japan werden bereits 80 Prozent aller Büroflächen klimatisiert. "In Österreich und Europa sind es derzeit 50 Prozent, und der Bedarf, der uns bevorsteht, ist immens", sagte Ruth Strobl, Unternehmenssprecherin der Fernwärme Wien, gegenüber ORF.at. Dementsprechend groß sei der Markt für Klimatisierungssysteme.

Klimatisierung kein Luxus mehr

"Klimatisierung stellt keinen Luxus mehr dar", meint Strobl. Bei Bürogebäuden, die derzeit in Wien gebaut würden, sei Klimatisierung ein "absoluter Standard". Das habe wiederum auch mit der Architektur zu tun. "Gerade Bürogebäude mit Glasfassaden brauchen bei Sonneneinstrahlung ab einer Außentemperatur von rund sechs Grad bereits eine Kühlung." Würde auf das Glas verzichtet, könne der Bedarf um einiges reduziert werden.

Der Bedarf an Kühlenergie spielt auch bei Planung und Betrieb von Rechenzentren eine wesentliche Rolle. Die steigende Leistungsdichte der Rechner und die damit einhergehende Wärmeentwicklung erfordern ein zunehmend ausgefeiltes Kühlmanagement.

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Probleme der Rechenzentren

"Rechner selbst verbrauchen keine Energie. Das heißt: Die Energie, die hineingesteckt wird, kommt als Wärme wieder heraus", erklärt Josef Beiglböck, der als Umweltadministrator für den Zentralen Informatikdienst (ZID) der TU Wien tätig ist. Das Rechenzentrum beherbergt unter anderem den neuen Universitätssupercomputer Vienna Scientific Cluster. "Wir haben hier 500 Kilowatt an elektrischer Leistung, das heißt, wir müssen 500 Kilowatt Wärme wegbekommen." Derzeit kühle man das System über Kompressoren, wobei die Abwärme aus dem Zentrum für die Beheizung des Hauses genutzt werde.

Die Umgebungstemperatur des Rechenzentrums liege meistens bei 30 Grad. Bei einem Ausfall der Kühlanlage, rechnet Beiglböck vor, würden die Rechner in etwa fünf Minuten auf 50 bis 60 Grad erhitzt und die Raumtemperatur auf etwa 45 Grad ansteigen. "Die CPU ist der Teil des Rechners, der am meisten Wärme produziert", sagt Beiglböck, bei einer Überhitzung würden sich die Rechner sofort abschalten. Ein Problem heutzutage sei vor allem die Packungsdichte: Immer mehr Teile würden immer enger zusammengebaut.

Gute Anlagen sind teuer

"Wenn ich im kommerziellen Bereich arbeite, kann ich mir eine Gesamtlösung mit besserem Kühlmanagement zulegen, die meistens sehr teuer ist", so Beiglböck. Das sei etwas, das sich Banken und Versicherungen leisten könnten, für die TU sei es zu teuer.

"Die Rechner hier gehören zur Hälfte der Universität und zur Hälfte der Universität für Bodenkultur." Diese hätten nicht mehr das Know-how und die Infrastruktur gehabt, um die Anlage in Eigenregie zu betreiben. Beiglböck wünscht sich eine Gesamtlösung wie in Deutschland, nämlich eine zentrale Rechenanlage für alle Universitäten. Mit der Fernkälte ließe sich dann das Problem der Kühlung bequem auslagern.

Silver Server mit kombinierter Kühlung

Der Wiener Internet-Dienstleister Silver Server ergänzt seit etwa zwei Monaten mit Fernkälte aus der Spittelau sein bereits bestehendes Kühlsystem. Fünf Monate des Jahres wird die kalte Außenluft (Free Cooling) genutzt, fünf Monate die Fernkälte, und in den Übergangszeiten gibt es einen Mischbetrieb beider Systeme. Die Free-Cooling-Anlage funktioniere nur bei Temperaturen bis maximal sechs Grad, erklärt Bert Estl, Sprecher von Silver Server. Die Kühlkompressoren dienen nur noch als Back-up-Lösung.

Finanziell habe die Umstellung für das Unternehmen keine Einsparungen gebracht, vielmehr habe man jetzt ein "ausfallsicheres System": "Wir brauchten mit den Kühlkompressoren relativ viel Leistung, die zu Spitzenzeiten im Sommer knapp zu werden drohte", so Estl. Im urbanen Gebiet sei es nicht einfach, ohne erheblichen finanziellen Aufwand zu Spitzenzeiten mehr Leitungen für mehr Leistung zu bekommen, weshalb sich das Unternehmen für die Fernkälte entschied. Dazu komme der umweltschonende Aspekt.

Kombinierte Fernwärmeanlagen

Die thermische Abfallbehandlungsanlage Spittelau deckt je nach Tageszeit drei verschiedene Ebenen an Fernwärme ab: die Grund-, Mittel- und Spitzenlast. Etwa 32 Prozent der Gesamtlast - also Grundlast (der tägliche Mindestbedarf an Strom), Mittel- und Spitzenlast zusammen - würden durch die Müllverbrennung gedeckt. Der Großteil (rund 63 Prozent) der Fernwärme werde durch die Kraft-Wärme-Kopplung, also die gleichzeitige Nutzung der Abwärme bei der Energieerzeugung wie etwa vom Kraftwerk Simmering, geliefert. Der Rest, zumeist Spitzenlast, werde durch Gas- und Ölbefeuerung vom "Spitzenkessel" erzeugt.

Fernkälte: Ein geschlossener Kreislauf

"Im Sommer haben wir das Problem, dass wir mehr Abwärme durch die Müllverbrennungsanlagen haben, als gebraucht wird. Daraus entstand die Idee, die Abwärme zu nutzen, um daraus Kälte zu gewinnen", erklärt Strobl. Für die Kälteproduktion werde die bereits vorhandene Wärme und Energie genutzt, wodurch der Ausstoß schädlicher Treibhausgase und Luftschadstoffe reduziert werde. Fernkälte brauche, wenn sie aus der Abfallbehandlung komme, nur ein Zehntel der Primärenergie herkömmlicher Kälteerzeuger.

Das System der Fernkälte läuft in einem geschlossenen Kreislauf. Die Kunden werden mit 3,5 Grad kaltem Wasser versorgt, mit dem sie ihre hauseigenen Klimaanlagen betreiben. Danach fließt das Wasser mit einer Temperatur von etwa zwölf Grad wieder zur Kälteanlage der Fernwärme Wien retour. Dort wird es wieder auf 3,5 Grad abgekühlt, um anschließend wieder zum Kunden zurückzufließen.

Kühlleistung von 115.000 Kühlschränken

Konkret wird für die Kälteproduktion als Primärenergie die Fernwärme genutzt, die in der Kältezentrale umgewandelt wird. Diese besteht aus zwei Absorptionsmaschinen (jeweils fünf Megawatt) und einer Kompressionskältemaschine (sieben Megawatt). Gemeinsam liefern diese in der ersten Ausbaustufe 17 Megawatt, was einer Kühlleistung von rund 115.000 handelsüblichen Kühlschränken entspreche.

Eine der beiden Absorptionsmaschinen der Fernwärme Wien.

Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Maschinen: Während die Kompressionskältemaschine lediglich mit Strom betrieben wird, bezieht die Absorptionsmaschine die Energie wie auch die Abwärme - in Form von Warmwasser - für die Kälteproduktion, was sich auch günstig auf die CO2-Werte auswirkt.

Kompressionskältemaschine der Fernwärme Wien.

Weniger CO2-Ausstoß durch Absorber

In der Kälteanlage Spittelau werden 44 Kilo CO2 pro Megawatt Kälteleistung produziert. "Der Wert ist deshalb so gering, weil hier 70 Prozent des Kältebedarfs von den Absorbern und die restlichen 30 Prozent von der Kompressionskältemaschine stammen und die Ressourcen aus der Müllverbrennung kommen", erklärt Michael Hössel, Fernkältereferent der Fernwärme Wien. Würde diese Anlage mit Wärme und Strom aus konventionellen Quellen betrieben, läge der Wert bei 100 Kilo CO2 pro Megawatt. Was immer noch um zwei Drittel weniger sei als bei einer Kompressorkühlung, die mit Strom aus konventionellen Quellen arbeite. Diese erzeuge pro Megawatt 290 Kilo CO2.

Die Grund- (der tägliche Mindestbedarf) sowie die Mittellast würden von den Absorbern erledigt, während die Spitzenlast die Kompressionskältemaschine abdecke. "Die sind wesentlich leichter zu skalieren, während die Absorber einen kontinuierlichen Verlauf brauchen, um effektiv zu arbeiten", erläutert der Experte. Fernkälte werde natürlich hauptsächlich im Sommer geliefert, aber auch im Winter nachgefragt.

Kreisläufe der Absorptionsmaschine

Wie entsteht Kälte aus Hitze?

Es gibt mehrere Stationen in der Absorptionsmaschine. Im ersten Kreislauf (links) wird 150 Grad heißes Wasser aus der thermischen Abfallbehandlungsanlage in die Absorptionsmaschine geleitet. In letzten Kreislauf (rechts) wandert das 3,5 Grad kalte Wasser zum Kunden. Im Kühlmittelkreislauf (Bildmitte) erfolgt die Kühlung des gesamten Kreislaufs, das heißt der Maschine selbst. Die Rückkühlung erfolgt durch Wasser aus dem Donaukanal beziehungsweise aus Rückkühltürmen bei externen Anlagen.

"Der Kühlprozess selbst lässt sich am einfachsten beim Verdampfer (rechter Kreislauf) beschreiben, das ist der Hochdruckteil der Maschine", so Hössel. Das Lithiumbromid-Wasser-Gemisch verdampft hier bereits bei drei Grad. Der Prozess lasse sich mit Schwitzen vergleichen. "Wenn man schwitzt, tritt Wasser aus und verdampft, und durch diesen Verdampfungsprozess wird dem Körper Wärme entzogen", erklärt Hössel. Genau dasselbe passiert hier: Das Lithiumbromid-Wasser-Gemisch verdampft und entzieht den Rohren Wärme. Damit wird das Wasser, das in diesem Prozess durch die Rohre und danach zum Kunden fließt, auf 3,5 Grad gekühlt.

Unternehmenssprecherin Ruth Strobl und Fernkältereferent Michael Hössel von der Fernwärme Wien führten ORF.at durch die Kältezentrale in der Spittelau.

Alternativen für die Rückkühlung

Je mehr Strom gebraucht wird, desto mehr Rückkühlwasser ist notwendig. Die Rückkühlung durch nahe gelegene Gewässer - wie hier der Donaukanal - sei ein üblicher Vorgang, könne jedoch auch Probleme bereiten. "In Frankreich gab es vor ein paar Jahren das Problem, dass sie die Stromspitzen nicht mehr decken konnten, weil sie nicht mehr rückkühlen konnten", so Strobl. Alternativen wie Erdkälte oder die Verwendung des Wassers aus der Wiener Hochquellleitung seien technisch schwierig. "Das Hochquellwasser ist zu warm, da geht es um ein paar Grad."

Die Erdkälte sei eine Möglichkeit, die in Betracht gezogen werde, jedoch aufgrund wasserrechtlicher Verordnungen in Wien teilweise schwierig. "Alle Brunnenbesitzer im Umkreis müssen einbezogen werden, wenn es eine Wasserentnahme gibt", so Hössel. Diese dürfte also nur in begrenztem Maß erfolgen.

Heißwasserseen in Aspern

"Für die Seestadt Aspern ist ein Projekt mit Erdwärme angedacht", meint Strobl. Die OMV habe dort in den 70er Jahren Gasvorkommen vermutet und runtergebohrt. Gefunden wurde statt Gas aber Heißwasserseen. "Wir sind gerade dabei zu evaluieren, ob diese Heißwasserseen für die Produktion von Fernwärme und in weiterer Folge Fernkälte nutzbar sind."

Fernkälte für Großkunden

Derzeit zählen das Wiener AKH, das Immobilienprojekt Skyline am Döblinger Gürtel, das Institutsgebäude der Universität für Bodenkultur (BOKU) sowie das Mediengebäude in der Heiligenstädter Lände , in dem der Wiener Internet-Dienstleister Silver Server sowie Ö3 beheimatet sind, zu den Fernkältekunden. Das AKH ist momentan der größte Fernkälteproduzent in Österreich. Neben der Eigenproduktion bezieht das Krankenhaus auch Fernkälte der Fernwärme Wien. Weitere Großprojekte sind bereits in Planung, wie das Gebiet Towntown im dritten Wiener Gemeindebezirk, das Gebiet Laaerberg, die Donauplatte (UNO-City) sowie das Sozialmedizinische Zentrum Ost (SMZ Ost). Bis 2020 ist die Installation von 200 Megawatt Fernkälte geplant.

Preis ist variabel

Eine externe Kälteanlage beim Kunden werde bei einem Bedarf ab fünf Megawatt errichtet, so Hössel. Der Kunde werde dann mit Heißwasser beliefert, das vor Ort in Kälte umgewandelt werde. Ein Anschluss zahle sich aber bereits ab 200 bis 300 Kilowatt aus. So gebe es zahlreiche Anfragen von Kleinrechenzentren, so Hössel. In diesem Fall erhalten die Kunden über isolierte Leitungen direkt Fernkälte, die wiederum für den Betrieb der hauseigenen Kühlanlage genutzt werden könne.

Der Preis für das Service sei "variabel", nämlich abhängig von der Situation des Kunden vor Ort und der Länge der Leitungen, die verlegt werden müssen, falls diese nicht ohnehin aufgrund von Infrastrukturmaßnahmen gebaut werden. Ein weiterer Faktor ist das Lastprofil. "Rechenzentren haben eine sehr hohe Volllaststundenzahl, das heißt, dass sie die maximale Leistung, die sie veranschlagt haben, auch abnehmen", erklärt Hössel. Büroflächen hätten weniger Volllaststunden, die Spitzen würden von 7.00 bis 18.00 Uhr reichen. Generell gelte "je mehr Volllaststunden, desto geringer der Preis pro Kilowatt".

Kein flächendeckendes Netz geplant

Die Maschinen seien nicht redundant ausgelegt, andere Teile wie Pumpen hingegen schon. Eine hundertprozentige Redundanz könne aufgrund der Wirtschaftlichkeit nicht gegeben werden. "Das wären utopische Kosten, wenn zwei Leitungen gelegt oder statt zwei Absorber vier Absorber gebaut werden müssen", erklärt Hössel. Da Rechenzentren für ihre Kühlung immer eine Redundanzlösung brauchten, hätten die meisten auch selber Kompressoren, die sie bei einem Ausfall einschalten würden.

Die Frage, ob es eines Tages ein flächendeckendes Netz in Wien geben werde, verneint Strobl. Die Fernkälteleitungen seien mit 600 Millimeter Innendurchmesser noch größer als die Fernwärmeleitungen. "Wien ist vor allem in der Innenstadt auch unter der Erde schon ziemlich voll, wir können die Leitungen nur noch unter größten Anstrengungen dort verlegen."

Keine Fernkälte statt Fernwärme

Auch Kunden, die bereits Fernwärme beziehen, können ihre Wärmeleitungen nicht für die Kälte nutzen. Das habe mehrere Gründe, erläutert Strobl. Zum einen würde es aufgrund des Temperaturunterschieds zwischen Heizkörper und Luft zu sehr starker Kondenswasserbildung im Raum kommen. Ein weiterer Grund sei, dass 80 Prozent der Kunden die Warmwasseraufbereitung über das Fernwärmenetz beziehen. "Die könnten dann alle nur noch kalt duschen."

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(futurezone/Claudia Glechner)