
DLD: Kunst, Kongress, Killernetz
Revolutionen neigen dazu, ihre Kinder zu fressen. Warum sollte die digitale anders verlaufen? Darüber - aber auch über positivere Zukunftsperspektiven - wurde auf der vom Burda-Verlag organisierten Konferenz Digital, Life, Design (DLD) in München diskutiert. Eine Analyse von Anatol Locker.
Der Zukunftskongress beginnt mit einer Museumsführung. Dieses Paradoxon hat drei Gründe. Erstens ist Veranstalter Hubert Burda Kunstliebhaber. Zweitens macht Kunst, wenn man es zulässt, den Kopf frei für neue Sichtweisen. Und drittens: Über die Interpretation lässt sich trefflich streiten - genauso wie über Trends, Geschäftsmodelle und den Einfluss des Internets auf unser Leben.
Das passt zum 5. Münchner DLD-Kongress, der am Dienstag zu Ende geht. Drei Tage pilgern Verlagsmanager, Entrepreneurs, Trendsetter, Künstler, Blogger, Banker und Journalisten ins Münchner HVB-Forum, um Vorträge zu hören, Geschäfte abzuschließen und Kontakte zu knüpfen.
Die Panels waren hochkarätig besetzt, unter anderen mit Referenten von Bigpoint, bit.ly, Daimler, Deutsche Post, Deutsche Telekom, Edge.org, Facebook, Foursquare, Glam, Google, Hulu, Kissinger Associates, Microsoft, Mozilla, Nike und Nokia. Dazu gesellte sich die Internet-Business-Prominenz: Jeff Jarvis, Esther Dyson, Doris und John Naisbitt sowie Frank "Payback" Schirrmacher gehören schon zu den "üblichen Verdächtigen" der Kongressszene.
Disruptiv: Das Internet als Tsunami
Bereits die erste Paneldiskussion gab die Stoßrichtung vor. Als disruptiv, also als zerstörerisch, hätten sich die Unternehmen von Jimmy Wales (Wikipedia), Mitchell Baker (Firefox) und Niklas Zennström (Skype) erwiesen. Enzyklopädien, Microsoft und Telekommunikationskonzerne seien durch Wikipedia, Firefox und Skype in Bedrängnis gekommen.
Nun ist diese Erkenntnis nicht wirklich neu. Aber im Angesicht aktueller Arbeitslosenzahlen und der Kreditklemme beginnen auch vermeintlich sichere Jobs in den Neuen Medien zu wackeln. Interessant zu sehen ist, dass viele Sprecher thematisierten, wie das Internet in kürzester Zeit Monopole und überholte Firmenkonzepte mit der Gewalt eines Tsunamis unter sich begrub. Überhaupt ließ sich das Wort "Problem" wesentlich öfter vernehmen als in den Jahren zuvor.
Der Druck auf die Verlage steigt
Die revolutionäre Komponente des Internets bekommt auch der Gastgeber zu spüren. Fast alle deutschen Zeitschriften mussten im 4. Quartal 2009 erneut massive Auflageeinbußen hinnehmen. Burdas Nachrichtenmagazin "Focus" zum Beispiel verlor 2009 im Jahresvergleich 15 Prozent seiner Auflage.
Diese finanziellen Verluste lassen sich nicht allein durch Internet-Auftritte refinanzieren, was den Verleger 2009 zu der Bemerkung hinriss, im Internet verdiene man nur "Lousy Pennys".
Davon rückte er auch dieses Jahr nicht ab. Im Gegenteil: "Vertrauen Sie nicht auf Line-Extensions Ihrer Marken." Den Schuldigen hat Burda auch schon ausgemacht: "Das Anzeigengeschäft im Internet macht hauptsächlich Google." Im Verständnis der Verleger bedient sich Google unrechtmäßig an ihren Nachrichten, um sie dann zu vermarkten.
Nischenstrategien für Suchanbieter
Immerhin war das "Böse" auch in den Diskussionen anwesend. So diskutierten Google-Repräsentanten mit Bing-Mitarbeitern und Mathematikern von Wolfram Alpha über neue Formen der Internet-Suche. Dabei herrschte Übereinstimmung, das nur die Nische und exzellente Filter für Suchmaschinen-Neueinsteiger Chancen bieten würden.
Weitere Highlights: Nokias Design-Vizepräsident Marko Ahtisaari interviewte seinen Vater, den Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari. Filmemacher Alexander Kluge sprach über Verortung, Regisseur Christoph Schlingensief referierte über Oper.
Thematisch präsentierte sich der DLD breit. Die Themenbreite richtete von China über Facebook, von Kunst zu Kulturpessimismus. War in den letzten Jahren der Buzzword-Faktor noch unerträglich hoch, ging es dieses Jahr konkreter und streitbarer zur Sache. Was der Veranstaltung durchaus guttat.
(Anatol Locker)