Mobilgeräte vertiefen Generationenkluft
In Österreich leben derzeit rund 1,8 Millionen Menschen, die älter als 60 Jahre sind. Mit der Einführung der neuen Generation von Smartphones und mobilen Diensten droht älteren Menschen zunehmend der Ausschluss aus der digitalen Welt, befürchtet der Ergonomieexperte Ian Hosking von der Universität Cambridge im Gespräch mit ORF.at.
ORF.at: Mr. Hosking, welche Bedürfnisse sehen Sie in einer insgesamt älter werdenden Gesellschaft in Bezug auf mobile Kommunikation?
Ian Hosking: Einerseits besteht ein großer Drang, an der Gesellschaft teilzunehmen und per Sprache und Text miteinander zu kommunizieren und dadurch unabhängig zu bleiben. Andererseits kann man mobile Geräte auch für medizinische Zwecke einsetzen, die über die herkömmliche Nutzung zu Kommunikationszwecken hinausgehen, wie etwa das tägliche Messen des Blutzuckers für Diabetiker. Die größte Herausforderung ist sicherlich, durch mobile Geräte das tägliche Leben einfacher zu gestalten.
Unter der Schirmherrschaft des Linzer Handyherstellers Emporia diskutierten Vertreter von Seniorenorganisationen aus ganz Europa und den USA bei der Fachtagung Mobile Communication in an Ageing Society unlängst in Wien über die Zukunft der Mobilkommunikation in einer alternden Gesellschaft.
Zur Person:
Ian Hosking ist seit Juni 2009 am Engineering Design Center der University of Cambridge für den Bereich Inclusive Design verantwortlich und hat mehr als zwanzig Jahre Erfahrung in diesem Bereich.
ORF.at: Glauben Sie, dass die ältere Generation derzeit bereits mit Mobiltelefonen vertraut genug ist, um sie effektiv zu nutzen?
Hosking Man darf niemals den Fehler machen, ältere Menschen als eine Zielgruppe zu betrachten. Jeder hat unterschiedliche Bedürfnisse und Hintergründe sowie ein unterschiedliches Technologieverständnis. Manche älteren Leute sind begeisterte iPhone-Nutzer, während andere sich nach wie vor weigern, ein Mobiltelefon zuzulegen. Natürlich gibt es aber auch eine Gruppe von älteren Personen, die dazu bereit wäre, sich aber von der Technik einschüchtern lässt, weil sie keine Erfahrung mit dem Umgang mit derartigen Geräten besitzt. Diese nicht außer Acht zu lassende Gruppe würde von Geräten profitieren, die einfach zu bedienen sind – gerade, wenn es um grundlegende Funktionen wie das Annehmen und Auflegen eines Gesprächs geht.
ORF.at: Viele ältere Leute bleiben oft einem Hersteller treu, wenn sie mit der Bedienung der Geräte zurechtkommen.
Hosking Das stimmt definitiv, dass ältere Kunden oft loyale Kunden sind, wenn sie einmal mit etwas zufrieden sind.
ORF.at: Kommen wir zur einfachen Bedienung von Mobiltelefonen. Wie müssen die Basisfunktionen angelegt sein?
Hosking Das Wichtigste ist, dass die Konzepte und Ideen von Produkten mit der Generation der Nutzer, für die sie gemacht sind, im Einklang sind. Die Nutzer müssen mit den Konzepten vertraut sein. Während junge Leute mit Computern aufgewachsen sind und sich mit Menüs leicht tun, ist das für ältere Leute oft schwieriger, weil sie die Bedienung erst lernen müssen. Daher ist es etwa besonders wichtig, zumindest Wörter und Symbole zu verwenden, die sie kennen. Die Bedienungskonzepte sollen außerdem so weit wie möglich reduziert sein – und das sollte schon bei den Grundlagen beginnen. Zusätzlich brauchen ältere Kunden dann auch noch Unterstützung und Ermutigung bei der tatsächlichen Nutzung von Handys. Eine einfache, wieder erkennbare Menüstruktur, die in verständlicher Sprache durch die wichtigsten Funktionen führt, ist das Wichtigste. Oft verwenden wir eine technische Sprache, die ältere Leute nicht verstehen.
ORF.at: Können Sie mir hierfür vielleicht einfache Beispiele nennen?
Hosking: Eine ältere Dame hat mir einmal erklärt, dass sie verzweifelt eine Taste mit Punkten auf ihrem Handy gesucht hat, weil davon in der Bedienungsanleitung die Rede war. Beim gemeinsamen Durchsehen der Anleitung hat sich herausgestellt, dass sie schlicht und einfach mit der Methode der Auflistung nicht vertraut war. Dieses Layout mit den Punkten war ihr nicht bekannt. Aber nehmen wir einfach ein Konzept wie den URL oder "http:". Das ist ein technisches Protokoll, mit dem wir mittlerweile vertraut sind, auch wenn es nicht jeder verstehen mag. Für ältere Leute ist das nach wie vor verwirrend.
ORF.at: Wie wichtig ist etwa ein großes Display für ältere Nutzer?
Hosking Gerade bei dieser Frage treten immer wieder Missverständnisse auf, weil die Meinung der Nutzer und die tatsächliche Wahrnehmung auseinanderklaffen. Viele ältere Leute glauben, dass einzig und allein die Größe des Displays zählt, sind dann aber erstaunt, wenn sie bei einem kleineren Display die Buchstaben oft besser lesen können. Das liegt daran, dass nicht nur die Größe des Displays, sondern auch die Form, der Kontrast zwischen den Buchstaben und der Hintergrund entscheidend sind, ebenso wie die Farbe und die Tatsache, ob es sich um ein glänzendes oder mattes Display handelt. Hier ist es besonders wichtig, dass sich Kunden vor dem Kauf eines Geräts nicht durch weitläufige Meinungen verunsichern lassen. Bevor man solche Entscheidungen aufgrund einfacher Annahmen – wie große Tasten und großes Display – macht, sollte man mehrere Punkte in Betracht ziehen und sich die Details ansehen. Wir müssen uns in dieser Hinsicht noch selbst erziehen. Das gilt auch für unseren Drang, immer die neuesten Möglichkeiten in die Geräte integriert haben zu wollen. Wenn wir ein bestimmtes Feature nicht haben, glauben wir, dass wir etwas versäumen und zwar auch, wenn wir dieses Teil gar nicht brauchen. Das müsste sich ändern, die Kunden sollten sich vor dem Kauf von neuen Mobilgeräten immer fragen, was sie wirklich brauchen.
ORF.at: Wollen wirklich alle Kunden immer die neuesten Features haben?
Hosking: Viele, ja. Jetzt ist es gerade der Touchscreen-Bildschirm, vor zwei Jahren waren es Kameras und Bluetooth. Auch viele ältere Leute wollten Bluetooth-Geräte, obwohl sie die Technologie gar nicht verwendet haben. Das ist ein richtiges Dilemma – diese Angst, nicht mehr auf dem Laufenden zu sein. Aber es gibt auch schon Leute, die beginnen, umzudenken.
ORF.at: Wie sieht es mit Touchscreens aus? Kommen ältere Leute damit zurecht?
Hosking: Ich sehe das Bedienkonzept von Touchscreens als große Herausforderung für ältere Leute. Das Display ist zuallererst leer, auch die Tasten und die Form sprechen gegen gewohnte Konzepte und sind in ihrer Handhabung anders. Das ist sicherlich eine große Eintrittsbarriere für ältere Nutzer. Auch das Fehlen eines Druckpunkts bei den virtuellen Tasten könnte ein Hindernis sein, da älteren Leuten das Feedback der Tasten besonders wichtig ist. Ich denke, dass es bei Touchscreen-Produkten darauf ankommen wird, wie sie älteren Leuten präsentiert werden. Bei der iPad-Präsentation in L. A. haben beispielsweise zwei Journalisten nicht gewusst, wie sie aus dem Menü für E-Books wieder rauskommen. Sie haben so lange herumprobiert, bis sie draufgekommen sind, dass sie das Menü durch einen "Doppelklick" auf den Bildschirm verlassen können. Ältere Leute haben diese Experimentierfreudigkeit oft nicht, man muss ihnen beibringen, wie man mit Touchscreen-Displays umgeht, sonst werden sie bereits mit den einfachsten Funktionen kämpfen. Niemand will beispielsweise in der Öffentlichkeit durch sein Handy bloßgestellt werden. Daher ist hier sehr viel Arbeit notwendig, damit ältere Nutzer genug Vertrauen sammeln, um mit ihren Geräten umgehen zu können.
ORF.at: Existiert Ihrer Meinung nach eine Kluft zwischen den Generationen, wenn es um die Nutzung von mobiler Kommunikation geht?
Hosking: Ja, auf jeden Fall. Diese ist in den letzten zwei Jahren durch die Funktionen des Web-Browsing auf Handy und durch Soziale Netzwerke noch größer geworden. Man kann mit dem Handy bereits viele Dinge erledigen, und dadurch wächst die Kluft. Das ist beunruhigend. Daher brauchen wir verschiedene Mobiltelefone für Senioren, von einfachen Geräten bis hin zu Geräten mit mehr Funktionen, die trotzdem einfach zu bedienen sind. Ich glaube, hierfür wäre auf dem Markt noch Platz.
ORF.at: Kümmern sich die Hersteller von Mobiltelefonen zu wenig um die Senioren?
Hosking: Sie kümmern sich sehr wohl um die ältere Generation, aber aus strukturellen Gründen ist es auf dem Handymarkt schwierig, ältere Leute zu adressieren. Es ist nicht so einfach, das zu ändern, auch wenn das nicht als Entschuldigung dienen sollte. Auf dem Markt ist aber definitiv noch Platz für Hersteller wie Emporia, die mit einem anderen Zugang an die Sache herangehen.
ORF.at: Glauben Sie, dass Senioren von heute auch Internet am Handy benutzen werden?
Hosking Ja, wenn es Services gibt, die für sie passen, auf jeden Fall. Es kommt immer darauf an, was für einen selbst sinnvoll ist und wie rasch man Vertrauen in die Funktionen gewinnt.
ORF.at: Wie können ältere Leute Vertrauen für die Nutzung von Mobiltelefonen gewinnen?
Hosking Indem ihnen Gleichaltrige zeigen, wie sie damit richtig umgehen. Wenn ihnen Gleichaltrige selbstbewusst zeigen, wie bestimmte Dinge funktionieren, ist das ein sehr konstruktives Lernerlebnis. Abgesehen davon hängt auch sehr viel vom richtigen Gesamtpaket ab. Da spielt auch der Tarif eine große Rolle, oder auch wie man Daten vom alten Gerät auf das neue Handy übertragen kann. Als Mobilfunkanbieter muss man sehr auf die Details achten.
(futurezone/Barbara Wimmer)