
Das Kinoerlebnis als Kopierschutz
In der Debatte über nicht-lizenzierte Downloads, Netzvideos und Netzkino-Geschäftsmodelle wird gern übersehen, dass es eigentlich keinen einzigen Film im Internet gibt und dass Kino als Erlebnisraum nicht kopiert werden kann. Die Probleme der Musik- und der Filmindustrie mit dem Netz sind keineswegs identisch. Teil vier der futurezone.ORF.at-Serie "Konfiguration Kino".
Letzte Woche schloss ich mit der Frage, was eigentlich einzuwenden wäre gegen eine Situation der dauerkuratierten Online-Verfügbarkeit von Filmen, die noch vor zwanzig Jahren außerhalb der Festivals und Kinematheken der Welt (und eventuellen DVD-Veröffentlichungen und Fernsehausstrahlungen zu später Stunde und/oder auf winzigen Sendern) unsichtbar geblieben wären.
Eine erste, eher einen Nebenaspekt beleuchtende Antwort darauf ist zunächst: Verfügbar sind nicht die Kinofilme, sondern in ihrer Bildqualität meist schlechtere, mindestens aber andere Kopien. Anders gesagt: Einen Film wird man im Netz niemals zu sehen bekommen. Das ist so trivial, dass man es gern übersieht. Fernsehausstrahlungen sowie DVD, Blu-Ray und ihre im Internet anzutreffenden Kopien sind, teils natürlich außerordentlich brillante, aber doch immer nur Ersatzmedien für den Kinofilm.
Zur Person:
Der Kulturwissenschaftler Ekkehard Knörer ist Filmkritiker und Redakteur der Filmzeitschrift "Cargo". Im Rahmen der futurezone.ORF.at-Serie "Konfiguration Kino" erkundet er die Möglichkeiten des Bewegtbilds im Netz.
Die Serie "Konfiguration Kino" wird unter folgender URL gesammelt:
Digitale Ersatzbilder
Als Kinder des Fernsehens haben wir uns früh angewöhnt, von der Anmutungsqualität des Bewegtbilds zu abstrahieren. Das ändert wenig daran, dass die alte Konfiguration Kino aus Kameraufzeichnung auf lichtempfindlicher Emulsion, aus chemischer Entwicklung und analoger Projektion mit rund 24 Bildern pro Sekunde besteht. Ein paradoxes Faktum der Bildkonsumgegenwart ist, dass wir nicht nur immer besser aufgelöste Bilder sehen, sondern gleichzeitig auch ganz miese: als Cam-Versionen im Netz, als Miniaturbilder auf dem iPod.
Man muss kein Nostalgiker oder Purist sein, um zu sagen, dass ein großer Teil der Kinogeschichte anders aussehen sollte als er in der Mehrzahl seiner heutigen Aufführungen aussieht. Andererseits muss man wohl schon Nostalgiker oder Filmhistoriker oder Purist sein, um das als große Katastrophe zu betrachten. Filme sind keine Gemälde und von manchen speziellen Gegenbeispielen abgesehen, verlieren sie mit ihrer Anmutungsqualität und Materialität nicht ihr Wesentliches.
Public Enemies
Es kommt dazu, dass das Kino der Gegenwart ohnehin gerade dabei ist, sich ganz auf die digitale Produktion und Projektion umzustellen. Den Schock (des Entsetzens oder der Euphorie), den der vielleicht erste radikal auf die neue Ästhetik zielende Mainstreamfilm, Michael Manns "Public Enemies", traditionsgeschulten Augen versetzt hat, werden künftige Generationen wohl kaum mehr verstehen. Wie sich unsere cinephilen Sehgewohnheiten da insgesamt umjustieren (wird 35mm irgendwann altmodisch aussehen? wird es Retromoden geben, also Versuche, digital Analoganmutungen zu erzeugen?), lässt sich derzeit sicher nicht sagen.
Nur: Die Bandbreite der Bildformen, Bildqualitäten und der mit ihnen verbundenen Konnotationen ("dokumentarisch", "großes Kino", "Amateurfilm") hat in den letzten zwanzig Jahren zugenommen, die dänische "Dogma 95"-Bewegung, die einen Substandard einfach mal zur Norm erklärte, ist da nur ein herausragendes Beispiel.
Demokratisierung des Zugangs
Wichtiger aber als die Frage, ob eine alte, von Puristen fetischisierte Norm von Kino den Doppelschlag von Digitalisierung plus Internet überleben wird, ist wohl eine andere: Was sind die Implikationen - und eben auch Kosten - der leichten, dauernden, kostengünstigen Verfügbarkeit? Man muss gleich differenzieren: Was sind ihre sozialen, ihre ökonomischen, aber auch ihre psychosozialen Folgen? Sozial bedeutet Verfügbarkeit - zunächst einmal vor allem etwas sehr Erfreuliches: Demokratisierung des Zugangs, Schleifen von hohen Schwellen.
Was zuvor jenen vorbehalten war, die in Großstädten mit Kinematheken wohnten, Pay-TV-Kanäle abonniert hatten oder das Geld und Know-how besaßen, sich DVDs auch aus abgelegenen Weltgegenden zu besorgen, ist im Zeitalter der Tauschbörsen und Streamingangebote entschieden leichter zu haben. Umgekehrt nimmt die Praxis des Eins-zu-eins-Bezugs des Betrachters zum Bild im privaten, nicht im quasi-öffentlichen Raum des Kinos ganz neue Gestalt an.
Verdorbene Preise
Dank mobiler Geräte lässt sich so längst auch der öffentliche Raum nicht nur akustisch, sondern auch visuell wieder weitgehend privatisieren. Die Kulturkritik ist wie stets schnell zur Stelle. Grund zur Dramatisierung besteht eher nicht.
Die Frage nach den ökonomischen Folgen der Verfügbarkeit ist von der nach Tauschbörsen, geistigem Eigentum, verlustfreier Kopierbarkeit von Digitalbildern dominiert. Und damit auch von rechtlichen Fragen. Kein Wunder, denn die kulturproduzierenden und -verwertenden Industrien sehen nicht nur ihre Felle davonschwimmen, sondern auch ihre Jagdgründe in Gefahr.
Das Grundproblem des Internets als Aufmerksamkeitsmarkt trifft auch die Bildindustrien: Aufgrund der niedrigen Wettbewerbsschwellen und damit der Allgegenwart von Konkurrenzangeboten sind die Preise verdorben. Das Glück des nicht-industriellen Produzenten wie schlechthin der Nutzerin ist auch für die Filmindustrie ein Problem.
Verfügbarkeit und Werteverlust
Da Verknappung in der Logik des Markts Wertsteigerung bedeutet, bedeutet Verfügbarkeit unweigerlich Wertverlust. Im Verbund mit der kinderleichten verlustfreien Kopierbarkeit hat das zu eben jener Situation geführt, in der wir nun sind. Es ist schwierig geworden, für digitale Kopien überhaupt noch Geld zu verlangen. Wie sehr das Rückwirkungen auf die gesamte Verwertungskette hat bzw. haben wird, ist derzeit eher unklar.
Konkret stellt sich das Problem für die Rechteinhaber, an welcher Stelle dieser Kette Platz ist für "Video on Demand" und andere Online-Vergnügen. Ein alter Hase sieht da im Moment allerdings offenkundig keinen Anlass zur Panik. In einem Gespräch mit der "FAZ" erklärte Herbert Kloiber, Besitzer der Tele München Gruppe (und des österreichischen Senders ATV), am vergangenen Wochenende:
Wenn Sie mich fragen, was in fünf, zehn Jahren sein wird, kann ich nur sagen, dass unsere Verkaufs- und Rechtsabteilung, die heute zwanzig Leute mehr beschäftigt als vor zehn Jahren, noch einmal zehn mehr umfasst, die sich um die Verteilung der Rechte auf allen Übertragungswegen kümmern werden. Wir verkaufen heute schon jeden Film in einem Zyklus von zehn Jahren an mindestens 25 Nutzer. Die Nutzung des Films vervielfacht sich.
Gesprengte Verwertungsketten
Großer Optimismus also, dass sich das Netz als (kostenpflichtiger) "Übertragungsweg" wieder einfangen lässt. Die aktuellen Zahlen deuten umgekehrt kaum darauf hin, dass die Kinos - die großen, für die Programmkinos sieht es anders aus - unter der oft sehr raschen Netzverfügbarkeit und dem zahlenmäßig gewaltigen Abruf von oft jedoch schauderhaft anzusehenden Cam-Versionen stark leiden.
Unter den folgenden Gliedern der Kette - DVD, Pay-TV, Free TV - scheinen am ehesten die DVD und möglicherweise Pay-TV betroffen zu sein. Die Kinos jedenfalls verzeichnen derzeit Rekordzahlen. Die verdanken sich ganz sicher nicht nur der neuen 3-D-Mode, die aber nicht erst seit "Avatar" große Verdienste nicht zuletzt um den Anstieg von Kartenpreisen hat.
Der Schluss liegt nahe: Kino- und Musikindustrie stehen eben nicht vor identischen Problemen, weil der Markt aus historischen Gründen anders strukturiert ist. Der Kinobesuch entspricht nicht der CD, die durch Digitalkopien stark entwertet scheint, sondern eher dem Konzertbesuch, also einer digital nicht kopierbaren Praxis. Insofern wird das "Video on Demand" die DVD und mit höheren Bandbreiten auch die BluRay gefährden und vielleicht letztlich ersetzen, nicht aber den Kinobesuch. Und darum müssen die Rechteinhaber früher oder später wohl einsehen, dass der Online-Vertrieb digitaler Kopien in zeitlicher Nähe zum Kinostart die einzige Möglichkeit ist, den Wünschen des Marktes nachzukommen.
Die Aura schwindet
Eine weniger häufig diskutierte Frage ist die nach den psychosozialen Folgen der Verfügbarkeit. In einer Situation, in der man fast alles fast jederzeit fast ohne Aufwand haben kann, ist jeder einzelne Gegenstand mit jedem anderen erst einmal gleichrangig. Zum einen wird dadurch der Auraverlust noch einmal radikalisiert - denn die "Aura" ist an einen aus dem Alltäglichen herausgehobenen ("heiligen") Zusammenhang gebunden. Zum anderen werden dadurch alte Kanonbildungen unterminiert. Beides hat wiederum seine demokratisierenden Seiten (es ist nicht mehr schwer, sich selbst ein Bild zu machen, ob an dem, was der Kanon empfiehlt und befiehlt, wirklich was dran ist). Umgekehrt macht es ratlos. Man ist unendlich ermächtigt, aber das hat, wie im Märchen, seine bestürzenden Seiten. Wie verhält man sich im Schlaraffenland? Was tut man zuerst, was wählt man, was lässt man liegen?
Verfügbarkeit ist ein Gleichmacher von Werten. Sie ist aus diesem Grund der Gegenspieler des Kurators. Daher der Hass von Profis wie James Quandt. Was früher Türhüter- und Schlüsselpositionen waren, sind, wenn jeder den Schlüssel besitzt, nur noch Positionen neben anderen. Im Prinzip gleichgeordnet. Daher der verbissene Kampf, den die alten Mächte derzeit führen. Das Egalitäre des Prinzips Verfügbarkeit hat sie eingeholt. Und es wird zugleich klar, dass der kapitalistische Markt, proteisch wie stets, auch darauf reagiert. Der Mechanismus der Wiederverknappung von Verfügbarem ist das Event. Das Event schafft "Heiliges" in komplett säkularer Form - also auch Aura und Wert, meist in spektakulärer Form. Die Eventkultur ist die Kehrseite des demokratischen Zeitalters der Verfügbarkeit. Das künstlich geschaffene Ereignis hebt den einzelnen Gegenstand aus seiner Beliebigkeit heraus.
Kinobesuch als Event
Im "real life" heißt das fürs Kino: Wem es gelingt, den Kinobesuch zum Event zu machen, der kann kassieren. Die Blockbusterwelt versucht das für jeden einzelnen Kinobesuch. Im Grunde ist natürlich schon der landes-, ja internationale Start eines Films mit der damit verbundenen konzentrierten Aufmerksamkeitsproduktion etwas wie die Eventisierung des laufenden Programms. Die immer stärkere Fixierung aufs Startwochenende gehört dazu. Auf der Arthouse-Seite steht dagegen weniger der einzelne Kinobesuch als das Florieren der Festivals.
Was sonst nur in letzten Programmkinobastionen der Groß- und Universitätsstädte sein Gnadenbrot bekommt, findet auf Festivals oft riesigen Zulauf. Die gerade zu Ende gehende Berlinale schafft es, bei immer desaströser werdendem Programm immer größere Massen zu ziehen. Das erlaubt den Umkehrschluss: Wer im Internet mit Bewegtbildern Geld verdienen will, muss möglicherweise Wege finden, die künstliche Produktion von Wert per Event im Netz zu reproduzieren. Durch Quasifestivals, vielleicht auch schnelles Reagieren auf aktuelle Ereignisse, die Produktion von Fangemeinden und die Reaktion auf existierende Kulte.
(Ekkehard Knörer)