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Das Internet - endlich menschenfrei

NETZTEILE
06.03.2010

Automatisierung ist praktisch. Eigentlich muss man im Netz überhaupt nichts mehr selbst machen. Für alles gibt es einen Dienst, der mit dem Eifer des Leblosen vor sich hinrackert - und das gilt nicht nur für Botnetze und Zombie-Rechner. Willkommen im Internet der Untoten!

Es gibt einen Begriff, der ist jenseits des Atlantiks so wichtig, dass Witze darüber verboten sind. Die gute, alte "Convenience". Alles muss ein wenig bequemer und angenehmer sein, dann ist es gut. Und das ist fast so wichtig wie der zweite Begriff: "Choice". Erst "Convenience" und "Choice" machen den Konsum zu dem, was er ist: angenehm nutzlos.

Das greift nun auch auf Computer am Netz über. Vorbei die Zeiten der Kommandozeileneingabe. Denn ab jetzt ist Schluss mit der Gemütlichkeit, es wird bequem. Und dabei kommt einem zunehmend die Wahl abhanden.

Zum Beispiel erscheint die neue Version des Google-Browsers Chrome gleich mit einem Maschinenübersetzer inklusive. Der macht dann aus dem ersten Satz dieses Artikels wunderbares Englisch wie:

There is a concept that is beyond the Atlantic is so important that jokes are forbidden about it.

Und zurückübersetzt (Es soll ja bequem sein):

Es ist ein Konzept, das jenseits des Atlantiks ist so wichtig, dass Witze über sie verboten sind.

Das kann ja heiter werden. Denn inzwischen wissen wir: Das Internet kann nicht mehr scheitern. Höchstens wir im Internet. Weil man uns darin gar nicht mehr braucht.

Wir können in Zukunft alles wie von selbst bezahlen oder mit möglichst vielen Accounts ein Sozialleben simulieren.

Nein, eigentlich simuliert es uns, das trifft es genauer. Vor allem wenn man eine virtuelle Farm besitzt, die sich auch gerne einmal selbstständig macht. Und seit man kaum noch als Person gebraucht wird, wenn man eine Portion Nudeln bestellt, ist uns klar: Das Ding kann Eigenleben entwickeln.

Es fehlt nur noch der Order-every-Tuesday-Button.

Ich vermute, etwa ein Viertel von uns werden also längst verstorben sein, und sie bekommen täglich trotzdem ihre Portion Nudeln angeliefert, gegen Kredit, den uns eine Website für postmortale Finanzierungsmodelle gewährt, und währenddessen wächst die eigene Farm in Facebook den anderen über den Kopf und bildet sich zum Weltreich aus. Weil niemand mehr das ewige digitale Leben von uns stoppt. Wie auch. Wir haben die Passwörter ja mit ins Grab genommen - und am letzten Hemd hängt kein USB-Stick.

Aber immerhin: Ewig leben wollten wir ja alle schon einmal. Vielleicht geht es so: Wir triggern alle Services und lassen unsere Erben in 100 Jahren nachschauen und die Nudelrechnung bezahlen. Das ist convenient. Und eine Wahl hatten wir. Sie nicht.

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(Harald Taglinger)