Miami terraformen!
In seinem Roman "Makers" entfaltet Cory Doctorow seine Fantasien zum nächsten großen Ding nach dem langen Abschwung. In dem Buch, das sich auch gratis herunterladen lässt, gehen neoliberale Individualfabrikanten in den urbanen Wüsten der deindustrialisierten USA auf die Jagd nach dem letzten bisschen Profit.
In der Science Fiction gibt es eine Klasse von Autoren (Frauen findet man in dieser Klasse noch seltener als in dem Genre allgemein), die man als Nerd-Autoren bezeichnen könnte. Was in den Ohren mancher nur eine flotte Beleidigung ist, stellt in Wirklichkeit die Parallele zum Poeta Doctus in der "Hochliteratur" dar - ein leicht schräg angesehener Vogel, der sich zwischen der Wissenschaft (über ihre Kunst) und der Kunst selbst nicht entscheiden kann und so zwischen die eingebildeten wie realen Fronten des Kulturbetriebs gerät.
Ein Poeta Doctus ist einer, der sowohl singen als auch rechnen will, analog dazu kommt der Nerd-Autor mit einem Gepäck daher, das von seinem Genre zwar besser akzeptiert wird als die Gelehrtheit von der Poesie, das aber doch die Vorstellungskraft der eigenen Zielgruppe manchmal überfordert. Wie überall kann man auch als Nerd-Autor einen schlechten und einen guten Job machen. Einer der Besten dieser Zunft ist der Kanadier Cory Doctorow.
Zur Person:
Marcus Hammerschmitt, geboren 1967, ist Schriftsteller und Journalist. Einmal im Monat verfasst er für futurezone.ORF.at einen Bericht zum Zustand der Zukunft. Veröffentlichungen (Auswahl): "Target" (Suhrkamp 1998), "Instant Nirwana" (Aufbau 1999), "Polyplay" (Argument 2002), zuletzt: "Der Fürst der Skorpione" (Sauerländer 2007) und "Yardang" (Sauerländer 2010).
Profitrate: Null
Wenn Sie bisher intelligente Spekulationen über die Zukunft von Disney World, des Journalismus und allgemein der Industriegesellschaft in Romanform vermisst haben, dann sind Sie bei ihm genau richtig. (Er ist auch ein großartiger Kurzgeschichtenerzähler, das nur nebenbei). Sein neuestes Werk "Makers" stellt hier keine Ausnahme dar.
Die USA, 2020-ish. IPods sind mittlerweile Thema für das Industriemuseum, man hat die Musik seines Lebens mittlerweile auf ohrhörergroßen Playern, die so billig sind, dass sie als Statussymbol nicht mehr taugen und ständig verloren gehen. Die Wirtschaftskrise, möglicherweise die unsrige, hat bis zur erzählten Gegenwart weitergekriselt; einige Teile der USA sind in einem Zustand, der eher an Lagos/Nigeria als an New York oder San Francisco denken lässt. Die großen Industriekonglomerate sind an einem Punkt angelangt, an dem die Profitraten hart gegen null tendieren, und es muss etwas passieren, schnell.
"Maker" statt Arbeiter
Da hat Mr. Kettlewell, der Vorstandsvorsitzende des IT-Giganten Kodacell (hervorgegangen aus einem Merger von Kodak und Duracell), eine Idee: Er beschließt, die Belegschaften aller größeren Werke feuern zu lassen und mit dem verbliebenen Geld kleine, quasiunabhängige Teams zu unterstützen, die, von professionellen Business-Managern betreut, spontan und kreativ Innovationen bis zur Serienreife bringen, und, das ist wichtig, letztlich auch in Stückzahlen herstellen, weil sie aufgrund ihrer technologischen Überlegenheit auf Mitarbeiter und den ganzen damit einhergehenden Kram verzichten können.
Das sind die "Makers" des Romantitels, locker organisierte Technonomaden ohne soziale Bindungen, die mir ihrem klugen Werkzeug immer da sind, wo sie gebraucht werden, die die Märkte zuerst schaffen, dann absahnen und schon was Neues basteln, während die Konkurrenz noch am Nachahmen der Ideen aus der letzten Saison ist. Das ist der feuchte Traum des Nerds, sein eigenes Hinterhofgebastel auch einmal von einem großen Konzern unterstützt und gelobt zu sehen, der dringende Appell an den abwesenden Vater, auch einmal beachtet und geliebt zu werden.
In den Ruinen des 21. Jahrhunderts
So weit, so neoliberal. Wen das alles an Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie erinnert, in der die Terraformung des Mars von einem Konzern angeschoben wird, dem seine Größe lästig geworden ist, der liegt ganz richtig. Die aufgegebenen Parkhäuser, Einkaufszentren, Mietskasernen in Miami und überall in den USA, die Doctorow von seinen Business-Piraten besetzen und wiederbeleben lässt, sind schon ein fremder Planet, sind von der Deindustrialisierung der USA zurückgelassene, verbrannte Erde, die allerdings nun selbst wieder eine neue Frontier, einen neuen Wilden Westen darstellt.
Doctorows Text ist lesbar, weil er halbwegs auf dem Teppich bleibt. Er ist kein Charles Stross, der seine Leser mit Gadgets und (erfundenem) Fachchinesisch erschlägt, und er ist auch keine Ayn Rand,
die die Romanform nur als Verpackung für ihre alberne "objektivistische" Philosophie missbraucht hat.
Kinderarbeit vs. Roboter
Doctorow ist nicht so dumm, die konkreten sozialen Folgen seines runderneuerten Turbokapitalismus zu leugnen, er weiß, was es die Zulieferer, Handlanger, die Ungelernten kosten würde, wenn seine Vision wahr werden würde: Mehr als einmal ist von den Kindern in den Sweatshops Asiens die Rede, die in direkter Konkurrenz zu dreckbilligen Robotern Platinen löten, bis die Bleivergiftung sie von ihren wackeligen Schemeln putzt.
Doctorow leugnet nicht, dass die abrupte Auflösung hergebrachter industrieller Strukturen Reibungsverluste mit sich bringen wird, die sich gewaschen haben. Die Mär, dass all die von heute auf morgen Entlassenen als Kreativteams in den Schoß der Mutter-Holding zurückkehren, denkt er zwar an, aber er glaubt sie selber nicht. Seine Helden Perry und Lester, zwei "Makers", sind echte Charaktere mit echten, sehr realistischen Problemen, und erst dadurch, dass Lester an seiner Fettleibigkeit leidet, und dass Perry irgendwie nie richtig erwachsen geworden ist, werden sie für den Leser real. Und da ist auch noch Suzanne Church (!), eine bloggende Journalistin, die das große nächste Ding als "embedded journalist" beobachtet und dokumentiert - ebenfalls eine Frau mit Geschichte.
Boom, Crash
Man muss wissen, dass Doctorow der Sohn eines trotzkistischen Elternpaares ist. Er hat zwar nicht die Ideologie, aber den Missionarismus geerbt. Die Sache wird groß, ganz groß, sie wird viel größer als der DotCom-Boom, sie wird als "New Work" (in Anlehnung an Roosevelts "New Deal") in die Geschichte eingehen. Wie gut, dass Docotorows Tendenz zum Realismus die übergroße Nerd-Begeisterung im Zaum hält.
So ist ihm durchaus klar, dass auch der durch "New Work" ausgelöste Boom seinen eigenen Crash hervorbringt. In der der Tat erleben wir, wie die ganze Kodacell-Herrlichkeit sang- und klanglos in sich zusammensinkt, als die Aktionäre den Stecker ziehen. Aber was ein Kampf-Nerd ist, der gibt nicht so schnell auf, und aus den Ruinen der "New Work" erheben sich neue "Makers" mit neuen Spielen und Wundern.
Immer wieder Wildwest
Warum macht man als Leser diese Eroberung und Wiedereroberung des Wilden Westens mit? Letztlich weil Doctorow ein so guter Schriftsteller ist. Man kann ihm verzeihen, dass er immer neoliberaler Ideologe und sendungsbewusster Nerd bleibt, und dass er sein eigenes Geschäftsmodell - er verschenkt seit langem seine Romane im Internet und lässt sie parallel von herkömmlichen Verlagen verkaufen - als ernsthaften Ausweg für die Krisen das Kapitalismus sieht. Er ist und bleibt er ein guter Geschichtenerzähler, und das ist mehr, als man von vielen SF-Autoren sagen kann.
Rückblick
Zugegebenermaßen, die Science Fiction und angrenzende Künste sind in einem schauderhaften Zustand, und sie werden es wahrscheinlich auf Dauer bleiben. Was mich aber unentwegt verblüfft, ist die Art, in der die Szene das "Goldene Zeitalter" der Science Fiction hochleben lässt: die 1940er in den USA. Leute wie A. E. van Vogt, John W. Campbell, Robert A. Heinlein und Isaac Asimov werden angehimmelt, als hätten sie die Schrift erfunden, dabei sind ihre Charaktere, Geschichten und Welten meist einfach nur lächerlich.
Mit so was könnte man zum Glück heute keinem Lektor mehr kommen, und ich kann nur froh darüber sein, dass zeitgenössische Autoren wie China Mieville, William Gibson, Jeff Vandermeer und andere tatsächlich phantastische Literatur hervorbringen. Abgesehen von einigen Ausnahmen (z. B. Bester, Bradbury, Miller) war für mich das "Goldene Zeitalter" das "Blecherne".
Ausblick
Microsoft - man kann das Monster aus Redmond aus ganzer Seele hassen, aber man sollte sich davon nicht so blenden lassen, dass man Innovationen aus dieser Ecke glatt übersieht. Kann sein, dass nie ein brauchbares Produkt daraus wird, aber die Zwischenergebnisse des "Projekts Gustav" sind durchaus interessant.
Es sieht so aus, als ermögliche die gestiegene Rechenleistung handelsüblicher PCs demnächst realistisches Malen am Bildschirm. Diese Sorte von Malen nach Zahlen wäre dann wahrscheinlich auch für das eine oder andere wirkliche Kunstwerk gut.
(Marcus Hammerschmitt)