Musik retten mit Online-Games
Musik- und Spieleindustrie sind in den letzten Jahren näher zusammengerückt. Beide Branchen hoffen auf Synergien. Das niederländische Elektronikprojekt Noisia hat sich etwa ein eigenes Online-Spiel programmieren lassen. Doch nicht alle Bands und Spieleentwickler sehen darin ein großes Potenzial, oft scheitern derartige Projekte auch am Budget.
Wir schreiben das Jahr 1985, mit "Frankie Goes to Hollywood" wird ein Computerspiel der gleichnamigen Band für den Commodore 64, den Amstrad CPC und den ZX Spectrum veröffentlicht. Jahre später kommt es zum Erfolg des Musikspiels "Guitar Hero" von Harmonix Music Systems auf der PlayStation 2.
Die Idee, Musik und Bands in den Mittelpunkt eines Computerspiels zu stellen und damit besser zu vermarkten, ist nicht neu, wird aber immer wieder gerne aufgegriffen - und führt durchaus zu interessanten Synergien der Spiele- und Musikwelt. Die niederländische Gruppe Noisia ließ sich etwa eigens ein Online-Game rund um ihre Band entwickeln, um die Zahl ihrer Fans zu erweitern.
Das Trio, bestehend aus Nik Roos, Martijn van Sonderen und Thijs de Vlieger, macht düstere, industriell angehauchte elektronische Beats aus den Genres Drum 'n' Bass, Breakbeat, Downtempo und House. Diese wurden bereits mehrfach als Soundtracks in Videospielen verwendet, etwa bei "WipeOut HD" für die PS3 und im Intro von "Gran Turismo" für die PSP.
Die Bandmitglieder spielen zudem selbst im Studio gerne Videogames. Jeder hat dabei seine eigenen Vorlieben: "Nik hat gern 'Unreal Tournament' gespielt und hat sich gerade das neue 'Final Fanatasy' gekauft, Martijn spielt 'Trials HD' auf der X-Box, Thijs 'GTA IV'", erzählt Walter Flapper, der Manager das Musikteams.
Glänzende Grafik und ausgetüftelte Idee
Zusammen mit der Veröffentlichung der Single "Machine Gun" erschien am 8. März auch das Online-Videospiel "Infection", das rund um die Band angesiedelt ist und vorwiegend als Marketingmaßnahme für die Musik dienen soll. So weit, so gut. Für eine Marketingmaßnahme ist "Infection" allerdings relativ aufwendig - und teuer - geraten. Es ist kein billiges Browser-Game, sondern ein Spiel mit hochwertiger Grafik und einer fein ausgetüftelten Spielidee von der jungen niederländischen Spiele- und Social-Media-Firma Flavour.
"Die Musik ist dabei das Wichtigste", erklärt Emily Jacometti von Flavour gegenüber ORF.at. "Auch die Soundeffekte stammen von Noisia. Wir haben bei der Entstehung des Spiels sehr intensiv mit der Band zusammengearbeitet und auch ihre Einflüsse eingebaut. Als Musiker hat man einen komplett anderen Zugang zu Spielen, auch wenn man selbst aktiv spielt."
Bandmitglieder als Protagonisten
Der Protagonist des Spiels ist derzeit Bandmitglied Thijs. Dieser muss im Takt zum Song "Machine Gun" seine Feinde besiegen. Die Welt, in der sich das Szenario abspielt, ist passend zum Song sehr düster. Derzeit umfasst das Spiel vier Levels, drei davon ziehen sich durch den etwa vier Minuten langen Song, im vierten Level kommt es zum Showdown zwischen dem Protagonisten und seinen Gegnern. Am Ende kassiert Manager Flapper 50 Prozent des Highscores. "Wie im echten Leben", scherzt Jacometti.
Während sich die jungen niederländischen Spieledesigner dem "No Budget"-Projekt im Wert von 200.000 Euro in ihrer Freizeit - inklusive 18-monatiger Abend- und Wochenendschichten - angenommen haben, hat es ein österreichisches Plattenlabel mit einer ähnlichen Idee nicht geschafft, diese auch umzusetzen.
Gescheitert am Budget
Ende 2006 hatte das Hip-Hop-Label Nein Danke die Idee für ein Jump-'n'-Run-Spiel rund um den österreichischen Hip-Hop-Künstler Appletree als Protagonisten. "Geplant war, dass man im Spiel mit der U-Bahn quer durch Wien fährt und dabei Skills sammelt, indem man sich an Graffiti- oder Breakdance-Aktionen beteiligt oder auch an Freestyle-Battles teilnimmt", erklärt Mathias Schopf, Geschäftsführer des Labels. Gescheitert sei die Idee am Budget, nachdem man über zwei Jahre lang versucht habe, einen geeigneten Partner für die Umsetzung zu finden.
"Ich halte die Idee nach wie vor für interessant, da man dadurch ein breiteres Publikum ansprechen kann", sagt Schopf. "Allerdings sind die Ansprüche an ein derartiges Spiel enorm gewachsen."
Musiklizenzierungen als Alternative
Fares Kayali von der österreichischen Spielefirma Studio Radiolaris könnte sich ein derartiges Game-Projekt für eine Band gut selbst vorstellen: "Es ist auf jeden Fall eine eigene Herausforderung, mit Musikern zusammenzuarbeiten, aber so eine Verbindung würde beiden Seiten zugutekommen." Kayali gefällt zudem die Umsetzung des Musikspiels "Infection". "Besonders das Gameplay ist gelungen, das ganze Spiel ist technisch gut gemacht." Kayalis Unternehmen widmet sich selbst der Verknüpfung der Musik- mit der Spielewelt.
Mit dem Musikspiel "Radio Flare Redux" gingen die österreichischen Spieleentwickler allerdings den anderen Weg: Sie lizenzierten fertige Musikstücke aus dem elektronischen Musikbereich von Labels wie Fumakilla und Mikrowave sowie über Musiklizenzierungsplattformen wie Jamendo für ihr Spiel. "Wir wollten ein vielfältiges Angebot schaffen, das ist schwierig, wenn man nur mit ein oder zwei Künstlern zusammenarbeitet", erklärt Kayali, der zudem auf rechtliche Schwierigkeiten im Bezug auf Musiklizenzierungen hinweist. Es sei allerdings gerade ein Prozess im Gange, der das künftig erleichtern werde, ergänzt er.
Erfolgreiche Synergien aus Musik- und Spielewelt gebe es zudem etwa bei "Tap Tap Revenge", einem iPhone-Rhythmusspiel. "Hier lassen sich Querverbindungen herstellen, es steigen etwa auch die Verkaufszahlen der Musik durch das Spiel", erzählt Kayalis.
Zahlt sich die Mühe überhaupt aus?
Doch nicht alle Personen aus der Spiele- und Musikwelt können sich eine fruchtbare Zusammenarbeit von Spieleentwicklern und Musikern vorstellen. "Ich glaube, dass es als externer Entwickler recht schwierig sein kann, da der Künstler bereits ein bestimmtes Bild mit sich bringt, wie das Spiel aussehen soll", meint Josef Schuh, ein freier Spieleentwickler aus Wien. "Außerdem ist es im Vorhinein schwierig herauszufinden, ob es sich überhaupt auszahlt."
Ähnlich sieht das Markus Kienzl von der österreichischen Band Sofa Surfers, der mit dem Titel "Dundy Lion" vom Album "Produkt" einen Song für das Spiel "Midnight-Club LA" (erschienen für PS3, Xbox 360 und PSP) lizenziert hat. "Mit 200.000 Euro lassen sich wesentlich sinnvollere PR-Aktivitäten starten. Außerdem kann ich mir kaum vorstellen, dass man um dieses Budget ein professionelles und international erfolgreiches Spiel auf den Markt bringen kann", erklärt Kienzl, dem auch die Lizenzierung seines eigenen Songs weder Folgeaufträge noch sonstige Synergieeffekte einbrachte.
Zur Vermarktung des neuen Sofa-Surfers-Albums "Blindside" werde die Band daher auf klassische Vermarktungswege sowie eine starke Online-Präsenz setzen. Ob Social Media dabei wirklich sinnvoll eingesetzt werden könnten, sei allerdings dahingestellt, erklärt Kienzl. "Bei MySpace konnten wir ja bereits beobachten, daß auch solche Plattformen schnell wieder aus der Mode kommen und von heute auf morgen nicht mehr genutzt werden." Statt eines Games gibt es allerdings ganz klassisch ein neues Musikvideo.
Rainer Praschak vom Music Information Center Austria (mica) ist der Meinung, dass ein gut umgesetztes, interaktives Online-Spiel zwar prinzipiell das bessere Promotion-Tool sei als ein Musikvideo, die Umsetzung allerdings aus budgetären Gründen eher unrealistisch sei. "Bei vielen Bands ist nicht einmal genug Geld für ein Musikvideo da."
Neue Welten und neue Plattformen
Für die niederländische Band Noisia geht es am 5. April bereits eine Stufe weiter im Spiel mit dem Spiel: Rechtzeitig zur Veröffentlichung des Albums "Split the Atom" soll es bei "Infection" neue Welten, neue Feinde und Levels im Spiel geben. "Ab dann werden auch die anderen beiden Bandmitglieder als Protagonisten zur Auswahl stehen", erzählt Jacometti von Flavour. "Die neuen Welten werden außerdem ganz anders sein." Mehr will Jacometti allerdings noch nicht verraten.
Zudem kann sie sich vorstellen, dass das in Flash programmierte Online-Spiel in Zukunft durchaus auch auf anderen Plattformen zum Einsatz kommen könnte - vorerst entweder als iPhone- oder iPad-Spiel. "Mit dem nächsten Flash-Update könnten wir es relativ einfach für das iPhone adaptieren", kündigt Jacometti an, deren Spielefirma zudem auf - bezahlte - Aufträge seitens weiterer Bands hofft.
(futurezone/Barbara Wimmer)