Der diskrete Charme der Apokalypse
Die Apokalypse gehört schon seit biblischen Zeiten zum Grundrepertoire der Unterhaltungsindustrie. Auch neuerdings verlassen sich wieder mehrere Regisseure auf die Sogkraft des Weltuntergangs. In "Book of Eli" schlurft Denzel Washington durch die Wüste Hollywoods, und den madmaxoiden Reißer "The Road" rettet nicht einmal sein selbst proklamierter Nihilismus.
Zur Person:
Marcus Hammerschmitt, geboren 1967, ist Schriftsteller und Journalist. Einmal im Monat verfasst er für futurezone.ORF.at einen Bericht zum Zustand der Zukunft. Veröffentlichungen (Auswahl): "Target" (Suhrkamp 1998), "Instant Nirwana" (Aufbau 1999), "Polyplay" (Argument 2002), zuletzt: "Der Fürst der Skorpione" (Sauerländer 2007) und "Yardang" (Sauerländer 2010).
Die Apokalypse ist ja nun als Drama ein Evergreen mindestens seit den Tagen der Offenbarung des Johannes, und solche Evergreens ("Boy Meets Girl", "Aufstand der Sklaven", "Rise and Fall of …") bleiben nie lange von der großen Maschine unbeachtet, die unsere Kultur verfertigt. Woher die aktuelle Lust am Untergang kommt, könnte uns vielleicht die Empirische Kulturwissenschaft sagen. Tatsache ist, dass sich jüngst neben Roland "SFX" Emmerich auch zwei (resp. drei) andere profilierte Regisseure am Thema versucht haben.
Dass Emmerich Müll produzieren würde, war von vornherein klar, aber auch bei den Hughes-Brüdern und John Hillcoat sind die Ergebnisse zum Weinen. Allerdings nicht wegen der Kunst der Tragödie, die uns geboten wird, sondern aufgrund des Gegenteils. Die Pleiten in der Einzelwertung.
1. "The Book of Eli"
Ich verrate Ihnen etwas: Ich mag Denzel Washington. Er hatte so etwas Ehrliches, Ungekünsteltes, man konnte sich mit ihm identifizieren. Aber manche Hollywood-Darsteller bekommen ab einem gewissen Alter einen Erlöserkomplex (s. Mel Gibson, Nicolas Cage et al.), und für Washington scheint die Zeit gekommen zu sein. Jedenfalls legt das sein jüngster Film "The Book of Eli" nahe.
Irgendwann in der nicht allzu fernen Zukunft: Die Apokalypse war da und hat ein Amerika nach "Mad Max"-Art zurückgelassen. Verfall, Brutalität, Ratten, Wassermangel. Wir sehen einen einsamen Wanderer, der schlimme Dinge tut, um zu überleben - er verspeist Katzen, zieht noch am Strick hängenden Selbstmördern die Schuhe aus, weil seine eigenen durchgelaufen sind, etc. Andererseits legt er sich gekonnt zur Ruhe hin, liest in einem Buch und hört mit einem halbkaputten MP3-Player ziemlich guten Soul aus den Sechzigern. Es erweist sich: Der Mann hat Charakter. Denn er kann auch gegen Böse kämpfen, und zwar so, dass diese nicht überleben. Noch sind nicht alle Sympathiepunkte für Washington aufgebraucht, da zitiert er kurz vor einem Kampf die Bibel.
Tarantino konnte seinerzeit aus so einer Situation etwas machen, die Hughes-Brüder lassen ab diesem Moment ihren Zug auf eine Art entgleisen, die große Entschlossenheit zur Sabotage verrät. Das geheimnisvolle Buch Elis ist tatsächlich die Bibel, die Bösen wollen sich des Werks bemächtigen, es wird viel geschossen, und am Ende ist zwar Eli kaputt, aber der christliche Glaube besteht, auch in finsteren Zeiten wie diesen. Ernsthaft. Und das Ganze ist in ein düsteres, braun-graues Licht getaucht, als sei der Film in die falsche Entwicklerflüssigkeit geraten - mit jeder Einstellung ruft die Ästhetik des Streifens "Kunstfilm! Ich bin ein Kunstfilm!" von der Leinwand, und gleichzeitig wird das Geschrei von dem bescheuerten Plot als pure Prätention denunziert. Schade, Denzel, war schön mit dir.
2. "The Road"
Wenn der Zuschauer von diesem Schwachsinn erschreckt zu "The Road" flieht, kommt er vom Regen in die Traufe. Man könnte von Wertungen ermutigt sein, die "The Road" als "nihilistisches Gegenstück" zu "The Book of Eli" beschrieben haben. Leider bürgt der Nihilismus auch nicht für ein Quäntchen mehr Qualität als bei Denzels Desaster. Hier beschützt der Held kein beschützenswertes Buch, sondern ein beschützenswertes Kind, aber ansonsten ist so vieles gleich, als hätten die Drehbuchautoren gegenseitig aus den Skripten abgeschrieben: die Szene mit dem Gehenkten, der Kannibalismus, die Mad-Max-Figuren, die sogar in einem Amerika ohne Gesetz noch Skimasken über der Kannibalenfresse tragen, einfach weil es ein bisschen mehr gruselt.
Es gibt in "The Road" sogar einen Eli - ernsthaft. Ob das nun auf Zufall beruht, auf Industriespionage oder ganz ausgefuchster filmischer Intertextualität, ist mir von Herzen egal, es fällt nur auf, und zwar negativ. Bei Hillcoat ist der Film nicht in die falsche Entwicklerflüssigkeit geraten, dafür versucht er mit höherem Ekelfaktor zu punkten, mit Gedärm und Gewürg. Jedoch die Geschichte ist, wenn das überhaupt geht, noch dünner und dümmer als bei Eli, dem Knarrenjesus. Erst ist Apokalypse, dann verrecken fast alle, und am Schluss überlebt das schützenswerte Kind, also die Hoffnung, also die Zukunft.
Der Nihilismus war schon mal nihilistischer und vor allem amüsanter. "The Road" will als Literaturverfilmung von edlerer Statur sein als "The Book of Eli", ist aber letztendlich eben auch nur ein dummer Verzweiflungs- und Erlösungsporno. Was immer diese beiden Peinlichkeiten noch für Preise einheimsen werden: Ich verleihe ihnen jetzt schon den Tina-Turner-Gedenkpokal für Endzeit-Schmonzetten. Auf dem ist das Verdikt über alle Jünger von Mad Max eingraviert: "Kennst du einen, kennst du alle." Tun Sie sich einen Gefallen und geben sie Ihr Geld für was anderes aus.
Rückblick
Sie erinnern sich vielleicht: Letztes Mal lobte ich Cory Doctorows Roman "Makers".
Wie sich herausstellt, ist aber sein Jugendroman "Little Brother" (2008) noch viel besser. Er hat eine Menge Informationen über die unschöne neue Überwachungswelt zu bieten, die vor unseren Augen entsteht, und vor allem auch darüber, wie man sie bekämpft. Zusätzlich gibt es nicht nur die englische, sondern auch die deutsche Version (PDF) zum Herunterladen. Über die Qualität der Übersetzung kann ich nichts sagen, das Original ist jedenfalls großartig. Greifen Sie ohne jedes schlechte Gewissen zu: Der Autor hat seine Texte unter Creative-Commons-Lizenzen gestellt, und die Verlage, die sie zum Verkaufen drucken, wissen Bescheid und sind einverstanden. Ernsthaft.
Ausblick
Roboterfußball, man kennt das. Drollige kleine Apparate, die Tischtennisbälle irgendwohin schießen, und wenn die Schüsse zufällig in die richtige Richtung gehen, sind die Erbauer begeistert. Allerdings macht der Sport Fortschritte, wie dieses Video beweist. Ich kann mir nicht helfen, aber den Anblick der gelenkigen Verrenkungen, mit denen diese Maschinen sich selbst wieder aufrichten, wenn sie hingefallen sind, finde ich doch ein wenig unheimlich. Und dass sie in 40 Jahren immer noch nicht gegen reale Fußballer antreten können sollen, wie die junge Informatikerin meint, kommt mir mehr und mehr wie Wunschdenken vor.
(Marcus Hammerschmitt)