© Lev Ledit, Jamin Brophy-Warren vom Game-Fanzine Killscreen

"Kill Screen": Journal der Videospielkultur

Games-Magazin
30.03.2010

Während sich der kommerzielle Games-Journalismus mittlerweile fast gänzlich ins Web verlagert hat, wird im Printbereich zunehmend auf Qualität gesetzt. In den USA will das neu gestartete "Kill Screen" intelligente Geschichten rund um Games erzählen. Robert Glashüttner hat die beiden Gründer in San Francisco über ihre Motivation befragt.

Das gedruckte Computer- und Videospielmagazin ist am Aussterben. Es hat sich jahrelang Zug um Zug sein eigenes Grab geschaufelt, indem man sich zu devot den Wünschen der Leserschaft gebeugt hat. Diese wollten angeblich keine Experimente, sie wollten produktbezogene Kaufberatung, "Stiftung Warentest"-Artikel und Zahlenspielereien. Doch wer kein Rückgrat zeigt, wird bestraft – Games-Interessierte weinen der krachenden Printmagazinlandschaft nur sehr selten eine Träne nach.

News, Vorschauen, Tests und die mittlerweile beinahe religiös verehrten Metacritic-Werte sind im Netz schneller, umfangreicher, bequemer und vor allem kostenfreier zu holen als in den Monatszeitschriften. Die deutsche Fachpresse, die seit den 1980er Jahren mehr oder weniger starr in ihrem Servicecharakter verhaftet ist, wurde ausgestochen.

Mut zur Qualität

Ein kill screen hat nichts mit Gewalt zu tun, sondern bezieht sich auf alte Spielhallenspiele, die aufgrund technischer Restriktionen bei einer unbestimmten, sehr hohen Spielstufe abstürzen – niemand der Designer hatte damals gedacht, dass es jemals Gamer geben würde, die so weit ins Spiel vordringen würden. Kill screens treten etwa bei "Pac-Man" oder "Donkey Kong" auf.

Der einzige Ausweg aus der Printmisere ist das Setzen auf Qualität: qualitativ hochwertiges Papier, stilsicheres Layout und vor allem gut geschriebene, ausführlich recherchierte Artikel von erfahrenen Autoren sind gerade in Zeiten von Budgetkürzungen und Stellenstreichungen jene Tugenden, auf die man sich besinnen sollte.

Im Bereich der Games-Magazine ist diesbezüglich das langgediente Industrie-Fachmagazin EDGE vom britischen Future-Verlag führend, aber auch der deutschsprachige Raum hat seit dem Jahr 2003 mit der popkulturell ausgerichteten GEE ein Magazin, das sich auf kluge und reflexive Beleuchtung von Videospiel-Kultur spezialisiert und sich der geradlinigen Produktberichterstattung verweigert. Und nun schickt man sich auch in den USA an, intellektuelle Spieler abzuholen.

Der "Rolling Stone" der Videospiele

Das im handlichen Kleinformat konzipierte Magazin "Kill Screen" ist Anfang März erstmals auf der wichtigen Branchen-Veranstaltung Game Developers Conference (GDC) in San Francisco in der Vorabversion "Issue 0" vorgestellt worden. "Kill Screen" soll ein langlebiges Produkt mit hochwertigen und ausführlichen Geschichten von Spielen und Spieleerlebnissen werden. Im Mittelpunkt stehen gleichermaßen Spielkultur und die gute Erzählung darüber. Im Interview sprechen die beiden Musik- und Games-Journalisten Jamin Brophy-Warren und Chris Dahlen über ihre Idee und das Konzept ihres neu gegründeten Magazins.

ORF.at: Was ist die grundlegende Motivation hinter "Kill Screen"?

Brophy-Warren: Ich habe früher unter anderem fürs "Wall Street Journal" gearbeitet und war auch Musikjournalist. Mir ist dabei aufgefallen, dass es so etwas wie ein qualitativ produziertes, rein kulturbezogenes Printmagazin für Games nicht gibt. Es gibt den sehr spezifischen akademischen Diskurs und dann die oft sehr Fan-zentrierte Berichterstattung. Ich war aber mehr an längeren Texten interessiert, die sich in einer allgemeinen Weise Fragen stellen wie: Was bedeuten Games für die Spielenden und die Gesellschaft? Wir sind an Videospielkultur interessiert und weniger an der Beleuchtung von Games als Konsumprodukte.

ORF.at: Warum ist es so schwer, so etwas durchzusetzen?

Brophy-Warren: Da gibt es mehrere Gründe. Zunächst ist es schwierig, die potenziell interessierten Menschen zu finden und ihre Wünsche einzuschätzen. Dann ist da natürlich die Sache des Marktes und der Nachhaltigkeit. Wir wollen ein Magazin machen, dass man sich ins Bücherregal stellt und nicht nach einer Woche wieder wegwirft. Wenn man heute ein Printmagazin macht, muss man etwas Besonders bieten, etwas qualitativ Hochwertiges, Luxuriöses. Ansonsten kann man auch nicht von den Leuten verlangen, dass sie dafür etwas bezahlen. Dahlen: Es geht auch darum, Autoren dafür zu interessieren, die sonst hauptsächlich fürs Web schreiben und da weder Zeit noch Platz für umfangreichere Geschichten haben.

ORF.at: Ihr habt beide Erfahrung in Mainstream-Medien und schreibt nicht exklusiv nur über Spiele. Was ist euer Ansatz für "Kill Screen"?

Dahlen: Es gibt im Bereich Games leider wenige Möglichkeiten, die Kultur an sich zu beleuchten, Wege zu finden, wo sich Kreuzungen zu anderen Medien- und Kunstformen ergeben. Es ist viel abgetrennter als andere Kreativ-, Kultur- und Entertainment-Bereiche wie Musik, Film und Mode. Brophy-Warren: Dabei geht es oft darum, den Kern einer Sache zu finden. Die Geschichte oder die Intention hinter etwas. Zum Beispiel der Film "King of Kong", der vom Wettstreit zweier Männer handelt, wer den höheren Highscore im originalen "Donkey Kong" am Spielautomaten aufstellen kann. Dieser Film hat meiner Mutter sehr gefallen, obwohl sie kaum Spiele spielt. Aber in dem Film geht es ja in Wahrheit weniger um Games als um Wettbewerb, Psychologie, Schicksal und Rollen, die Menschen von ihrem Umfeld und der Gesellschaft zugeschrieben bekommen.

ORF.at: Wir sind hier auf einer wichtigen Konferenz der Videospieleindustrie. Wie wollt ihr Menschen außerhalb des Games-Kontextes ansprechen?

Brophy-Warren: Die Spieleindustrie ist sehr schlecht darin, eine Vielzahl an Zielgruppen anzusprechen. Sie denken in den beiden Schablonen Hardcore-Gamer, also der 17-jährige Teenager, und der Gelegenheitsspielerin, also der "Bejeweled"-spielenden Mutter. Aber da sind so viele Menschen dazwischen! Und genau sie möchten wir für unser Magazin interessieren. Denn diese Leute beschäftigen sich auch mit Spielen, bekommen aber oft keine medialen Angebote und Möglichkeiten, sich darüber auszutauschen. Wir glauben, dass diese Zielgruppe sehr groß ist.

ORF.at: Wie legt ihr eure Geschichten an?

Dahlen: Jede Ausgabe hat ein Thema – das macht es einfacher, zu gliedern und strukturieren. Aber der jeweilige Zugang liegt ja beim Autor oder der Autorin. Wir wollen vor allem persönliche Perspektiven. Wir wollen etwas über den Schreibenden erfahren und was sie oder er zu der Erfahrung, über die geschrieben wird, selbst einbringen kann. Brophy-Warren: Abgesehen davon wollen wir auch wichtige, komplexere Themen aus der Games-Industrie nehmen und sie in einer entsprechend zugänglichen Form für eine größere Zielgruppe aufbereiten.

ORF.at: Wer schreibt für euch und wen wählt ihr aus?

Brophy-Warren: Mein Problem mit Spiele-Journalismus ist oft: Du hast da einen Haufen Leute, die Games lieben, aber nicht wirklich gerne schreiben. Wir suchen aber Menschen, die es lieben zu schreiben und denen gleichzeitig Games sehr wichtig sind. Es ist also quasi ein umgekehrter Zugang als die meisten kommerziellen Fachmagazine im Bereich Spiele verfolgen.

ORF.at: Reflektieren Gamer über ihr Hobby?

Brophy-Warren: Auf jeden Fall, nur realisieren sie es nicht immer. Wenn jemand über eine wichtige Figur in "Final Fantasy 7" spricht, die plötzlich stirbt, dann ist das natürlich eine Reflexion. Das Problem ist, dass diese informelle Weise, darüber zu sprechen, noch nicht weiter kultiviert wird. Es fehlt oft noch an der Erfahrung, diese Gedanken zu strukturieren. Dahlen: Aber es verändert sich immer mehr: Jeder hat eine persönliche Little-Sister-Geschichte aus "Bioshock", jeder weiß eine Erfahrung aus "Left 4 Dead" zu berichten. Wir verstehen die Mechanik eines Spieles durch intensive Momente – etwa, wenn unser Avatar stirbt, gerade als wir um jeden Preis entkommen wollten und im letzten Moment auf den Hubschrauber springen.

ORF.at: Warum habt ihr euch für ein Kleinformat entschieden?

Dahlen: Es soll an ein Buch erinnern – Bücher haben oft diese oder eine ähnliche Größe, an die viele Leser gewöhnt sind.

ORF.at: Wie sieht euer Geschäftsmodell aus?

Brophy-Warren: Wir wollen schwer profitabel sein! (lacht) – Also, wir wollen tatsächlich Geld verdienen, aber ich sage das jetzt nicht, weil ich mich persönlich bereichern will, sondern vor allem, weil ich möchte, das "Kill Screen" in möglichst viele Hände gelangt. Mein Traum ist, Autoren anständig zu bezahlen. Qualitätsjournalismus kostet eben Geld.

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Robert Glashüttner stellt die Gründer von "Kill Screen" sowie Aussschnitte aus dem Magazin am Dienstag auch in der FM4 Homebase (ab 19 Uhr) vor.

ORF.at: Ihr seid enthusiastisch, aber auch erfahren und realistisch. Wie schafft ihr es, euch eure positive Energie zu behalten, wenn ihr wisst, wie schwer es derzeit ist, neue Printprodukte auf den Markt zu bringen?

Dahlen: Ja, viele Leute in Foren fragen, ob wir spinnen. Aber wir konkurrieren nicht in diesem üblichen Print-Feld. Wir haben kein Venture-Kapital und keine Obrigkeit, die den Stecker ziehen kann. Wir haben hingegen viele Unterstützer, die uns einfach Geld geben, die möchten, dass "Kill Screen" umgesetzt wird. Brophy-Warren: Ich habe lieber 100.000 zahlende Leser, für die unser Magazin wirklich etwas wert ist, als eine Million, die das Heft nach ein paar Tagen wegschmeißen. Wir wollen eine direkte Verbindung zwischen uns und unserer Leserschaft.

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(Robert Glashüttner)