© Beate Firlinger, Wandzeichnung auf der re:publica 2010: Twittervogel mit Faust

Die Zukunft im Nirgendwo

"MATRIX"
25.04.2010

Einst wenigen Nutzern in Wissenschaft, Militär und Forschung vorbehalten, durchdringt das Internet nun die ganze Gesellschaft. Die Berliner Konferenzreihe re:publica versucht, dem Wesen des Netzes auf den Grund zu gehen und die neuen Konflikte und Chancen offenzulegen. Eine Nachlese aus der "matrix"-Redaktion.

Manche Medien bezeichnen sie als "Klassentreffen der Blogger", als "Kirchentag für die Web-Gemeinde" oder als Insiderevent für die "Indianer des Internets". Das alles ist sie zwar auch, aber nicht nur. Denn die Berliner re:publica ist gewachsen und bietet längst mehr als eine Nabelschau für eingefleischte Nerds. Das bewies die vierte Ausgabe des Social Media Konferenz, die Mitte April 2010 in die deutsche Hauptstadt lockte.

"NowHere" oder anders ausgesprochen "Nowhere" lautete diesmal das Motto. Eine inhaltliche Vorgabe, die bewusst mehrdeutig gehalten ist, sagt der Mitorganisator Markus Beckedahl. "Wir leben im Hier und Jetzt und wir gehen online, sind global und in Echtzeit vernetzt und befinden uns im Nirgendwo." Eine andere Interpretation findet der 33-jährige Berliner Blogger noch besser: "Wir stehen mit der digitalen Gesellschaft erst ganz am Anfang und wir wissen noch gar nicht, wo es hingeht."

Am Sonntag in "matrix"

Sie hören den Radiobeitrag zu diesem Thema am Sonntag, dem 25. April 2010, um 22.30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix".

Suche nach der Zukunft

Um diese Zukunft im Nirgendwo zu erhellen, hatten die Veranstalter 265 Vortragende aus 30 Ländern nach Berlin Mitte eingeladen. Austragungsorte waren wie im Vorjahr das alternative Veranstaltungszentrum Kalkscheune sowie der vornehme Friedrichstadtpalast, das größte Revuetheater Europas, das noch aus DDR-Zeiten stammt. Rund 2.500 Teilnehmer folgten den insgesamt 165 Präsentationen, die in bis zu neun parallel laufenden Sessions über die Bühnen gingen. So hatte das Megaevent auch selbst ein bisschen was von überall und nirgends. Abgesehen von den Ausfällen des WLAN war die re:publica perfekt organisiert und die Web-Szene, die angeblich nur um sich selber kreist, schien von Journalisten geradezu belagert zu sein.

"Das Internet dringt heute als Kulturtechnologie massiv in das Leben der Menschen ein, schneller als jede andere Technologie zuvor", erklärt sich Markus Beckedahl den wachsenden Zuspruch von Medien und Publikum, "damit wird die Digitalisierung immer stärker zu einem gesellschaftlich relevanten Thema, das auch über netzaffine Kreise hinaus diskutiert werden will", meint der Betreiber der Plattform netzpolitik.org.

Aktivismus und WikiLeaks

Netzsperren und Netzneutralität, Privatsphäre und Datenschutz, Online-Aktivismus und E-Campaigning waren nur einige Aspekte, die in den Vorträgen und Workshops intensiv beleuchtet wurden. Geboten wurde nicht nur ein breites Themenspektrum, sondern auch ein sehr politisches Programm. So informierte etwa Daniel Schmitt, der Sprecher von WikiLeaks.org, über die Erfolge des Netzprojektes. Die Enthüllungsplattform macht vertrauliche Dokumente aus anonym gehaltenen Quellen der Allgemeinheit zugänglich. Darunter auch hochbrisantes Material wie zuletzt das Irak-Video, das den gewaltsamen Tod von Zivilisten durch die US-Armee in Bagdad 2007 zeigt.

Anfang April 2010 stellte WikiLeaks die Aufnahmen unter dem Titel "Collateral Murder" ins Web und sorgte damit weltweit für Schlagzeilen. "Wir verstehen uns nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu den klassischen Medien", leistete WikiLeaks-Sprecher Schmitt auf der re:publica Aufklärungsarbeit. "Wir wollen den investigativen Journalismus nicht überflüssig, sondern finanzierbar machen."

Afrikanische Blogosphäre

Einen Einblick in die afrikanische Blogosphäre ermöglichte die nigerianische Autorin Sokari Ekine. Sie betreibt das Weblog Blacklooks.org, das progressive und feministische Perspektiven aus und auf Afrika präsentiert. Als Alternative zu den Mainstream-Medien des Kontinents, die Themen wie Frauen, Homosexualität und Landrechte oft falsch oder gar nicht bringen, wie sie kritisiert.

Doch politische Blogs hätten nun zunehmend Einfluss darauf, wie die Zeitungen berichten. "Und wenn du Zugang zum Internet hast, dann hast du heute auch Zugang zu einem viel breiteren Spektrum an Meinungen als früher", sagt Sokari Ekine, "Gleichzeitig ist aber zu erwähnen, dass die Mehrheit der Menschen in Afrika keinen Zugang zum Internet hat."

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(matrix/Beate Firlinger)