LCD-Spiele: Die Urahnen des Gameboy
Die LCD-Spiele und tragbaren Spielekonsolen der frühen 80er gelten als Einstiegsdroge für die "Generation Heimcomputer". Ihre berühmteste Serie, Nintendos "Game & Watch", wird am Mittwoch exakt 30 Jahre alt. Anatol Locker sprach für ORF.at mit Jaro Gielens, der Europas wohl größte LCD-Spielesammlung besitzt, über Design und Bedeutung dieser kleinen Kunstwerke.
Anfang der 80er Jahre waren die ersten digitalen Gadgets - Taschenrechner und Digitaluhren - bereits profan geworden. Der neue Hit auf dem Schulhof war scheckkartengroß, piepte und konnte in Sekunden Langeweile in Spannung verwandeln. Am LCD-Schirm steuerte man seine Spielfigur, plättete Maulwürfe, rettete Fallschirmspringer und ballerte Aliens ab. Spiele wie "Donkey Kong", "Space Invaders" und "Pac-Man" brachten Arcade-Feeling für alle, die Spielhallen nicht betreten durften.
Die Games waren nicht günstig, aber erschwinglich - und sie verkauften sich millionenfach. Innerhalb weniger Jahre brachten Firmen wie Bandai, Casio, Mattel, Milton Bradley, Tomy und Coleco über 1.000 Titel heraus. Aus heutiger Sicht waren sie nahezu pervers schwierig zu spielen. Aber irgendwie ehrlicher: Jeder gefangene Ball, jede gerettete Person und jeder geplättete Maulwurf brachte exakt einen Punkt. Mit einem Score von 721 wussten Eingeweihte noch etwas anzufangen.
Auch der japanische Spielkartenhersteller Nintendo stieg ins Geschäft ein. Die Minikonsolen wurden von Gunpei Yokoi designt - er sollte zehn Jahre später den Game Boy erfinden. Bis 1991 brachte Nintendo insgesamt 59 "Game & Watch"-Spiele offiziell in den Handel. Futurezone.ORF.at unterhielt sich mit Jaro Gielens, einem der führenden Sammler der frühen Game-Maschinen über deren Bedeutung.
Zur Person:
Er besitzt Spiele, die so manchen Experten neidisch machen: Seit 15 Jahren sammelt Jaro Gielens LCD-Spiele und Handheld-Konsolen. Seine Sammlung umfasst über 800 Exemplare und gehört zu den größten Europas.
Der Interaction- und Web-Designer wurde 1971 im niederländischen Eindhoven geboren. Sein Buch "Electronic Plastic" (Die Gestalten Verlag, Berlin, 2000, derzeit leider vergriffen) gehört zu den Standardwerken der Gaming-Publikationen. Jaro bloggt unter superselect.tumblr.com;
Informationen zu seiner Sammlung findet man auf www.electronicplastic.com.
ORF.at: Was macht für Dich die Faszination der alten Spiele aus?
Jaro Gielens: Im Vergleich zu modernen tragbaren Spielekonsolen war jedes Spiel damals einzigartig. Display, Gehäuse und Bedienung wurden speziell auf den Spielinhalt abgestimmt. In meinen Augen ist jedes für sich ein kleines Kunstwerk. Hier kommt alles zusammen: bestes Industrie-, Interface-, Verpackungs- und Grafikdesign. Außerdem sind LCD-Handheld-Spiele schöne Beispiele für die technischen Möglichkeiten und den Zeitgeist der frühen 80er Jahre. Für viele Jugendliche waren sie der erste Kontakt mit dem digitalen Zeitalter, noch vor Digitaluhr, Videorecorder und Heimcomputer. Die Games waren meist sehr einfach gehalten und besaßen primitive Displays, aber sie machten den Einstieg leicht. Spielvariation A oder B, drei Leben und ein Highscore - das machte Spaß. Obendrein gab's noch eine Digitaluhr mit Weckfunktion - was meist als Vorwand für die Anschaffung des Geräts vorgeschoben wurde.
ORF.at: Was unterscheidet Nintendos "Game & Watch"-Serie von anderem "Electronic Plastic"?
Gielens: Wohl das einheitliche Konzept und Gestaltung der 59 Spiele. Außerdem setzten diese LCD-Spiele Standards, was Gameplay, Verarbeitung und Vermarktung angeht. Nintendo hat hier erstmals klassische Elemente eingeführt, wie etwa die Mario-Figur und das Steuerkreuz. Dafür wurden mehrere Gehäuse und Display-Versionen ausprobiert, beispielsweise das Dual-Display "Multi Screen" und der Farbschirm "Panorama Screen". Die Serie war sehr erfolgreich: Seit 1980 wurden über 60 Millionen "Game & Watch"-Titel verkauft. Erst der Gameboy sollte ab 1989 noch erfolgreicher werden.
ORF.at: Nintendo mag mit "Game & Watch" einen großen Erfolg gelandet haben, aber oft sind die interessantesten Geräte ja nicht unbedingt die erfolgreichsten. Welche Firmen haben für Deinen Geschmack die schönsten Exemplare vorzuweisen?
Gielens: Mein klarer Favorit ist Bandai. Als größter Nintendo-Konkurrent produzierten sie über 150 Titel, die meist eine noch bessere Qualität in Design und Verarbeitung, aber auch größere Bandbreite in Sachen Originalität und Gameplay zeigten. Schon Ende der 70er - also vier Jahre vor Nintendo - versuchte Bandai, mit LED-Technologie ungewöhnliche Spielideen umzusetzen. In den 80er Jahren baute man neben tragbaren LCD-Spielen auch viele VFD-Tischgeräte, sogenannte Tabletops. Sie sollten das Gefühl der großen Spielhallenautomaten noch besser ins Wohnzimmer transportieren. Interessant finde ich auch die Tabletop-Konsolen von Entex, Bambino und Tomy, die tolle Adaptionen von "Pac-Man" und "Space Invaders" hinlegten. Sie waren technisch weit vorne: 3-D-Displays, Zweispielermodi und sogar 6.000-Pixel-LED-Displays mit drehendem Spiegel, wie in der "Adventure Vision"-Konsole.
ORF.at: Welche Preise erzielen "Game & Watch"-Spiele heute bei Sammlern? Lohnt es sich, den Dachboden zu durchstöbern?
Gielens: Ein gut erhaltenes Exemplar mit Originalverpackung ist für etwa 70 Euro zu haben. Manche Titel können 200 bis 300 Euro kosten, abhängig von Seltenheit und Zustand. Ein "Donkey Kong Circus" mit aufklappbarem Farbdisplay kann für bis zu 1.000 Euro den Besitzer wechseln. Außerdem gibt es immer wieder seltene Boxvarianten, die für bis zu 3.000 Euro im Internet verkauft werden.
ORF.at: Kennst Du "Electronic Plastic"-Sammlungen, die öffentlich zugänglich sind? In Wien gibt es ja den Subotron-Shop im MuseumsQuartier, in dem man sich einige Geräte live ansehen kann.
Gielens: Alle bekannten Sammlungen sind rein privat und über den Globus verstreut. Bisher gab es außer an vier Ausstellungen, bei denen ich 2000 und 2005 teilgenommen habe, noch keine Möglichkeit, die ganzen Sammlungen zu sehen.
(Anatol Locker)