© Günter Hack, Logo der Kolumne Zukunft heute

Psi-Samuraigirl trifft Deutschordensritter

ZUKUNFT HEUTE
02.05.2010

Phantastik brachial: Im russisch-japanischen Anime "First Squad" tritt eine 16-jährige Kommunistin mit Samuraischwert und rosarotem Teddybären gegen untote Nazi-Horden an. Dagegen wirken Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" wie gut zurechtgescheitelte Zeitzeugen aus dem Labor des Dr. Guido Knopp.

Zum Autor:

Marcus Hammerschmitt, geboren 1967, ist Schriftsteller und Journalist. Einmal im Monat verfasst er für futurezone.ORF.at einen Bericht zum Zustand der Zukunft. Veröffentlichungen (Auswahl): "Target" (Suhrkamp 1998), "Instant Nirwana" (Aufbau 1999), "Polyplay" (Argument 2002), zuletzt: "Der Fürst der Skorpione" (Sauerländer 2007) und "Yardang" (Sauerländer 2010).

Aufarbeitungen, oder vielleicht eher Bearbeitungen der historischen Nazi-Barbarei, gibt es in der Phantastik genug - "Vaterland" von Robert Harris, "Der stählerne Traum" und "Das Orakel vom Berge" seien nur als Beispiele genannt. Aber was der Anime "First Squad" (2009) daraus macht, ist dann doch einigermaßen überraschend.

1942 ist der Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion in vollem Gange, aber nicht mehr so blitzkriegartig wie einst die diversen Anschlüsse und Eroberungen im Westen. Die Rote Armee hat sich von ihrer Überraschung und den Säuberungen Stalins erholt, und beginnt, dem braunen Tsunami entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen. Auf beiden Seiten finden okkulte "Forschungen" statt, die zum Ziel haben, übersinnliche Mächte in die Kämpfe einzubeziehen. Für die Nazis beschwört das Ahnenerbe die Geister eines Deutschordensritters namens Baron von Wolf und seiner Spießgesellen. Die Rote Armee hat schon vor dem Krieg Jugendliche mit paranormalen Kräften rekrutiert.

Allerdings sind diese bei einem Überfall der Wehrmacht auf das kommunistische X-Men-Internat bis auf eine einzige Rekrutin niedergemetzelt worden. Nadya war natürlich nicht nur die einzige Überlebende, sondern auch die Begabteste der Schüler, und wird jetzt mit einer besonders heiklen Mission beauftragt: Sie soll ihre verstorbenen Kampfgefährten aus dem Totenreich zurückholen, um zu einem entscheidenden Moment in den Krieg eingreifen - Von Wolf soll unschädlich gemacht werden.

Auf der Tagesordnung steht also der Kampf einer Sechzehnjährigen und ihrer eigentlich toten Freunde mit einer kleinen Armee von eigentlich seit 700 Jahren toten Deutschordensrittern. Die Sechszehnjährige wird noch schnell mit einem anti-dämonischen Samuraischwert ausgestattet, von dessen Griff passenderweise ein kleiner rosa Plüschbär herunterbaumelt. Die Deutschordensritter, bis auf ihren Anführer Von Wolf schwer angegammelt, reiten im vollen Ornat auf den Endkampf zu, und zwar auf Pferden, die - wie im Anime für das Superböse üblich - rotglühende Augen haben.

Das ist schon einmal alles nicht schlecht, ein unglaublicher, mit totaler Unbekümmertheit zusammenphantasierter Wust an Versatzstücken. Viel besser aber ist die, nun ja, Form, die Yoshiharu Ashino diesem Wust gegeben hat. Das fängt schon bei der Tatsache an, dass die Originalsprache des Films Russisch ist. Richtig, ein japanischer Anime-Regisseur macht mit russischen und kanadischen Partnern ein Anime auf Russisch, das für die Aufführung in Japan mit japanischen Untertiteln versehen werden muss. Wunderbar. Nicht der einzige geniale Schachzug.

Die haarsträubende Plotline wird immer wieder unterbrochen von Realfilm-Interviews mit angeblichen Historikern, deutschen wie russischen Kriegsveteranen, und die sehen wirklich genauso aus, wie die Zeitzeugen-Inszenierungen, die Guido Knopp zu einer eigenen Trashkunstform erhoben hat. Wenn man hinzurechnet, dass es das Ahnenerbe und die PSI-Experimente der Roten Armee ja wirklich gegeben hat, dann verschmelzen hier Künstlichkeit, Pseudo-Authentizität und historische Wirklichkeit zu einem atemberaubend bizarren Konglomerat - im Vergleich dazu wirken die Geschichtskonstruktionen etwa von "Jin Roh" wie das Telekolleg Geschichte von anno Oma.

Auch eine sehr interessante Lücke legt die innere Mechanik des Films bloß. Das Gesicht Stalins taucht nicht ein einziges Mal auf, obwohl er doch in der Propaganda zum "Großen Vaterländischen Krieg" allgegenwärtig war. Durch diese Auslassung wird im Handumdrehen aus der Sowjetunion des Jahres 1942 die Sowjetunion vor 1924, als Stalin an die Macht kam - mit einem Wort, die First Squad kämpft für die Sowjetunion in ihrer heroischen Phase, als die Revolution gewonnen wurde.

Das führt zur moralischen Substanz des Films, die trotz der monströsen Popanzereien des Plots tatsächlich existiert. Wenn man nach einer Parallele im westlichen Kino der letzten Jahre sucht, könnte einem "Männer, die auf Ziegen starren" einfallen, immerhin auch ein Film, der sich mit paranormalen Spinnereien in Militärkreisen befasst. Aber das eigentliche Gegenstück zu "First Squad" ist "Inglourious Basterds" von Quentin Tarantino.

Die groteske Aufmachung beider Filme verstellt allzu leicht den Blick auf ihre historische Bedeutung: In dem Moment, in dem der Nazifaschismus durch das reale Aussterben der Zeitzeugen tatsächlich historisiert wird, treten Filme, meinetwegen auch Machwerke auf, die massenwirksam die Geschichte neu erfinden, aber so, wie sie war - der Nazismus erhob sich, tobte durch Europa, und wurde durch eine gemeinsame Gewaltanstrengung seiner Gegner besiegt.

Die Drapierungen, in denen diese Geschichte bei Tarantino und Yoshiharu Ashino daherkommen, mögen kultivierten Cineasten nicht passen; an der Westfront wurden keine Western gegeben, und im Osten kamen Samuraischwerter nur bei den japanischen Verbündeten der Nazis zum Einsatz, aber das ändert nichts daran, dass Filme wie "Inglourious Basterds" und "First Squad" massenwirksamen Pop-Antifaschismus darstellen. Und als solcher sollen sie mir willkommen sein.

Rückblick:

Wo wir gerade beim Thema sind: Andrei Tarkowski war ja später eher mystisch unterwegs, und während man das durchaus in seinem frühen Meisterwerk "Iwans Kindheit" angelegt sieht, nimmt es doch hier nicht so überhand wie in "Stalker" und "Nostalghia". Wenn E. T. A Hoffmann und Friedrich Murnau sich zusammengetan hätten, um einen Film über den GVK (Großen Vaterländischen Krieg) zu drehen, hätte er "Iwans Kindheit" verdammt ähnlich gesehen.

Ausblick:

Nein, Bill Gates, es wird nicht in wenigen Jahren überall im Haushalt Roboter geben. Die Verwirklichung dieser altbackenen Idee aus den 1920ern ist immer noch nicht in Reichweite. Genauso ein Windei wie deine supersicheren Klein-AKWs.

Mach doch lieber was Sinnvolles. Lass ein richtig gutes Konkurrenzprodukt zum iPad entwickeln. So ganz im Geheimen. Das wäre machbar. Das hätte Stil. Deine Roboter- und "Minimeiler-Visionen" sind technokratisches Nerd-Geflunker. Nur mal so von Nerd zu Nerd. Gern geschehen.

(Marcus Hammerschmitt)