Kollektives Kino: Jeder kann mitmachen
"Fake", so der Arbeitstitel des ersten Open-Source-Movies aus Österreich. Vom Drehbuch bis zur Postproduktion arbeitet ein Kollektiv an Freiwilligen an dem Kinofilm, der Ende 2011 fertig sein soll. Jeder ist eingeladen, dabei mitzumachen und seine Ideen und Fähigkeiten einzubringen. ORF.at sprach mit den Initiatoren des Projekts Open/*Source*/Movie.
Der Traum war, einen "wirklich großen Film zu produzieren, der es mit aktuellen großen Produktionen aufnehmen kann", beschreibt Jakob Rathmanner von Open/*Source*/Movie, den Ursprung der Idee. Dafür jedoch brauchte das vierköpfige Kernteam viele Verbündete, weshalb beschlossen wurde, die Dreharbeiten nach dem Vorbild von Open-Source-Projekten zu organisieren.
Das Kernteam, bestehend aus Jakob Rathmanner, Marcus Weber, Daniel Kofler und Dan Borufka (beim Interview nicht anwesend), hält sich eher im Hintergrund. "Fake" ist ein von ihnen initiiertes Open-Source-Filmprojekt. Die Nutzung der Plattform ist jedoch für alle Open-Source-Filmprojekte offen.
Termine für Treffen und Drehs zu "Fake", die vorwiegend in Wien stattfinden, werden im Online-Kalender auf der Homepage bekanntgegeben:
"Wenn wir das machen wollen, dann gibt es sicher auch viele andere junge, kreative Menschen, die die Motivation finden, bei so einer Produktion dabei zu sein und sich einzubringen", so die Überlegung, weshalb 2007 der Gang in die Öffentlichkeit beschlossen und eine Online-Plattform gegründet wurde. Gemeinsam mit der Community sollte ein Film in Kinolänge produziert werden.
Expose als Grundbaustein
Die Organisation der Dreharbeiten stellte das Kernteam vor große Herausforderungen. "Nach unseren Recherchen gibt es weltweit noch kein vergleichbares Projekt", so Rathmanner, weshalb es auch keine Erfahrungen dazu gebe. Das besondere an Open/*Source*/Movie: Jeder Schritt, vom Schreiben des Drehbuchs, bis hin zum Dreh und der Postproduktion wird von einem Kollektiv umgesetzt, auch an den Entscheidungen können sich alle beteiligen.
"Wir haben einen Grundbaustein gesetzt und ein zweiseitiges Expose online gestellt. Damit haben wir sozusagen den ersten roten Faden vorgelegt", erläutert Rathmanner. Darauf aufbauend habe die Community begonnen, am Drehbuch zu schreiben. Ähnlich einem offenen Wiki, kann jede Person nach einer Registrierung die einzelnen Szenen im Drehbuch beliebig bearbeiten. Revisionen sorgen dafür, dass im Bedarfsfall auch ein Eintrag wieder rückgängig gemacht werden kann.
Heist-Movie
Thematisch lässt sich der Film in das Genre der Heist-Movies einordnen. "Eine komödiantische Trickbetrügerei, wie bei Ocean's Eleven oder Snatch, und das auf Wienerisch", erklärt Daniel Kofler. "Das passt gut auf das Wiener Strizzitum, man macht etwas, was man eigentlich nicht darf, aber es macht trotzdem jeder." Konkret geht es um eine Online-Trickbetrügerbande in Wien, die sich zu weit aus dem Fenster lehnt, weshalb ein Mitglied der Bande festgenommen wird. Daneben werden die Konten mit dem ergaunerten Millionen gesperrt. Diese Probleme gilt es auf einen Schlag zu lösen.
Von der konventionellen Arbeitsweise - Drehbuch, Filmen, Schnitt - werde absichtlich abgewichen. "Das funktioniert bei diesem Konzept einfach nicht", so Rathmanner. Der Text ist in sechs Segmente unterteilt, demnächst werde das erste Segment geschlossen, das heißt es könne nicht mehr weiter bearbeitet werden. Dann werde mit dem Abdrehen dieses Abschnitts begonnen. "Daneben können die restlichen Teile immer noch bearbeitet werden. Dadurch entsteht auch die Dynamik, dass man zu Beginn noch nicht sagen kann, wie der Film wirklich enden wird", meint Rathmanner.
Einheitliches Equipment
Damit "look and feel" immer gleich bleiben, müsse jede Szene mit dem gleichen Equipment gedreht werden. Die Entscheidung fiel auf die Canon EOS 5D Mark II. "Das ist eine professionelle digitale Spiegelreflexkamera in einem Preissegment, das man sich leisten kann", so Rathmanner. Wer über diese nicht verfüge, könne sich sie auch von Open/*Source*/Movie ausborgen.
Erste "Probedrehs" habe es bereits im vergangenen Jahr gegeben. Nachdem nicht fix vorgegeben sei, wer etwa für die verschiedenen Bereiche zuständig ist, würden jedes Mal Supervisoren für die Zuständigkeit ausgewählt. "Das heißt, es ist mehr ein 'wer hat Zeit, wer meldet sich'", meint Rathmanner. Vor Ort könne aber dann jeder zum Zug kommen. "Wir möchten die Leute so gut wie möglich einbinden."
Probleme mit Open Source
Hier habe sich auch gezeigt, dass einige mit dem Open-Source-Gedanken nicht so sehr zu Recht kämen. "Es ist einfach ein Kulturwechsel und die Leute haben manchmal Probleme damit, sich selbst einzubinden, wenn keine hierarchische Struktur vorgegeben ist", erläutert Kofler. Insbesondere Profis hätten oft Probleme damit, dass vor Ort niemand aufzufinden sei, "der eine Regie-Kappe trägt und dann sagt, stell dich dort oder mach' das". Daneben gebe es auch zahlreiche Zuschauer, "dementsprechend planlos sind diese Leute oft auch".
Auch beim Drehbuch würde sich die Community oft zu wenig "Freiheiten erlauben". Oft sei zu viel Angst da, in ein fremdes Werk einzugreifen und etwa "den roten Faden zu berühren". "Deshalb haben wir bereits ein Real-life-Treffen gemacht, weil die Anonymität im Internet hat auch Nachteile", erklärt Kofler. Im persönlichen Kontakt könne mehr Empowerment gegeben werden. Viele würden bei jeder Änderung immer noch überlegen, ob das erlaubt sei. "Diese Frage beantwortet sich aber durch das Projekt selbst, weil jeder darf alles."
Zwei Instanzen
Zwei Instanzen gebe es, um das Projekt zu managen. "Wir wollen das Projekt nicht kontrollieren, unsere Aufgabe ist es, den roten Faden durchziehen zu lassen", erklärt Rathmanner. Das Kernteam achte darauf, dass Änderungen im Drehbuch auch Sinn machen. Wobei es weniger ein "überwachen, als viel mehr ein hinweisen ist". Die zweite Instanz sei das Forum, also die Community. Dort würden Fragen zu Szenen besprochen, Ideen kreiert, Änderungen diskutiert. "Mit diesen beiden Elementen laufen wir sehr gut", so Rathmanner. Zu Streitigkeiten sei es bis dato noch nie gekommen.
Das gesamte Material wird auf den Medienserver geladen. Dort könne sich jeder die Drehs runterladen, schneiden und wieder hochladen. "Über die Schnittversionen wird dann demokratisch abgestimmt", erklärt Marcus Weber. Demnächst werde es ein Abstimmungstool geben, mit welchem die Community Punkte an die besten Versionen vergeben könne.
Community: Vom Anfänger bis zum Profi
Was das Projekt überdies von den wenigen bisherigen Open-Source-Filmen weltweit unterscheide, sei, dass der Austausch nicht nur im virtuellen Raum stattfinde. "Wir treffen uns regelmäßig auch in real-life, weil wenn man alle Teile der Produktion offen legen will, ist das unumgänglich, wie etwa bei der Organisation", erläutert Kofler. Bei dem Open-Source-Animationsfilm Big Buck Bunny habe sich die Community virtuell ausgetauscht und jeder gemacht, was er könne.
Im Durchschnitt seien etwa 50 Interessierte bei den Treffen regelmäßig anwesend, die meisten im Filmbereich tätig: Profi- und Hobbyschauspieler, Kameraleute, Schauspielschüler, aber auch viele private Leute, vom Anfänger bis zum Profi. Auch die Altergruppe sei sehr breit gefächert, von 13- bis hin zu 60jährigen. Um die 400 Personen würden derzeit aktiv und passiv das Projekt verfolgen, der Großteil aus Wien, vereinzelt auch aus dem restlichen Österreich, Deutschland, Ungarn und den USA.
Lernen von den Profis
"Wir wollen nicht nur einen Film drehen, sondern Leute dazuholen, die noch nicht so viel Erfahrung haben", erklärt Rathmanner. "Das Wissen, das wir durch Profis bekommen, wollen wir auch weitergeben." Jeder sei eingeladen mitzumachen, auch weniger Fachkundige, "die die Filmluft hinter den Kulissen schnuppern wollen".
Für Interessierte gebe es Antworten auf alle Fragen und bei Bedarf auch Einführungen. "Aber auch Anfänger können Profis unglaublich befruchten mit einem jungfräulichen Mindsetting", meint Kofler. So sei es schon des öfteren passiert, dass sehr naive Fragen dazu geführt hätten, für Probleme eine einfachere Lösung zu finden. Um Betriebsblindheit zu vermeiden, solle eben das Crowdsourcing genutzt werden. "Lernt etwas voneinander, das ist die große Idee dahinter", erläutert Kofler.
Wahl der Schauspieler
Die Mehrzahl der Schauspieler für "Fake" seien Laien, aber auch Stars befänden sich darunter. "Die sind für uns wichtig, weil sie Publicity bringen, aber wir wollen nicht, dass sie zur Hauptmotivation für die Community werden", so Rathmanner, weshalb keine Namen genannt werden. Die Hauptrollen seien mit weniger bekannten, aber guten Schauspielern besetzt. "Das entspricht auch dem Open-Source-Gedanken, denn die machen das gratis" und würden schließlich auch davon profitieren.
Die Wahl der Schauspieler sei auch der einzige Punkt der Produktion, an dem nicht offen gearbeitet wurde. Ursprünglich sollten die Casting-Videos online gestellt werden. "Wir hatten aber dann die starke Befürchtung, dass das zu einem Starmania-Leider-Nein-Wettbewerb wird, wo die Leute mehr für ihre schlechte Performances ausgelacht werden", begründet Rathmanner den Schritt. Die Auswahl habe schließlich gemeinsam mit ausgewählten Leuten, darunter auch Profi-Schauspieler, stattgefunden.
1,5-Millionen-Film
Finanziert hätte das Projekt bis dato das Kernteam aus eigener Tasche. Durch Leihwägen, Drehgenehmigungen, Anreiskosten und Strom fielen aber Kosten an, die sich nicht vermeiden ließen. Zur Abdeckung dieser "geringen Summen" seien auch immer Sponsoren herzlich eingeladen, sich zu beteiligen. Dringend gebraucht werde vor allem ein Büro, "wo sich die Leute informieren, treffen und jederzeit vorbeikommen können", betont Weber.
"Wir haben uns ausgerechnet, was der Film kosten würde, wenn wir ihn klassisch produzieren würden." In Summe lägen die Kosten bei geschätzten 1,5 Millionen Euro, erklärt Kofler. Etwa neun Prozent dieser Summe, zirka 120.000 Euro, würde das Team durch die kollektive Arbeit tatsächlich auslegen müssen.
Wie sieht das Endprodukt aus?
Wie das Endprodukt schließlich aussehen wird, darüber sind sich die Initiatoren nicht sicher. Rathmanner glaubt, dass es ein "ganz eigener Film wird, in dem die unterschiedlichen Stile sichtbar sein werden. Das wird aber absolut akzeptiert, weil er auf kollektiver Kreativität basiert".
Kofler hingegen nennt das Projekt einen "Collagen-Film", in dem die verschiedenen Stile so eng aneinander liegen werden, dass nicht erkennbar werde, wer die einzelnen Szenen gefilmt oder geschnitten habe. Während Weber darauf vertraut, dass sich die Community an dem bereits vorliegenden Material orientiert und den "Stil nicht komplett ändert".
CC-BY-NC-SA
"Der Abspann wird auf alle Fälle der längste Abspann aller Zeiten, weil es wird jeder drinnen stehen, der dabei war", so Rathmanner. "Auch Hasimausi73 wird dort stehen", sollte sich jemand nur mit Pseudonym angemeldet haben.
Das primäre Ziel sei jedoch, den Film an die Community zurückzugeben. "Nachdem wir den Film Open Source mit einer Community produzieren, werden wir ihn auch Open Source wieder an die Community zurückgeben." "Überglücklich" wäre das Team auch, wenn der Film tatsächlich in einem Kino gespielt werde, und sei es nur die Premier. Das Geld, das reinkomme, werde in irgendeiner Form in die Community zurückfließen. Denkbar wäre etwa eine Fortsetzung des Projekts.
Der Film - wie auch die Materialien - unterliegen der Creative-Commons-Lizenz CC-BY-NC-SA. Nach Fertigstellung werde er also kostenfrei zum Download angeboten. Kopieren, Verändern oder Brennen und Weitergeben sind natürlich erlaubt und auch erwünscht.
(futurezone/Claudia Glechner)