© Günter Hack, Buchrücken MEW1, Cathedral Bazaar

Die vogelfreie Software

ARBEIT
01.05.2010

Der Tag der Arbeit dient als Anlass, um über einen der grundlegenden Widersprüche unserer Zeit nachzudenken. Im "Maschinenraum" des Informationszeitalters ginge ohne freie und Open-Source-Software gar nichts mehr. Während Google & Co. mit freier Software beste Geschäfte machen, fehlt es den Open-Source-Programmierern an politischer Organisation und Macht. Ein Essay von Armin Medosch.

Serie "Soziales Netz"

Die Serie "Soziales Netz" von Christiane Schulzki-Haddouti ist wegen des Feiertags unterbrochen und wird am Samstag, dem 8. Mai, fortgesetzt.

Die Serverfarmen von Google, Apples Betriebssystem OS X und viele der beliebten Social-Software-Plattformen beruhen auf Linux oder anderen freien Unix-Derivaten wie BSD. Die Communitys hinter freier und Open-Source-Software (FLOSS) entwickeln Schlüsseltechnologien unserer Zeit, sind aber politisch gesehen ohne Stimme. Der Aneignung ihrer Produkte durch einige der mächtigsten Unternehmen unserer Zeit stehen sie scheinbar indifferent gegenüber. Aktiv werden sie nur punktuell, wenn die Freiheit der Information bedroht ist, etwa durch Software-Patente. Dabei gäbe es genügend Bereiche, in denen es durchaus von Vorteil wäre, wenn sich die Szene besser politisch organisieren würde.

Halten wir fest: Freie und Open-Source-Software ist eine großartige Sache. Sie erleichtert den Zugang zu Informationen und Wissen und stellt den Menschen Werkzeuge zur Wissensproduktion und Verarbeitung frei zur Verfügung. Das erleichtert es vielen Menschen, kreativ zu sein, sich auszudrücken, ihre Meinungen zu veröffentlichen, zu lernen oder ganz einfach "ihr eigenes Ding" zu machen. Die Lizenzierung durch die GNU General Public Licence (GPL) oder verwandte Lizenzen macht freie und Open-Source-Software zum Gemeingut. Das Lizenzmodell wurde zum Vorbild für weitere nicht-rivalisierende digitale Gemeingüter, die gemeinsam ein "Digital Commons", eine Wissensallmende, bilden. Freie und Open-Source-Software ist mehr als bloß Software, sie verkörpert ein Organisationsmodell. Yochai Benkler fasste das in seinem 2006 erschienenen Buch "The Wealth of Networks" sehr eloquent zusammen.

Freundschaft und Transaktionskosten

Laut Benkler ist das Informationszeitalter davon geprägt, dass es einer neuen Organisationsweise der Produktion zum Aufschwung verholfen hat, der "commons-based peer production". Diese Produktionsweise, so Benkler, beruht auf dem Vorhandensein billiger Rechenleistung in Form von PCs und Laptops, die sich im Privateigentum ihrer Nutzerinnen und Nutzer befinden und über das Netz miteinander verbunden sind. Die Besitzer dieser Rechner arbeiten dezentralisiert und kollaborativ an nicht-proprietären Produkten, ohne von Marktsignalen oder Befehlen aus dem Management angetrieben zu werden (Benkler 2006, S. 60). Benkler behauptet nicht, dass die Menschen plötzlich "besser" geworden wären und nun freiwillig, aus altruistischer Gutmütigkeit, alles teilten.

Er sagt vielmehr, dass die Eigenschaften der vernetzten Umgebungen die Transaktionskosten so weit senken, dass diese neue Produktionsweise der alten überlegen ist. Die Produzenten der freien und Open-Source-Software können sich freuen, da ihre Tätigkeit von Haus aus politisch ist, weil sie dem Gemeinwohl dient und eine Produktionsweise hervorbrachte, die unweigerlich zum Niedergang des alten Monopolkapitalismus führen wird. Sie helfen einer "Revolution" auf den Weg, ohne sich in irgendeiner Form politisch deklarieren zu müssen. Die Sache hat nur einen Haken, allerdings einen ziemlich gewaltigen.

Freie Software für NSA und Hedgefonds

Die Bedingungen der GPL erlauben es, unter dieser Lizenz veröffentlichte Software für alle möglichen Zwecke einzusetzen. Das Kapital kann sich die Software aneignen, ohne irgendwelche Verpflichtungen einzugehen. Es gibt keine Reziprozität, keine wechselseitige Verantwortung zwischen den Nutzern - in dem Fall bedeutende Großunternehmen der Informationsindustrie - und den Produzenten. Die ach so freie Software kann daher von militärischen Geheimdiensten ebenso wie von den "Heuschrecken" des Finanzkapitalismus, den Hedgefonds, eingesetzt werden, ohne dass die Produzenten das geringste Mitspracherecht hätten.

Die Bedingungen der GPL verlangen ja nur, dass wiederum die GPL angewandt wird, wenn die Software weiterverbreitet wird. Niemand hindert jemanden daran, unter der GPL stehende Software einfach nur zu nutzen, ohne deshalb alles öffentlich machen zu müssen. Die GPL hindert die NSA nicht daran, ein speziell gehärtetes Linux zu verwenden, sie hindert Google nicht daran, Linux einzusetzen, ohne seine Ranking-Algorithmen öffentlich zu machen, und so weiter und so fort. Das heißt, wenn die Software einmal draußen ist, haben die Produzenten keinerlei Rechte daran. Sie sind von ihrem Produkt genauso entfremdet wie der Fließbandarbeiter, der ein Karosserieteil herstellt.

Gratisarbeit und Entfremdung

Freie und Open-Source-Software ist heute ein tragender Bestandteil des Kapitalismus, und verhilft der kapitalistischen Produktionsweise zu enormen Vorteilen, ohne dass den Produzenten daraus Vorteile erwachsen. Der Punkt ist nicht allein, ob die Programmiererinnen und Programmierer für ihre Arbeit bezahlt werden. Schon in den späten 1990er Jahren begannen Unternehmen wie Sun und IBM, in freie und Open-Source-Software zu investieren.

Manche Programmierer arbeiten für Unternehmen, die ihnen erlauben, einen Teil ihrer Zeit für Linux aufzuwenden (wie etwa Linus Torvalds selbst), manche haben Universitätsjobs und viele machen es quasi als Hobby nebenbei, weil ihnen Auftragsarbeiten oder die eigene Consultingfirma genügend Geld einbringen. Es ist nicht anzunehmen, dass viele von ihnen Not leiden, außer vielleicht einer Minderheit, die sich aus idealistischen Gründen allein der Produktion freier Software verschreibt. Das Kernproblem ist nicht die Gratisarbeit, sondern die Entfremdung vom Produkt der Arbeit.

Vogelfreie Software

Die totale Verfügbarkeit der freien Software macht sie geradezu vogelfrei. Den Global Players in der Hightech-, Kommunikations-, Waffenelektronik- und Finanzindustrie steht es frei, mit Hilfe dieser Software extreme Reichtümer anzuhäufen, was von der "Produktion" globaler Armut auf einer gigantischen Skala begleitet ist. Denn die Armut in dieser Welt entsteht ja nicht rein zufällig jetzt, in diesem historischem Augenblick "einfach so", sondern ist das Ergebnis ungleicher Wirtschaftsbeziehungen.

Die Innovationskraft der Programmierer freier und Open-Source-Software füttert das System mit innovativen Produkten, so dass jenen Unternehmen, die diese Innovationen geschickt zu nützen wissen, Wettbewerbsvorteile erwachsen. Die Innovation sorgt einerseits für eine Steigerung der Produktivität durch Prozessinnovationen, was häufig mit einem Abbau von Arbeitsplätzen einhergeht. Andererseits schaffen Innovationen zwar tatsächlich neue Arbeitsplätze, jedoch auf einem stark polarisierten Arbeitsmarkt.

"Working Poor" und Wissensindustrien

Neue Jobs entstehen einerseits im Bereich der "Wissensindustrien" und Unternehmensdienstleistungen, andererseits im Bereich von Niedriglohnjobs, die Dienstleistungen rund um diese Wissensarbeiter bereitstellen, von den Büroreinigungskräften bis hin zu den unangemeldeten Hausarbeitskräften. In den 1990er Jahren hat man mit Schrecken aus den USA von den "Working Poor" gehört, Menschen also, die Vollzeit arbeiten, aber trotzdem nicht genug zum Leben haben.

Diese gibt es auch bei uns. In Österreich, dem achtreichsten Land der Welt, ist allein im Jahr 2006 - 2007 die Kinderarmut um 20 Prozent gestiegen, und das war noch vor der sogenannten Krise (siehe "Die Presse"). Ursache davon ist die Struktur der Wirtschaft im informationellen Kapitalismus. Die FLOSS-Community muss sich den Vorwurf der Komplizenschaft mit diesen Entwicklungen gefallen lassen.

Politische Agnostiker

Das heißt nun nicht, dass diese solche Entwicklungen aktiv befürworten oder direkt dafür verantwortlich wären. Im Gegenteil, viele aus diesen Communitys sind sicherlich empört über diese Dinge. Das Problem ist, dass sie nichts dagegen unternehmen. Die FLOSS-Produzenten sind im politischen Sinn agnostisch. Weil ihre Tätigkeit im oben beschriebenen Sinn per se politisch ist, versäumen sie es, sich politisch zu organisieren. Die meisten lehnen nicht nur das traditionelle Parteiwesen ab, sie unterlassen es auch, sich als Arbeitnehmer zu organisieren, ihre Bedürfnisse zu formulieren und ihre Rechte geltend zu machen.

Die Gründe dafür sind mannigfaltig. An vorderster Stelle wäre zu nennen, dass die politischen Chefdenker dieser Bewegung selbst vor allem von libertären Ideologien geprägt sind, die einer politischen Selbstorganisation dieser Bewegung im Weg stehen. Der Libertarismus ist eine Zuspitzung des Liberalismus. Er legt größten Wert auf Individualität und persönliche Freiheit und zielt darauf ab, den Einfluss des Staates möglichst weit zurückzudrängen.

Marktideologen und Computerhippies

Den Libertarismus gibt es in verschiedenen Varianten. Auf seinem rechten Rand trifft er sich mit der wirtschaftspolitisch konservativen Position der Freimarktideologie, wie sie etwa von Teilen der US-Republikaner vertreten wird. Dieser Richtung ist Eric S. Raymond zuzurechnen, der den Begriff Open Source geprägt und popularisiert hat.

Prominente Vertreter dieser Richtung sind etwa auch George Gilder, der in der Anfangszeit des WWW eine wichtige Rolle als Bandbreitenguru und Lobbyist in Washington gespielt hat, sowie der damalige republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich und, in einem changierenden Zwischenbereich, illustre Personen wie John Perry Barlow, ehemaliger Textautor der Band Grateful Dead, lange Zeit Republikaner (unter anderem Kampagnenorganisator für Dick Cheney in den 1970er Jahren) und Mitbegründer der Electronic Frontier Foundation (EFF), einer Lobbyorganisation für Bürgerrechte im Internet.

Politische Naivität

Der linke Rand des Libertarismus weist Überschneidungen mit dem Anarchismus und der Hippie- und Ökobewegung auf. Für diese Richtung steht Richard Stallman, der Erfinder des Prinzips der freien Software. Stallmans größtes Verdienst ist es wohl, mit der GPL ein Prinzip geschaffen zu haben, das die Verbreitung freier Software durch eine Art eingebauten Automatismus förderte. Stallman verteidigt die freie Software und auch die Redefreiheit mit starken Worten. Doch seine Konzeption von Freiheit ist idealistisch und politisch naiv. Da auch er dem Libertarismus anhängt, wenn auch mit einem alternativen Ökofähnchen dekoriert, unterstützt die von ihm vertretene politische Philosophie letztlich nur den Kapitalismus.

Dem in den frühen 1990er Jahren einflussreichem Magazin "Wired" gelang der Spagat, eine Synthese zwischen Libertarismus, Hightech, Internet und Post-Hippie-Bewegung herzustellen. In Verbindung mit dem Aufstieg des Internets konnte die uralte Ideologie von der wohltätigen Wirkung der "unsichtbaren Hand" des freien Marktes plötzlich hip und cool aussehen. Der Aufstieg des Internets und die von "Wired" ausgerufene "digitale Revolution" waren untrennbar mit dieser politischen Frankenstein-Gestalt verbunden, die Richard Barbrook und Andy Cameron 1995 im Essay "Die kalifornische Ideologie" unters Seziermesser nahmen. Obwohl der rechtskonservative Kern dieser Ideologie längst entlarvt wurde, ist der Libertarismus in der Computerszene nach wie vor von starkem Einfluss, wie sich etwa bei der schwedischen und deutschen "Piratenpartei" zeigt.

Probleme der Vereinzelung

Ein weiterer Hauptgrund für die politische Inaktivität der FLOSS-Community ist, dass ihre Mitglieder sich selbst nicht als Arbeitnehmer verstehen, sondern als freie, selbstmotivierte Individuen, die ein Interesse an Technik miteinander teilen, aber ansonsten keine gemeinsamen gesellschaftspolitischen Ziele verfolgen. Insofern ähneln sie anderen "Unorganisierbaren", die in der Kreativwirtschaft tätig sind und sich zu ihrem eigenen Nachteil nicht gewerkschaftlich organisieren.

Viele der Errungenschaften der Arbeiterbewegungen - wie kollektive Lohnverhandlungen, Kranken- und Pensionsversicherungen, Kündigungsschutz - wurden in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erkämpft, gingen im Zuge des Umbaus zur Informationsgesellschaft aber wieder verloren.

Selbstverwirklichung durch Arbeit

Ende der 1960er Jahre, Anfang der 1970er Jahre geriet das System der fordistischen Massenproduktion in eine Krise. Die zunehmende internationale Konkurrenz trieb die Gewinnspannen nach unten. Zugleich revoltierten die Menschen gegen die Monotonie der Arbeit und die Eintönigkeit der Massengesellschaft. Immer mehr Menschen wollten nicht einfach ein Rädchen in der Maschine sein, sondern suchten über die Arbeit auch ein Stück Selbstverwirklichung.

Die Vorhut bildeten Hippiekommunen, Friedens- und Ökobewegung, auch die Punk- und Post-Punk-Szene. Anstatt einen Job zu suchen, gründete man lieber ein unabhängiges Plattenlabel, eine Biogemüse-Kooperative oder eine Yogaschule. Das, was der deutsche Soziologe Ulrich Bröckling "Das unternehmerische Selbst" nennt, begann sich zu entwickeln. Nicht nur klassische Unternehmer, sondern Menschen aller Schichten und mit verschiedensten Interessen begannen selbstmotiviert und eigenverantwortlich zu handeln. Aus Arbeitern wurden "Arbeitskraftunternehmer", die gedrillt wurden, so zu denken, als ob sie ihre eigenen Chefs wären, während sie in Wirklichkeit weiterhin abhängige Lohnarbeiter sind.

Der ideale Unternehmerbürger

War das "unternehmerische" Denken in den 1970er und 1980er Jahren eine freiwillige Entscheidung von Aussteigern aus der Industriegesellschaft, so kommt es heute als Forderung von oben auf alle zu. Die EU-Regierungen haben sich im Programm von Lissabon schon vor zehn Jahren darauf geeinigt, wie sie sich die idealen Bürger vorstellen. Sie sollen unternehmerisch denken, kreativ und innovativ sein - allerdings nur innerhalb bestimmter Bahnen, die dem Wirtschaftswachstum förderlich sind -, sie sollen zum lebenslangen Lernen bereit sein und extrem flexibel, also anpassungsfähig für alle Veränderungen, welche die wirtschaftlichen Wirbelstürme des Neoliberalismus an sie herantragen.

Sieht man sich diese Forderungen genau an, die auch im erneuerten Lissabon-Programm, der Strategie 2020 enthalten sind, so treffen sie haargenau auf die FLOSS-Produzenten zu. Sie sind sozusagen die idealen Subjekte der neoliberalen Ordnung: eigenmotiviert, selbstverantwortlich, kreativ, immer bereit, Neues zu lernen und - das Allerbeste, aus Sicht des Kapitals - sie erlauben es Unternehmen, sich die Produkte ihrer Arbeit "frei" anzueignen.

Flexibel und ohne Rechte

Der Umbau von der Industrie- zur Informationsgesellschaft war nicht nur ein Resultat neuer Subjektivitäten, er wurde auch von Unternehmerseite aktiv betrieben. Viele Produktionsstätten wurden in Exportverarbeitungszonen in Ländern mit niedrigem Lohnniveau und geringen Arbeitnehmerrechten verlagert - die Möglichkeiten dazu gaben ihnen die Entwicklungen in der IT und Telekommunikation. Aber auch in den Industrieländern selbst veränderte sich die Arbeitswelt durch die Einführung von Teamarbeit, von Qualitätszirkeln, durch den Abbau von Managementhierarchien.

Diese Flexibilisierung ging zunächst kaum merkbar vor sich. Ältere, gut bezahlte Arbeitnehmer, die noch die vollen Rechte und ein hohes Lohnniveau genossen, wurden abgebaut, atypische Beschäftigungsverhältnisse wie temporäre Verträge, Teilzeitarbeit und Leiharbeit nahmen zu. Das ging zunächst langsam und kaum merklich vor sich, führte aber unter dem Strich zu einem Abbau von Wohlstand und Rechten der Arbeitnehmer.Während formal die Gewerkschaften in Österreich noch immer über sehr viel Macht verfügen, wurde diese de facto von innen ausgehöhlt. Die Macht der Kapitalseite ist enorm gestiegen, während die Gewerkschaften mit schrumpfendem Einfluss kämpfen.

Das Scheitern der Gewerkschaften

Die Gewerkschaftsbewegung stellt scheinbar für die Open-Source-Programmierer keine attraktive Option dar. Das hat auch damit zu tun, dass die Gewerkschaften jahrzehntelang nur die Festangestellten als ihre Klientel sahen. Im Zuge des Umbruchs von der Industrie- zur Informationsgesellschaft sind aber immer mehr "atypische" Beschäftigungsformen entstanden. Die Gewerkschaften haben lange Zeit überhaupt nicht darauf reagiert.

Die GPA-DJP hat seit einigen Jahren eine Interessensvertretung namens "work@flex", die für die "flexiblen" Beschäftigungsverhältnisse zuständig ist. Diese ist jedoch keine Branchenvertretung, sondern nur eine Interessensgemeinschaft. Österreichweit bringt sie es auf 4.000 Mitglieder, was angesichts des Anstiegs der atypischen Beschäftigungsverhältnisse sehr wenig ist. Ganz abgesehen davon, was die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft einem Open-Source-Programmierer nun tatsächlich bringen würde oder nicht, passen hier Selbstverständnis und Gewerkschaftertum einfach nicht zusammen.

Freiheit durch starke Organisation

Wie könnte sich an dieser Situation etwas ändern? Die erste Voraussetzung wäre, dass sich die "Community" organisiert und über diesen Weg eine Möglichkeit findet, ein politisches Subjekt zu werden. Vorschläge in diese Richtung stoßen allerdings sehr schnell auf Widerstand. Kollektivität steht im Widerspruch zum Mythos der freiheitsliebenden, individualisierten Hackerinnen und Hacker. Die Angst kommt auf, vor jemandes anderen politischen Karren gespannt und in bestimmte politische Kategorien gepresst zu werden.

Diese Angst vor der Schematisierung und damit dem Individualitätsverlust hat beinahe schon etwas Pathologisches, so als ob man allein schon deshalb, weil man gemeinsam seine Interessen vertritt, seine Freiheit verliere. In modernen, komplexen Gesellschaften, die auf Modi der demokratischen Repräsentation beruhen, gewinnt man Freiheit, indem man sich organisiert und so eine politische Stimme findet. Doch das haben Raymond und Stallman ihren Leuten nie erzählt.

Einsatz für die Gesellschaft

Sich zu "organisieren" heißt nicht automatisch, einer Partei oder Gewerkschaft beizutreten. Es könnte viel eher bedeuten, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und eine eigene Interessensvertretung zu gründen. Wenn es um Software-Themen geht, hat die Community sehr wohl gezeigt, dass sie in der Lage ist, sich zu organisieren, wie etwa bei der Frage der europäischen Software-Patente. Die Szene müsste den Schritt wagen, sich für ihre eigenen Belange starkzumachen, die über Technikthemen und angrenzende Bereiche wie Copyright und Überwachung hinausgehen. Problembereiche gäbe es viele. Die Institutionen des Sozialsystems in Österreich sind so beschaffen, dass sie in vielerlei Hinsicht den Idealismus der Produzenten freier Software bestrafen. Der Einsatz für ihren Beitrag zur Wissensallmende wird auf gesellschaftlicher Ebene nicht gewürdigt.

Wenn die Existenz freier Software gesamtgesellschaftlich von Vorteil ist, warum sollten die Produzenten dieser Software nicht auch ein bisschen dafür belohnt werden? Kann beispielsweise die unbezahlte Arbeit an freier Software auf Pensionszeit angerechnet werden? Könnte es vielleicht einen Sondertarif in der Krankenversicherung geben? Und flexiblere Regeln im Bereich Steuern und Sozialversicherung, die der Realität gerecht werden?

Werkvertrag statt Sicherheit

Viele verschaffen sich den Freiraum, an freier Software zu arbeiten, indem sie auf Werksvertragsbasis an kommerziellen Projekten arbeiten. Ihr Erwerbsleben gleicht einer Achterbahnfahrt, mit Phasen hohen und Phasen geringen Einkommens. Im Endeffekt kommen sie oft nicht einmal in den Genuss von Arbeitslosengeld und müssen hohe Steuernachzahlungen leisten, obwohl sie in den Phasen zwischen Werkverträgen an gemeinnützigen Software-Projekten arbeiten. In den kurzen Phasen offiziell produktiver Arbeit müssen sie hohe Beiträge zum Sozialsystem leisten, kommen aber nur in den Genuss sehr geringer Leistungen, wenn sie diese zum Leben bräuchten.

Die Höhe des Lohns ist ein weiteres Thema. Die freien Werkverträge sind nicht an den Kollektivvertrag IT gebunden. Viele arbeiten auch nicht für kapitalistische Großunternehmen der IT-Branche, sondern für Nichtregierungsorganisationen und betreuen deren Datenbanken, Office-Netze und Content-Management-Systeme. Dieser Sektor ist ohnehin von Selbstausbeutung und Prekarisierung geprägt. Das Lohnniveau für die gleiche Arbeit kann daher extrem unterschiedlich sein. Was aber ist ein "fairer Lohn" für eigenmotivierte Arbeit? Die Forderung nach einem Grundeinkommen drängt sich auf, doch wie dieses berechnen? Sollten hochqualifizierte Menschen, die gesellschaftlich wertvolle Arbeit tun, gerecht bezahlt werden oder nur auf der Basis eines Überlebensminimums?

Sollbruchstelle Körper

Auch das Thema Gesundheit bietet viele Aspekte, bei denen Verbesserungen dringend nötig wären. Wie sieht es etwa mit der Verdienstfortzahlung im Krankheitsfall aus, vor allem bei besonders schweren oder länger andauernden und chronischen Erkrankungen? Der "Individualismus" der Entwickler kann dazu führen, dass sie zwischen allen sozialen Netzen durchfallen. Auch steht die Community ihren eigenen Interessen oft selbst im Weg, indem eine extrem harte Arbeitsethik gepflegt wird. Wer nicht 16 Stunden vor dem Monitor verbringen kann und per E-Mail immer erreichbar ist, wird schnell als Schwächling abgetan. Die Folge sind Berufsrisiken wie Repetitive Strain Injury (RSI) oder, vor allem, der Burn-out.

Das führt zu Themen, die weniger mit gesellschaftlichen Außenverhältnissen als mit der internen Selbstorganisation der Community zu tun haben. Wer entscheidet etwa bei einem Projekt, welche Prioritäten verfolgt werden? Die "gütige Diktatur" (engl. "benevolent dictatorship"), die bei Projekten wie dem Linux-Kernel angewandt wird, kann sich für einzelne weniger "gütig" anfühlen, wenn sich der Projektleiter tatsächlich diktatorisch verhält. Sicher, jedem steht frei, jederzeit zu gehen, doch wie sieht es mit der jahrelang geleisteten Arbeit aus? Auch wenn es theoretisch möglich ist, einen Fork zu machen, so wird das nicht immer sinnvoll oder möglich sein.

Wer gehört dazu?

Schon die Grundfrage, wer denn eigentlich zur Community gehört, wird alles andere als transparent gelöst. Es gibt eine starke Tendenz, vor allem die Programmiererinnen und Programmierer als "die" Community zu betrachten. Doch wie steht es mit den Betatestern, jenen, die Bug Reports schreiben, auf Supportlisten Fragen beantworten und Bedienungsanleitungen verfassen? Und zählen reine Anwender überhaupt noch zur Community? Der Umstand, dass es keine formalen Regeln gibt, durch die sich die Community konstituiert, führt zu starken Eigendynamiken, so dass die anarchische Freiheit leicht zu einer Freiheit der Wölfe werden kann.

Die Folge ist die Tendenz zu Ausschlussmechanismen, die der Community oft gar nicht bewusst sind. Das führt auch dazu, dass in der FLOSS-Szene weniger Frauen aktiv sind als in der Produktion proprietärer Software - das Verhältnis lautet hier: 1.5 Prozent freie Software, 28 Prozent proprietäre Software (vgl. Flosspols 2006 (PDF)). Wie artikulieren sich diese internen Verhältnisse in einem gesellschaftlichen Außenverhältnis? Wer hat welche Mitspracherechte? Hier gibt es sehr viel zu tun.

Material:

C. v. Werlhof, Maria Mies, Veronika

Bennholdt-Thomsen: Frauen, die letzte Kolonie. Rororo, Reinbek 1983; und aktuell: C. v. Werlhof: Vom Diesseits der Utopie zum Jenseits der Gewalt. Feministisch-patriarchatskritische Analysen - Blicke in die Zukunft? Centaurus, Freiburg 2010.

Hausfrauenjobs für alle

Paradoxerweise ähnelt die Arbeit der FLOSS-Community einer anderen Form der Arbeit, die gesellschaftlich marginalisiert wurde und wird: der Hausfrauenarbeit. Seit den 1970er Jahren kritisiert die Frauenbewegung, dass die Arbeit der Hausfrau ohne Bezahlung erfolge und in patriarchalischen Geschlechterverhältnissen innerhalb einer Hierarchie ablaufe, die lange Zeit Frauen zu so etwas wie Haussklavinnen machte. Die feministische Bewegung hat in dieser Hinsicht viel erreicht, obwohl die Situation der Nur-Hausfrauen nach wie vor von Unterdrückung und Ungleichheit gekennzeichnet ist und arbeitende Frauen eine Doppelbelastung tragen, weil sie eben auch noch die Hausarbeit machen.

Ende der 1970er Jahre begannen linke Feministinnen festzustellen, dass eine Verschiebung eingesetzt hat. Immer mehr "männliche" bezahlte Lohnarbeit wurde abgeschafft und in Formen prekärer, flexibler "atypischer" Beschäftigungsformen übergeführt. Das Versprechen des "Fortschritts" lautete, dass alle gesellschaftlich emanzipierte Lohnarbeiter werden. Doch das Gegenteil ist eingetreten, immer mehr Menschen werden von der "Hausfrauisierung" der Arbeit erfasst und in den informellen Sektor abgeschoben.

Wer die Gadgets baut

Die Fabriksarbeit in Billiglohnländern wird häufig von jungen Frauen zwischen 18 und 25 geleistet. Ihre körperliche und geistige Fitness, ihr Konzentrations- und Durchhaltevermögen machen sie ideal geeignet für die Fließbandarbeit und die Produktion in Bereichen wie der Elektronik- und Computerindustrie. Heiraten sie, bekommen ein Kind oder beides, werden sie bald entlassen. Spätestens mit 30 sind die Verschleißerscheinungen so groß, dass der Job nicht mehr zu schaffen ist.

Diese Form der Ausbeutung von Frauen in Ländern, in denen es ein riesiges Reservoir an stetig neu zuführbarer Arbeitskraft in noch nicht industrialisierten Landesteilen gibt, ist nun in Konkurrenz zum männlichen europäischen Industriearbeiter getreten. Die Folge ist eine Verschlechterung der Verhandlungsmasse der Arbeitnehmer auch bei uns, die prekäre und flexible Beschäftigungsformen in Kauf nehmen müssen, wollen sie überhaupt noch arbeiten und Lohn erhalten.

Material für Rechtspopulisten

Diese "Verweiblichung" der Arbeit in einem negativen Sinn - wobei die "Negativität" nichts mit den Frauen zu tun hat, sehr wohl aber etwas mit den Profitinteressen heimischer Unternehmer - ist Öl im Feuer der Rechtspopulisten in Europa, die sexistische und rassistische Sentiments bei Männern anstacheln, die fürchten, selbst in die Situation von Frauen und Menschen in den armen Ländern des Südens zu geraten.

Sicherlich sind die Analogien zwischen der "vogelfreien" Arbeit der FLOSS-Community und der "verweiblichten" Arbeit begrenzt, da die Arbeit im einen Fall "frei" ist, im anderen Fall häufig unfreien Charakter besitzt. Einige Ähnlichkeiten sind aber frappierend. Erstens ist in beiden Fällen die Arbeit unbezahlt. Zweitens heißt es: "Die Arbeit einer Frau hört nie auf." Das ist auch bei der freien Software der Fall. Die Software muss ständig "gepflegt" werden, Bug-Fixes erledigt, neue "Patches" eingespielt werden, das "Kind" ist einfach nie aus den Windeln.

Freiheit, die sie meinen

Es handelt sich um den Charakter einer Tätigkeit, die ständig erledigt werden muss, ohne jemals zu einem endgültigen Resultat zu führen, ähnlich wie Staubsaugen, Abstauben, Abwaschen, Wäschewaschen, Kinder füttern. Drittens wird in beiden Fällen die Arbeit "in Kauf genommen", ohne bezahlt zu werden. Die Arbeit der FLOSS-Community ebenso wie die der Frauen wird "naturalisiert", also als gegeben vorausgesetzt. Die machen das schon, weil es in ihrer Natur liegt. Viertens wird die Arbeit beider Gruppen eben auch "angeeignet", sie ist von zentraler Bedeutung für das Funktionieren des Kapitalismus.

Ohne die Hausfrauenarbeit, die der Erhaltung des Lebens dient, wäre die Lohnarbeit des männlichen Alleinverdieners nicht möglich. Ohne Linux würde Google sein eigenes Betriebssystem erfinden müssen oder sich von Microsoft die Bedingungen seines Businessmodells vorschreiben lassen. Die Gegenleistung für einen solchen elementaren Beitrag ist aber ein Dankeschön, vielleicht noch ein paar Online-Tools gratis, und das war es dann. Hacker sehen sich gerne als heroische Gestalten, die allein am äußersten Limit der Geschichte allen Gefahren trotzen und mit dem Keyboard unter dem Arm (ähnlich wie Rockgitarristen) die äußersten Grenzen des Codes und des Bewusstseins erforschen. Doch schon der Elektrizitätshacker Thomas Edison wusste: Ein Prozent ist Inspiration, 99 Prozent sind Schweiß.

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(Armin Medosch)