Die Grenzen der Schwarmintelligenz
Der US-Wissenschaftler Thomas Malone untersucht Möglichkeiten, wie man Menschen und Computer am besten miteinander verknüpft, damit diese gemeinsam möglichst intelligent agieren. ORF.at hat ihn zu den Grenzen kollektiver Intelligenz am Beispiel von Wikipedia und Linux sowie zu seiner Auffassung von Intelligenz befragt.
Thomas Malone war im Rahmen einer Einladung der Telekom Austria (TA) in Wien und stellte sich am Dienstag im MuseumsQuartier (MQ) den Fragen der Netzgemeinde und Journalisten zum Thema kollektive Intelligenz. Malone hat unter anderem im renommierten Forschungszentrum Xerox PARC gearbeitet und hat Universitätsabschlüsse in Mathematik und Psychologie.
Malone beschäftigt sich im Rahmen seiner Tätigkeit als Mitbegründer und Forscher am MIT Center for Collective Intelligence mit kollektiver Intelligenz beziehungsweise Schwarmintelligenz (Crowd Intelligence). Beide Begriffe sind derzeit gerne gebrauchte Schlagworte, wenn es um die Beschreibung der Möglichkeiten des Internets geht.
Kollektive Intelligenz gibt es laut Malone bereits mindestens seit Bestehen der Menschheit. Er versteht darunter Gruppen von Menschen, die gemeinsam auf scheinbar intelligente Weise agieren - egal ob als Familie, Städte, Länder oder militärische Einheiten. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia und die Suchmaschine Google sind für ihn spezielle Formen der kollektiven Intelligenz, die durch das Internet erst möglich gemacht wurden. Die Schwarmintelligenz ist eine weitere Spezialform der kollektiven Intelligenz, bei der im Entstehungsprozess eine bestimmte Gruppe eine wichtige Rolle gespielt hat.
ORF.at: Wie definieren Sie eigentlich Intelligenz?
Thomas Malone: Intelligenz ist grundsätzlich schwer zu definieren. Die meisten Leute, die sich damit beschäftigen, bemühen sich oft gar nicht, das zu tun. Eine einfache Definition lautet: Wenn sie eine breite Palette von Fähigkeiten haben. Es geht nicht um eine spezialisierte Fertigkeit, sondern darum, sich schnell an eine Reihe von Dingen anpassen zu können. Das ist eine sehr breite, aber oft hilfreiche Definition.
ORF.at: Wie kann man nun Intelligenz in einer Gruppe definieren und wie erkennen wir, dass Gruppen intelligent sind?
Malone: Die Frage nach der Intelligenz einer Gruppe ist im Grunde die Frage, wo sie die Grenzen ziehen. Wenn sie alleine einen Intelligenztest machen, dann wird nur ihre Intelligenz gemessen. Wenn fünf Personen den Intelligenztest gemeinsam machen, dann messen sie die Intelligenz von allen fünf Personen.
ORF.at: Woher weiß ich aber, dass das Ergebnis eine wie auch immer vorhandene Intelligenz der Gruppe widerspiegelt? Vielleicht kann ein Mitglied der Gruppe die Antworten steuern und übt Druck aus?
Malone: Damit beschreiben sie eine Situation, in der sich eine Guppe nicht sehr intelligent verhält. Ich sage nicht, dass Gruppen immer intelligent sind. Zu denken, dass durch die Einbeziehung einer Gruppe wie durch Magie alles gut wird, ist falsch. Manche Gruppen funktionieren gut, manche schlecht. Wir haben versucht, die unterschiedlichen Organisationsformen von Gruppen und ihre Bedingungen zu untersuchen - wir nennen sie analog zur Biologie Gene. Insgesamt 16 solcher Gene haben wir identifiziert: Ein wichtiges ist das Crowd-Gen, ein anderes das Hierarchie-Gen, es gibt aber auch das Konsens-Gen und das Wählen-Gen. Beim Hierarchie-Gen wird in einer Gruppe jemand für eine Aufgabe bestimmt, etwa von einem Manager. Beim Gruppen-Gen werden die Dinge von denjenigen gemacht, die das auch selbst wollen. Bei Wikipedia sagt ihnen zum Beispiel niemand, dass sie einen Artikel schreiben sollen, aber wenn sie wollen, dann können sie.
ORF.at: Jetzt ist aber auch Wikipedia nicht ganz so frei, wie es auf den ersten Blick scheint. Auch dort gibt es Administratoren, und nicht alle Nutzer haben uneingeschränktes Mitspracherecht.
Malone: Grundsätzlich kann bei Wikipedia jeder so lang und so oft er will einen Artikel editieren - bis hin zu Editwars. Dazu kommt es aber vergleichsweise selten. Auch bei Wikipedia gibt es eine Reihe von Gesetzen und Regeln, die die Gemeinschaft selbst entwickelt hat - ihre Administratoren haben dabei aber nicht dieselben Rechte wie der Chef einer Firma, der ihnen etwas anschaffen kann. Es ist falsch zu sagen, dass bei Wikipedia alles möglich ist und es auch immer so bleibt, aber es ist auch falsch anzunehmen, dass es eine traditionelle Hierarchie gibt. Bei Wikipedia kann grundsätzlich jeder, der möchte, mitarbeiten. Das ist viel mehr, als man in einer traditionellen Hierarchie tun kann.
ORF.at: Können Sie ein "reines", also ein typisches Beispiel für Schwarmintelligenz nennen?
Malone: Was verstehen sie unter rein? Ein Vorteil unseres Ansatzes mit den Genen ist, dass man damit die verschiedenen möglichen Organisationsformen von Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten analysieren kann. Diese ändern sich nämlich auch im Laufe der Zeit: Einmal ist das hierarchische Gen wichtig, ein anderes Mal nicht. Die Bedeutung der hierarchischen Form ist zudem von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich. Beim Betriebssystem Linux etwa kann grundsätzlich jeder mitarbeiten und Software beitragen, aber nur Linus Torvalds und ein paar andere, ausgesuchte Personen können entscheiden, was davon ins nächste Update einfließt. Dieser Entscheidungsprozess ist hierarchisch. Viele Wikipedia-Artikel entstehen hingegen, ohne dass sich ein Administrator einmischt.
ORF.at: Muss denn am Ende eine Autorität entscheiden?
Malone: In vielen Gruppen gibt es zu bestimmten Zeitpunkten einen hierarchischen Ansatz beziehungsweise einen Entscheider. Nur weil es diese gibt, heißt das nicht, dass man sie nutzen muss. Und sie müssen sich auch beweisen: Wenn Torvalds schlechte Entscheidungen trifft, wird ihn die Community wahrscheinlich nicht mehr unterstützen. Er hat also auch keine absolute Kontrolle über die Community, sondern nur solange sie bei seinem Projekt mitmachen.
ORF.at: Noch einmal zurück zum Begriff Intelligenz. Google nutzt ja auch implizit über Auswertung von Links die Intelligenz der Massen. Wenn Google mir eine Antwort auswirft, habe ich aber keine Garantie, dass diese wirklich "intelligent" ist.
Malone: Das stimmt, aber auch ein Mensch kann ihnen eine falsche Antwort geben, aus verschiedenen Gründen, etwa weil er es nicht besser weiß oder weil er sie belügt. Wenn Google eine falsche Antwort liefert, heißt das nun, dass Google nicht intelligent ist? Anders gefragt: Würden sie Katzen als intelligent einschätzen? Aber intelligenter als das Gras? Und das obwohl Katzen nicht mal im Ansatz eine Frage beantworten können, im Gegensatz zu Google.
ORF.at: Dennoch sind Gruppen und Massen beeinflussbar und treffen nicht immer scheinbar intelligente Entscheidungen: Zum Beispiel kaufen viele Leute Notebooks mit glänzende Displays, obwohl diese zum Arbeiten draußen und im Sonnenlicht nicht oder kaum geeignet sind.
Malone: Ihrer Meinung nach haben die Leute eine schlechte Entscheidung getroffen. Bedeutet das auch, dass sie nicht intelligent sind? Ich habe diese Displays gesehen und wollte mir selber eines kaufen, habe es aber aus den von ihnen genannten Gründen nicht getan. Aber ich finde, sie schauen richtig cool aus. Wenn es mir wichtiger wäre, dass mein Computer cool aussieht und ich ihn nie außer Haus benutzen würde wäre es für mich vielleicht sehr intelligent, wenn ich mir so einen Computer kaufen würde. Intelligenz als das zu definieren, was ich selbst für klug halte, ist keine sehr hilfreiche Definition.
(futurezone/Nadja Igler)