Time cockpit: Zeit-Coach für Selbstständige
Im Netz gibt es bereits zahlreiche Lösungen für Zeiterfassung und -management. Das Linzer Start-up software architects versucht, mit time cockpit eine Software auf dem Markt zu etablieren, die sich vor allem durch ihre Funktionen und Anpassbarkeit von der Konkurrenz unterscheiden möchte. Die präzise Erfassung der Nutzertätigkeiten am Rechner wirft freilich auch arbeitsrechtliche Fragen auf.
"Welcher Programmierer kennt das nicht: Man hatte eine stressige Woche und ist nicht dazugekommen, jeden einzelnen Arbeitsschritt mitzuprotokollieren. Dadurch verliert man Geld", erklärt Rainer Stropek den Nutzen von Software-Lösungen, die diese Aufgabe automatisch erledigen können. Stropek hat sich mit seinen Kollegen daher an die Lösung dieses Problems gemacht.
Gemeinsam mit Karin Huber gründete Stropek Anfang 2008 das Unternehmen software architects. Davor waren beide Gründer 15 Jahre lang in der IT-Dienstleitungsbranche tätig. Doch dann kam der Wunsch auf, ein eigenes Produkt zu schaffen.
Die Idee, eine Lösung für Zeiterfassung zu entwickeln, kam erst bei einer eingehenden Analyse des Marktes. "Hier gibt es mehrere kleinere Lösungen, mit denen man konkurrieren muss. Jeder Hobbyprogrammierer fühlt sich dazu berufen, kleine Web-Apps zu schreiben, aber eine wirklich professionelle Lösung haben wir nicht gefunden", so Stropek selbstbewusst.
Software statt Web-App als Lösung
Stropek weist auf eine Analyse der Beratungsfirma Capers Jones aus dem Jahr 2008 ("Applied Software Measurement: Global Analysis of Productivity and Quality") hin. Laut dieser liegt die durchschnittliche Vollständigkeit der Daten über den Ressourcenverbrauch in Software-Projekten bei weniger als 60 Prozent.
An dieser Stelle will time cockpit ansetzen und den Nutzern dabei helfen, mehr über ihre eigene Arbeitsweise zu erfahren. Die Software soll vor allem Dienstleistungsunternehmer, Selbstständige und Wissensarbeiter unterstützen. "Prinzipiell allen, die mit dem Verkauf von Zeit ihr Geld verdienen", fügt Stropek hinzu.
Erste Version für Windows-PCs
Time cockpit läuft vorerst nur unter Windows. Statt auf eine Web-App zugreifen zu können, muss der Nutzer jeweils auf den Rechnern, die er für seine Arbeit verwendet, die Software installieren.
Diese basiert auf dem Microsoft .NET Framework, wurde vorwiegend in C# 4.0 programmiert und von Microsoft für Windows 7 zertifiziert. Neben auf Windows 7 funktioniert die Betaversion zudem auf Windows Vista und XP (SP3). "Da wir wissen, dass viele Wissensarbeiter auf Apple-Produkte setzen, möchten wir auch bald eine Mac-Version auf den Markt bringen", ergänzt Stropek.
Prämiert von Microsoft
Time cockpit stand im Finale des diesjährigen Microsoft Innovation Award und wurde mit dem dritten Platz prämiert.
Das Unternehmen nahm zudem als eines von insgesamt 17 Start-ups am diesjährigen BizSpark European Summit in Paris teil.
Windows Azure zur Synchronisation
Während in den ersten Konzepten von time cockpit noch eine Zusammenarbeit mit Rechenzentrumspartnern geplant war, kommt jetzt der Cloud-Computing-Dienst von Microsoft, Windows Azure, zum Einsatz. Die gespeicherten Daten werden jeweils synchronisiert, wenn der Rechner gerade mit dem Internet verbunden ist. "Dadurch kann man auch unterwegs arbeiten. Erst wenn eine Internet-Verbindung besteht, synchronisiert sich das Programm automatisch mit Azure", so Stropek.
Für die Entwickler war es allerdings eine besondere Herausforderung, ein konfigurierbares System mit unterschiedlichen Datenstrukturen, Geschäftsprozessen und Gültigkeitsregeln auf einem Server für eine Vielzahl von Kunden gleichzeitig verfügbar zu machen. Das wurde im Rahmen von Forschungsprojekten, die von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) finanziert wurden, experimentell entwickelt.
Die Rechtslage im Betrieb
Time cockpit ist in erster Linie für Selbstständige gedacht, die ihre Arbeitsabläufe besser in den Griff bekommen wollen. In Betrieben muss der Einsatz von technischen Systemen zur Aufzeichnung der Leistung entweder über eine Betriebsvereinbarung (in Unternehmen mit Betriebsrat) geregelt werden bzw. darf nur mit Zustimmung des Arbeitnehmers erfolgen.
"Der Einsatz eines solchen Systems zur automatisierten Leistungsaufzeichnung ist betriebsvereinbarungspflichtig", so Gerda Heilegger, Expertin für Arbeitsrecht und betrieblichen Datenschutz bei der Arbeiterkammer Wien. Auch dann, wenn der Arbeitnehmer nur über Umwege Zugriff auf die gesammelten Leistungsdaten haben kann, werde mit einem solchen System die Menschenwürde berührt.
Aufzeichnungen von Informationen
Ein zweites Kernstück der Software ist die Aufzeichnung von Aktivitäten mit einem Signal Tracker. Damit werden viele verschiedene Informationen über den Inhalt und die Dauer der Arbeit aufgezeichnet. Hinter einem Tag, der vollständig aufgezeichnet wird, stecken Tausende an Signalen, die aufbereitet und statistisch analysiert werden müssen. "Hier war es nicht so einfach, diese große Anzahl an Daten aufzunehmen, ohne das System unnötig zu belasten und diese im Anschluss entsprechend aufzubereiten, so dass aus dem Datenmaterial auch sinnvolle Schlüsse gezogen werden können", erklärt Stropek.
Die Signal Tracker zeichnen jedoch nicht Maus- und Tasteneingaben auf, sondern welches Fenster im Vordergrund ist, was für einen Titel die geöffnete Datei hat, in welchem Ordner die Datei liegt und was dieser für einen Namen hat. "Auf diese Art und Weise kann time cockpit schon sehr viel herauslesen", meint Stropek.
Test: Analyse der Arbeitsprozesse möglich
In einer grafischen Benutzeroberfläche werden diese dann unter Applikationen, geänderte Dateien, Fenstertitel und einer Schlagwortwolke (Tag Cloud) zusammengefasst. Auf diesem Weg lässt sich für den Nutzer einfach nachvollziehen, wann er gerade mit welcher Aufgabe beschäftigt war. Der Tracker lässt sich allerdings auch einfach aus- und einschalten, wenn es der User einmal nicht so genau wissen will.
In einem ersten Betatest von ORF.at funktionierte die Aufzeichnung einwandfrei. Im Nachhinein konnte mit der einfachen, grafischen Darstellung gut nachvollzogen werden, wie viel Arbeitszeit in MS Outlook, Programmen wie OpenOffice, MS Word und im Web-Browser verbracht wurde. Beim Web-Browser konnte zudem punktgenau festgestellt werden, welches Browser-Fenster zu welchem Zeitpunkt geöffnet war. Diese Erfassung wirft freilich auch Datenschutzfragen auf.
Serie:
Im Rahmen der Serie "Start-up-Geschichten" berichtet futurezone.ORF.at in loser Folge über innovative Web- und IT-Unternehmen mit Österreich-Bezug.
"Wir wollen keine Spionagesoftware schaffen"
Stropek betont, dass diese Aufzeichnung lediglich dem jeweiligen Anwender selbst zur Verfügung stehe. "Natürlich wissen wir, dass Unternehmenseigentümer sehr wohl daran interessiert sind, wie viel Zeit ihre Mitarbeiter etwa auf Facebook verbringen. Doch wir wollen mit time cockpit keine Spionagesoftware schaffen. Die Aufzeichnung der Daten wird daher so verschlüsselt, dass man nur mit dem Windows-Benutzer und -Passwort darauf zugreifen kann."
Die Aufzeichnung diene alleine dem Zeitmanagement des Nutzers, selbst andere Projektmitarbeiter könnten nicht darauf zugreifen. Dafür gibt es Zeitbuchungen. Diese erfolgen noch manuell.
"Die Software kann nicht wissen, ob es sich um eine Mittagspause oder um ein Geschäftsessen handelt, einen einfachen Spaziergang im Park oder eine kreative Nachdenkpause", so Stropek. Bei einer längeren Abwesenheit erinnert die Software den Nutzer zudem immer daran, einzutragen, was man in seiner Abwesenheit gemacht habe. "Es ist uns klar, dass time cockpit keine 100-Prozent-Lösung ist", ergänzt Stropek.
Partner sollen Erweiterungen schreiben
Zudem müsse der Signal Tracker für bestimmte Nutzergruppen auch noch optimiert werden, da die Aufzeichnung der Daten nicht bei allen Programmen gleich gut funktioniere. Als Beispiel führt Stropek Auto-CAD an. Diese Optimierung möchten die software architects jedoch nicht alleine bewerkstelligen. "Sowohl technisch affine Endbenutzer als auch Partnerunternehmen bekommen von uns die Möglichkeit, auf unsere Infrastruktur zuzugreifen, um ihren eigenen Signal Tracker zu schreiben."
Auch die Benutzerschnittstelle wurde modular entwickelt, so dass Partner und Endbenutzer eingreifen können. Je nach Bedarf können neue Tabellen, Spalten, Logikprüfungen, Listen und Formulare hinzugefügt und verändert werden. Auch die Menüstruktur von time cockpit lässt sich von Administratoren ohne Programmierung erweitern. Mit einer Formelsprache, die an Microsoft Office Excel angelehnt ist, lassen sich zudem auch Regeln verändern.
Einsatz auf Mobilgeräten
Stropek hofft, dass die Software in zwei bis drei Jahren dermaßen verbreitet ist, dass sich eine Art "Marktplatz" entwickeln wird, über den Erweiterungen der Software, sogenannte Add Ons, für bestimmte Nutzergruppen oder Regionen angeboten werden.
Zudem möchte das Unternehmen die Software langfristig betrachtet auch auf mobilen Geräten wie Mobiltelefonen und Location-Trackern einsetzen. Derzeit lassen sich Telefondaten von Windows Mobile Phones und Nokia Smartphones importieren. "Wir arbeiten außerdem gerade an einer Lösung für Android", ergänzt Stropek.
Finale Version ab sofort verfügbar
Seit Freitag steht die finale Version der Software als Download zur Verfügung. Diese Version wird für 30 Tage kostenlos zum Testen angeboten, danach soll die Software 0,20 Euro pro Benutzer und Kalendertag kosten. "Für einen freiberuflicher Berater, der jeden Monat eine Stunde seiner Zeit entdeckt, die er sonst nicht verrechnen hätte können, ist das ein fairer Betrag", glaubt Stropek.
Für die Zukunft hat sich das Start-up viel vorgenommen: Bis zum Ende des nächsten Jahres wollen die software architects mit ihrer Zeiterfassungslösung eine vierstellige Kundenzahl erreichen. Danach streben Huber und Stropek an, das Produkt auch als White-Label-Lösung im Rahmen eines Gesamtpakets anzubieten.
(futurezone/Barbara Wimmer)