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Social Networks: Vertrauen als Ressource

SOZIALES NETZ
29.05.2010

Für das Marketing von Online-Marktplätzen spielen immer weniger klassische Push-Strategien, sondern vertrauensbasierte Strategien eine wichtige Rolle. Vertrauen ist eine Art Währung im Netz, die sich Anbieter wie Nutzer erst erwerben müssen - und die auch sehr schnell verspielt sein kann. Teil sieben der futurezone.ORF.at-Serie über das Soziale Netz.

Online-Anbieter wie Amazon und eBay haben gegenüber herkömmlichen Geschäften einen Nachteil: Sie verfügen nicht über Verkäufer, die im Gespräch mit dem Kunden eine Vertrauensgrundlage herstellen können.

Deshalb versuchen Online-Händler, diesen Mangel mit Bewertungssystemen aufzufangen. Nutzer des 1994 gegründeten Online-Händlers Amazon bewerten Produkte beispielsweise mit Kommentaren und einem Fünfsternesystem. Das 1995 gegründete Online-Auktionshaus eBay führte ein einfaches Bewertungssystem für Käufer und Verkäufer ein.

Zur Person:

Christiane Schulzki-Haddouti ist freie IT- und Medienjournalistin. Sie war von 2007 bis 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Darmstadt, um die Innovations- und Technikanalyse "Kooperative Technologien in Arbeit, Ausbildung und Zivilgesellschaft" (kooptech) zu erstellen.

Die futurezone.ORF.at-Serie "Soziales Web" wird unter dieser Adresse gesammelt.

Reduktion von Komplexität

Ein Bewertungssystem wurde ebenfalls für Verkäufer und Käufer des 2000 eingerichteten Amazon-Marktplatzes eingeführt, auf dem auch Kunden und Drittanbieter ihre Waren anbieten können. Die Amazon-Suche filtert Suchergebnisse nach kollaborativen Kriterien, indem sie die Bewertungen berücksichtigt. Solche Bewertungssysteme wurden seither von unzähligen Online-Anbietern kopiert, weil sie den Kunden Orientierung bieten.

Es ist ein Merkmal digitaler Marktplätze, dass sie, in den Worten des Soziologen Niklas Luhmann, als "elastische, komplexe und bestandsfähige Systeme“ den Aufbau von Vertrauen über ein reflexives Verhalten unterstützten. Die Vertrauensmechanismen spielen in allen Bereichen des Sozialen Webs eine Rolle, da der Einzelne nur beschränkt in der Lage ist, so Luhmann, "eine sehr komplexe möglichkeitsreiche und gleichwohl bestimmte oder doch bestimmbare Welt" im Blick zu halten, wenn die "Last der Selektion von Erleben und Handeln in sozialen Systemen geregelt und verteilt werden kann". Die hohe Komplexität der Welt, so Luhmann, setze eine Vielzahl simultan-präsenter selektiver Prozesse voraus.

Literaturhinweis:

Luhmann, Niklas (2000): Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart: Lucius & Lucius.

Geld und Vertrauen

Genau diese Wirkungsweise von Vertrauensprozessen, die Luhmann vornehmlich am Beispiel des Geldsystems schilderte, lässt sich auch im Sozialen Web beobachten: Auf großen Plattformen agieren zahlreiche Nutzer scheinbar gleichzeitig und erstellen mit ihren Bewertungen, Empfehlungen und Notizen in Bezug auf einen Kommunikationsgegenstand einen Corpus an persönlichen Einordnungen. Dieser erleichtert es in seiner Vielfältigkeit dem Einzelnen, das Kommunikationsobjekt im Vertrauen auf die Bewertungen anderer einzuschätzen - ohne es selbst in eigener Anschauung überprüft zu haben.

Über ein ausgefeiltes Bewertungs- und Empfehlungssystem stellen die Kunden und Händler auf Amazons "Marktplatz", so ließe sich nach Luhmann sagen, eine Art Systemvertrauen her. Luhmann schreibt über dieses: Das Vertrauen "bezieht sich dann nicht mehr darauf, dass der andere bleibt, was er ist, sondern darauf, dass er seine Selbstdarstellung fortsetzt und sich durch seine Selbstdarstellungsgeschichte gebunden fühlt. In dem Maße, als diese Reflexivität bewusst wird, wird auch persönliches Vertrauen zu einer Variante des Systemvertrauens".

Regeln stützen das Vertrauen

Bezogen auf virtuelle Marktplätze bedeutet das Folgendes: Auch wenn Kunden im Einzelfall mit einem auf einem Marktplatz erworbenen Produkt schlechte Erfahrungen gemacht haben, können sie dennoch dem Marktplatz als solchem weiterhin vertrauen, wenn er sich in Gänze vertrauenswürdig verhält, insofern er entsprechende Verhaltensregeln über sein Bewertungs- und Empfehlungssystem durchsetzt.

Das bedeutet aber auch: Wenn er Verhaltensregeln in seinem Bewertungs- und Empfehlungssystem nur eingeschränkt oder unvollständig reflektiert, kann auch nur ein entsprechend begrenztes Vertrauen entstehen. Es kommt also im Einzelfall immer auf die Ausgestaltung eines solchen Systems an.

Unvollständige Systeme

EBays Bewertungssystem etwa gilt als nicht sehr transparent. Beispielsweise sind einzelne Transaktionen nur für einen bestimmten Zeitraum einsehbar. Auch wie sich Nutzer während der Transaktion und dem Bewertungsprozess verhalten, schlägt sich nicht adäquat in ihrer Bewertung nieder.

Spezielle Auswertungswerkzeuge, die das berücksichtigen könnten, unterstützt eBay nicht. Eine vollkommene Transparenz aller geschäftsbezogenen Vorgänge wird also nicht hergestellt. Damit generiert eBay nur ein eingeschränktes Vertrauen.

Vertrauen und Nutzeridentität

Ein wesentlicher Bestandteil von Bewertungssystemen auf Online-Marktplätzen ist die relativ zuverlässige Authentifizierung der Verbraucher. Sie können keine Bewertung abgeben, bevor sie sich nicht eingeloggt, ihren Realnamen und ihre Adresse angegeben haben. Verifiziert werden Name und Anschrift über die Kaufabwicklung. Pseudonyme Bewertungen sind möglich, anonyme hingegen ausgeschlossen. Eine weniger zuverlässige Authentifizierung basiert allein auf einer gültigen E-Mail-Adresse. Sie ist üblich, wenn keine geldwerten Transaktionen Kernbestandteil der Plattform sind.

Bewertungsprofile, die auf unterschiedlichen Plattformen entstehen, sind bisher noch nicht wirklich miteinander vergleichbar, da die Identitäten nicht von einer auf eine andere Plattform übertragen bzw. mitgenommen werden können. Auf diese Weise muss ein Verkäufer sich auf jeder Plattform einen eigenen Ruf aufbauen. Er kann von seinem Wohlverhalten auf einer Plattform nicht auf einer anderen profitieren. Andererseits kann auch unerwünschtes Verhalten nur in einem bestimmten Rahmen sanktioniert werden.

Problem Identitätsmanagement

Identitätsmanagement-Systeme versuchen dieses Problem zu lösen, indem sie eine Identität für viele verschiedene Anwendungen erstellen. Darauf basierend können Nutzer beispielsweise Weißlisten für andere Nutzer erstellen, die nicht als Spammer empfunden werden und deshalb beispielsweise direkt in Blogs kommentieren dürfen.

"Grundlage allen Vertrauens ist die Darstellung des eigenen Selbst als einer sozialen, sich in Interaktionen aufbauenden, mit der Umwelt korrespondierenden Identität", stellt Luhmann fest. Auf diese Weise werden vertrauensbildende "Lern- und Prüfungsmöglichkeiten" offeriert. Diese bestehen darin, dass Anwender für eine authentische Selbstpräsentation oftmals persönliche Daten über sich auf eigenen Websites, Blogs oder in Profilen in Sozialen Netzwerken öffentlich preisgeben.

Monopole der Angst

Dazu gehören oft Kontaktdaten samt Lebenslauf, auch private Neigungen werden bekanntgegeben. Unter anderem deshalb nutzen Personalchefs und Arbeitgeber Online-Communitys, um ihr Bild von einem Bewerber abzurunden. Insofern können Nutzer Identitäten im Internet nutzen, um Reputation aufzubauen.

Vertrauen ist aber auch eine "kulturelle Voraussetzung für gesellschaftliche Innovationsmöglichkeiten", wie der Soziologe Heinz Bude feststellte. Nicht von ungefähr spielt das Bemühen um Vertrauen im Web eine so große Rolle. Er beobachtete, dass Unternehmen "sowohl beim Begriff des 'Wettbewerbs' als auch bei dem der 'Zusammenarbeit' sofort Gefahren" witterten. Wettbewerb sehe man gerne als eine "mörderische" Angelegenheit, die prinzipiell dazu führe, dass einer der Konkurrenten auf der Strecke bleibe. Zusammenarbeit hingegen werde mit Immobilität assoziiert. Man ergehe sich in Absprachen, verteidige Besitzstände und schaffe Monopole - und opfere so die Gestaltungskraft des Einzelnen einem imaginären Allgemeinen.

Letztlich stehe hinter der Angst der Unternehmen vor mehr Offenheit, so Bude, "die Fixierung auf Nullsummenspiele, bei denen der Gewinn des einen den Verlust des anderen beinhaltet". Es falle den Beteiligten schwer, sich vorzustellen, dass es auch Konstellationen gibt, in denen alle profitieren. Damit verhindere das Kommunikationsmisstrauen die Innovationsdynamik. Nötig sei daher das Vertrauen, "dass man beim Wettbewerb nicht untergeht und bei der Kooperation nicht erstickt".

(Christiane Schulzki-Haddouti)