Die Automatisierung der Schönheit
Mit einfachen Algorithmen und der richtigen Open-Source-Software wird der Computer zur Kunstmaschine. Auch Gebrauchsgrafiker greifen in ihrer Arbeit zunehmend auf generative Systeme zurück. Ob Programmieren heute zu den Grundkenntnissen von Komponisten und Grafikern gehören sollte, darüber streiten die Experten noch.
Am Sonntag in "matrix"
Am Sonntag, dem 30. Mai 2010, gibt es um 22.30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix" Interviews mit Karsten Schmidt, den Herausgebern des Buches "Generative Gestaltung" und dem Komponisten und Programmierer von "Bloom", Peter Chilvers.
Dass mit Hilfe von Computern und Software Kunstwerke und "digitale Kunst" entstehen, ist nicht neu. Doch daneben erfreut sich seit einiger Zeit auch "generative Kunst" steigender Beliebtheit. Dabei entstehen keine fertigen Kunstwerke, sondern von Künstlern und Kreativen programmierte Algorithmen generieren von selbst Grafiken und Musik, die sich in dem algorithmisch abgesteckten Rahmen auch ständig verändern.
Diese generativen Grafiken und Kompositionen sind oft auch interaktiv und lassen Laien am künstlerischen Prozess partizipieren und somit selbst zu audiovisuellen Künstlern werden. Das aktuell wohl bekannteste Beispiel dafür ist die iPhone-App "Bloom", die der Musikpionier und "Vater der Ambient Music" Brian Eno gemeinsam mit dem Komponisten und Programmierer Peter Chilvers entwickelte.
Spiele und generative Sounds
Kennengelernt haben Eno und Chilvers einander bei der gemeinsamen Arbeit am Soundtrack zum Computerspiel "Spore". Chilvers, der auch schon am Soundtrack zu den "Creatures"-Computerspielen mitwirkte, sieht in diesem speziellen Bereich ein Hauptanwendungs- und Entwicklungsgebiet für generative Musik:
"Soundtracks für Computerspiele sehen sich mit einem speziellen Problem konfrontiert, das es etwa bei Filmen nicht gibt; nämlich, dass die Musik eine sehr lange Zeit im Hintergrund laufen muss können. Man weiß ja bei einem Computergame nie, wie lange genau eine Szene gespielt wird und andauert. Und man muss Musik schreiben, die auf die Spielumgebung und das Geschehen am Bildschirm reagiert. Dadurch wurde ich fast gezwungen, mich mit generativer Musik auseinanderzusetzen. Es bedarf dazu eines anderen Zugangs als Komponist, man muss viel lockerer vorgehen."
Design by Numbers
2009, ein Jahr nach "Bloom", brachten Brian Eno und Peter Chilvers eine zweite Applikation für generative Musik am iPhone heraus: "Trope". In Eigenregie veröffentlichte Chilvers kurz darauf noch eine weitere generative App namens "Air". Sowohl "Trope" als auch "Air" sind im Vergleich zu "Bloom" komplexer und teilweise auch düsterer. Das Grundprinzip ist aber bei allen drei Apps gleich: Das iPhone ist dabei nicht bloß Abspielgerät und "Musicbox", sondern wird durch die Apps zum Instrument, mit dem sich bereits bestehende Kompositionen vom Benutzer beeinflussen lassen.
Generative Gestaltungsprinzipien kommen verstärkt auch im Bereich Grafikdesign zur Anwendung. Als Vorreiter auf dem Gebiet der generativen Grafik gelten neben John Maeda, der 2001 am MIT Media Lab unter dem Titel "Design by Numbers" eine Programmiersprache speziell für visuell arbeitende Künstler entwickelte, vor allem die beiden US-Amerikaner Casey Reas und Ben Fry, die ebenfalls 2001 eine an Java angelehnte Programmiersprache namens "Processing" veröffentlichten, die stark visuell basiert ist und sich vor allem an Benutzer ohne große Programmiervorkenntnisse richtet.
Offene Umgebungen
"Processing", veröffentlicht unter der freien GPL-Lizenz, eignet sich speziell für die Verwendung in den Bereichen Grafik, Typographie und Animation und hat sich deshalb in den vergangenen Jahren als das bevorzugte Tool für generativ arbeitende Designer etabliert. Daneben gibt es noch weitere Software für generativ arbeitende visuelle Künstler und Kreative wie zum Beispiel openFrameworks.
Ein "Best of" generativer Grafiken in Buchform
Besonders gelungene Beispiele für mit "Processing" und openFrameworks entstandene grafische Arbeiten finden sich in dem Buch "Generative Gestaltung", das die ebenfalls bevorzugt generativ arbeitenden Designer Benedikt Groß und Julia Laub vor kurzem veröffentlicht haben.
Auf über 400 Seiten zeigen Laub und Groß in ihrem Buch "Generative Gestaltung", was für eine faszinierende Fülle an Anwendungsbereichen es für generative Grafik gibt und was für ein vielfältiger und visuell beeindruckender Output sich dabei erschaffen und erzeugen lässt.
Kreativer Code
Ein Kreativer mit einem besonderen Naheverhältnis zu Programmiersprachen und Code ist der aus Ostdeutschland stammende und seit langem in London lebende Grafiker und Programmierer Karsten Schmidt. Er gilt weltweit als einer der innovativsten unter den generativ arbeitenden Grafikern und sorgte zuletzt mit einer generativen Installation für das Victoria & Albert Museum in London für Aufsehen.
Für das Digitalfilmfestival "Onedotzero" in London erschuf Karsten Schmidt im Vorjahr ein Logo, das sich ständig veränderte und sich dabei aus den Feeds von Twitter und Vimeo sowie den Uploads von Festivalbesuchern speiste. Für die Umsetzung dieses Logos hatte Schmidt eingehend studiert, wie sich Magnete in der Natur verhalten. Auch sonst orientiert er sich stark an organischen und physikalischen Prozessen, die er mit Hilfe von generativer Programmierung dann nachzubauen versucht. Für eine Auftragsarbeit des britischen Fernsehsenders Channel 4 etwa simulierte er grafisch die Entstehungsweise von Blitzen auf molekularer Basis.
Grafiker als Programmierer
Werden die Grafiker der Zukunft immer mehr ihrer kreativen Kontrolle an den Computer abgeben? Wird der Computer automatisch nicht nur mitwirken, sondern auch immer mehr mitgestalten? Und wird es überhaupt noch Grafiker geben, die nicht zugleich auch Programmierer sind? Julia Laub, Mitherausgeberin des Buches "Generative Gestaltung", rät diesbezüglich zu einer realistischen Erwartungshaltung: Für sie eignet sich generatives Design nur für bestimmte Anwendungsgebiete und speziell dort, wo es viele Wiederholungen und dynamische Veränderungen gibt.
Ihr Kollege Benedikt Groß erwartet, dass in einer ständig und in großen Mengen Daten produzierenden Gesellschaft die Nachfrage und die Notwendigkeit steigen wird, diese zum großen Teil auch sehr komplexen Daten auch visuell darzustellen und zu animieren. Speziell in diesem Bereich der Infografik und der Datenvisualisierung wird sich daher künftig ein primäres Betätigungsfeld für generativ arbeitende Grafiker und Designer auftun.
(matrix/Richard Brem)