"Suchmaschinen sind befangen"
"Suchergebnisse sind unausgewogen", meint die britische Sozialwissenschaftlerin Elizabeth van Couvering. ORF.at hat mit Van Couvering über die Befangenheit von Suchmaschinen und die Verantwortung von Suchmaschinenbetreibern gegenüber der Öffentlichkeit gesprochen.
In ihrer vor kurzem fertiggestellen Dissertation an der London School of Economics ging Van Couvering der Frage nach, ob und warum Suchergebnisse unausgewogen sind. Am Freitag war die britische Sozialwissenschaftlerin bei der Konferenz "Deep Search II" in Wien zu Gast, wo sie die Ergebnisse ihrer Studie präsentierte.
Die Qualität von Suchergebnissen müsse über die Frage nach der Relevanz hinausgehen, forderte Van Couvering. Sie sieht Suchmaschinenbetreiber auch gegenüber der Öffentlichkeit in der Verantwortung und sprach sich für eine Diskussion der Rolle von Suchmaschinen in demokratischen Gesellschaften aus.
ORF.at: Sie haben in Ihrer Dissertation die Unausgewogenheit von Suchmaschinen und die Gründe dafür untersucht. Inwiefern sind Suchmaschinen befangen?
Van Couvering: Suchmaschinen schreiben Websites Bedeutung auf Basis von Links zu. Links werden als Vertrauensbeweis gewertet. Das führt dazu, dass größere Sites und Sites, die schon länger im Netz sind, überschätzt werden. Sites aus Ländern, die über einen großen Werbemarkt verfügen, werden bevorzugt behandelt, weil mehr Aufwand in die Indexierung gesteckt wird. Daneben lässt sich auch feststellen, dass Suchergebnisse in manchen Sprachen schlechter sind als in anderen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich und sehr komplex. Sie können technischer Natur sein und etwa im Suchalgorithmus liegen. Es gibt aber auch ökonomische Gründe, etwa die Abhängigkeit der Betreiber von den Werbeeinnahmen und den Wert der Links. Für die Nutzer bleiben diese Unausgewogenheiten jedoch weitgehend unsichtbar.
ORF.at: Werden Informationen nur dann indexiert, wenn eine Chance besteht, damit Geld zu verdienen?
Van Couvering: So einfach ist es nicht. Ich denke aber, dass die wirtschaftliche Struktur der Suchmaschinenunternehmen zur Folge hat, dass manche Informationen nicht auffindbar sind. Wenn Sie ein kleiner Inhalteanbieter in einem kleinen Land sind, Ihre Sprache nicht von vielen Leuten gesprochen wird und Sie Ihre Website nur unregelmäßig aktualisieren, sind Ihre Chancen, indexiert zu werden, sicherlich geringer. Es besteht auch die Möglichkeit, dass Sie auf die schwarze Liste der Suchmachinenbetreiber kommen, weil Sie gegen deren Richtlinien verstoßen haben, ohne es zu wissen. Sie haben allerdings keine Möglichkeit, dagegen Einspruch zu erheben. Damit haben viele kleine Unternehmen zu kämpfen. Daneben wird auf Sucherergebnisse auch von Spezialisten Einfluss genommen, die von Unternehmen angestellt werden, damit ihr Ranking in den Suchergebnissen verbessert wird. Die Klicks haben einen ökonomischen Wert. Es gibt einen Wettbewerb um die Klicks, und Search Engine Optimization (SEO) trägt dazu bei, dass die Voraussetzungen nicht für alle gleich sind.
Ein Interview mit Van Couvering gibt es zudem bei "digital.leben" zu hören. Die Radioserie "digital.leben" (Montag bis Donnerstag, 16.55 Uhr, Ö1) ist kostenlos als Podcast abonnierbar:
ORF.at: Sie haben im Zuge Ihrer Recherchen auch bei einem Suchmaschinenoptimierer gearbeitet. Wie gestaltet sich eigentlich das Verhältnis der SEOs zu den Suchmaschinenanbietern?
Van Couvering: Suchmaschinenbetreiber und Suchmaschinenoptimierer werden oft als Opposition dargestellt. Suchmaschinenbetreiber bezeichnen ihr Verhältnis zu den SEOs häufig als "Krieg". Das trifft die Sache aber nicht ganz. Viele der Suchmarketingspezialisten wenden einen Mix von Maßnahmen an, um ihr Ranking zu verbessern. Sie kaufen Werbung, sie versuchen, ihre Websites zu optimieren, und in manchen Fällen wenden sie auch fragwürdige Methoden an und bringen etwa Link-Farmen zum Einsatz. Es gibt auch Unterschiede darin, was verschiedene Suchmaschinenbetreiber als akzeptabel einstufen. Suchmaschinenoptimierer sind also für die Suchmaschinenbetreiber in manchen Fällen Kunden, in manchen Fällen Vermarkter und in manchen Fällen Spammer. Es gibt Spannungen, es gibt aber auch Zusammenarbeit. Die Suchmaschinenbetreiber stellen den SEOs auch Werkzeuge zur Verfügung, die ihnen bei ihrer Arbeit helfen. Es gibt gegenseitige Abhängigkeiten. Das Verhältnis ist sehr komplex.
ORF.at: Inwiefern unterscheidet sich die Definition dessen, was Suchmaschinenbetreiber Qualität nennen, von einer Definition von Qualität, die im öffentlichen Interesse wäre?
Van Couvering: Ich habe für meine Forschungen viele Interviews mit Beschäftigten von Suchmaschinenbetreibern geführt. Im Wesentlichen haben sie Qualität nach zwei Kriterien definiert, das sind die Zufriedenheit der Kunden und die Relevanz. Beide sind sehr subjektiv. Diese Kriterien werden aber zur Rechtfertigung einer Reihe von Methoden herangezogen, die wir in anderen Bereichen nicht hinnehmen würden. So werden etwa bestimmte Informationen hochgestuft, weil sie sich auf gewissen Sites befinden. Das geschieht nicht auf der Ebene individueller Seiten, sondern durch Änderungen im Algorithmus. Das Hochstufen, aber auch schwarze Listen beinhalten Elemente von Zensur. Das wird aber nicht diskutiert. Die Betreiber sehen es nicht als Problem, weil es der Relevanz dient. Kundenzufriedenheit meint allzu oft auch die Zufriedenheit der Werbekunden. Wenn also Qualität auf Relevanz und Kundenzufriedenheit reduziert wird, kommt man in eine Situation, in der Qualitätsanpassungen vorgenommen werden, die mit den Ansprüchen der Allgemeinheit, etwa dem fairen Zugang zu Informationen, nicht allzu viel zu tun haben.
ORF.at: Sie schreiben den Betreibern von Suchmaschinen eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit zu.
Van Couvering: Suchmaschinen werden vor allem dazu genutzt, Leuten Zugang zu den Dingen zu vermitteln, die sie noch nicht kennen und über die sie noch nichts wissen. Nicht alles, was heute online verfügbar ist, wird aber von den Suchmaschinen auch sichtbar gemacht. Einige Dinge sind weniger gut sichtbar, andere gar nicht. Das Internet und seine Inhalte werden mehr und mehr Teil unserer Kultur, und Suchmaschinen kontrollieren in zunehmenden Ausmaß den Zugang dazu. Ich denke also, dass Suchmaschinen eine gewisse Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit haben, auch wenn sie die nicht gesucht haben. Sie müssen Bürgern einen fairen Zugang zu Informationen ermöglichen und können sich nicht darauf zurückziehen, dass sie private Unternehmen sind.
ORF.at: Wie kann Transparenz erzielt werden?
Van Couvering: Suchalgorithmen und Änderungen in den Algorithmen werden von den Betreibern als Geschäftsgeheimnisse betrachtet. Ich glaube, dass eine Art Einspruchsrecht, das vor einer unabhängigen Stelle vorgebracht werden kann, hilfreich wäre. Es wäre interessant zu erfahren, wie bestimmte Suchergebnisse zustande kommen. Suchergebnisse haben auf gesellschaftliche Fragen Einfluss. Wenn Sie etwa nach "Abtreibung" suchen, was soll da an erster Stelle kommen? Sollen es allgemeine Informationen zum Thema sein? Eine Abtreibungsklinik? Seiten von Abtreibungsgegnern?
ORF.at: Bedarf es regulatorischer Eingriffe?
Van Couvering: Das hängt davon ab, wie öffentliches Interesse definiert wird. Wenn man zum Beispiel der Ansicht ist, dass Suchmaschinen, die in Österreich tätig sind, österreichische Netzinhalte abdecken und einen bestimmten Prozentsatz des österreichischen Webs indexieren sollen, dann könnte es eine Art Dienstleistungsvereinbarung geben. Es gibt viele Möglichkeiten, ich habe auch keine konkrete Lösung. Aber ich denke, dass der derzeitige Zustand unbefriedigend ist. Wir haben ein neues Massenmedium, das in den vergangenen zehn Jahren groß geworden ist, ohne die Bedürfnisse der Öffentlichkeit zu thematisieren. Das sollte auf jeden Fall diskutiert werden.
(futurezone/Patrick Dax)