© AP/Bernd Kammerer, Eine Person wirft eine Münze in einen Fahrkartenautomaten

Usability: Der Kampf mit unhöflichen Geräten

ERGONOMIE
04.06.2010

Rolf Molich, ein Weggefährte des Usability-Gurus Jakob Nielsen, findet, dass man durchaus menschliche Maßstäbe an das Verhalten von Maschinen anlegen sollte. Bestimmte Fahrkartenautomaten beispielsweise findet der dänische Experte regelrecht "unverschämt". ORF.at sprach mit Molich über seine Lieblingswebsites, gekränkte Produktentwickler und "Featuritis" bei Mobiltelefonen.

Benutzerfreundlichkeit, im Fachjargon der IT-Branche auch oft Usability genannt, ist für den Erfolg von Websites, Software und Hardware entscheidend. Rolf Molich arbeitet seit 1993 als Usability-Berater in seinem Ein-Personen-Unternehmen namens DialogDesign in Dänemark. Zusammen mit dem Web-Designer Jakob Nielsen erstellte Molich 1990 zehn Regeln, damit Produktentwickler Probleme mit der Benutzerfreundlichkeit vermeiden können.

In acht Studien unter dem Titel "Comparative Usability Evaluation" untersuchte und verglich er Methoden der Usability-Industrie, was ihm in der Szene den Titel des "obersten Usability-Aufpassers" einbrachte. ORF.at traf Molich auf der internationalen Konferenz der Usability Professionals' Association (UPA), auf der vergangene Woche in München 750 Teilnehmer aus über 50 Ländern über die Themen Design und Benutzerfreundlichkeit debattierten.

ORF.at: Warum sind so viele Produkte nicht benutzerfreundlich?

Rolf Molich: Produktentwickler sind keine bösen Menschen. Sie wollen auch Benutzer nicht schlecht behandeln. Aber sie glauben oft, dass sie sich in die Denkweise von Benutzern hineinversetzten können. Aber das kann man nicht. Das kann auch ich nicht. Ich kenne aber Methoden, mit deren Hilfe ich Usability-Probleme finde.

ORF.at: Wie finden Sie Usability-Probleme?

Molich: Die bekannteste und überzeugendste Methode ist der Usability-Test. Dazu nehme ich das zu untersuchende Produkt und ein paar typische Aufgaben und bitte vier bis acht repräsentative Benutzer, die Aufgaben zu lösen. Ich sitze währenddessen daneben und sehe zu, was passiert. Wenn ein Benutzer ein Problem hat, ist das nicht besonders interessant. Aber wenn zwei oder mehr Benutzer auf dieselben Schwierigkeiten stoßen, ist das ziemlich sicher ein Usability-Problem. Danach kommt der schwierigste Teil - nämlich die Produktentwickler davon zu überzeugen, dass es das Problem gibt. Viele Entwickler sehen im User Interface einen Teil ihres "Ichs". Wenn man andeutet, dass es dort ein Problem gibt, dann glauben sie, man kritisiere sie persönlich. Um diesen Problemen vorzubeugen, lade ich gerne die Entwickler und andere Interessenten ein, beim Usability-Test zuzusehen. Wenige Organisationen haben eine solche Reife und so viel Vertrauen und Verständnis, dass sie sagen: "Ja, Herr Molich, das ist gut, wir machen das genauso wie Sie sagen." Eine andere Methode besteht einfach darin, sich vorzustellen, dass die Maschine ein Mensch sei. Stellen Sie sich vor, Sie gehen in der U-Bahn zu einem Verkaufsschalter und möchten einen Fahrschein mit einem 20-Euro-Schein bezahlen - und statt einen Fahrschein herauszurücken, gibt Ihnen der Verkäufer wortlos den Geldschein wieder zurück. So ein Verhalten wäre einfach undenkbar und vollkommen absurd. Die Fahrkartenautomaten in der U-Bahn in München tun das aber exakt so. Sie zeigen nur die Fehlermeldung "Bitte entnehmen Sie die Banknote". So ein unmenschliches Verhalten einer Maschine, noch dazu bei einem so simplen Kaufvorgang, ist unhöflich und unverschämt. Mittels einer verbesserten, konstruktiven Fehlermeldung ließ sich das Problem lösen: "Beim Kauf einer Fahrkarte im Wert von 2,40 Euro nimmt dieser Automat leider nur Fünf-Euro-Scheine."

ORF.at: Welche Website, an der Sie mitgearbeitet haben, finden Sie besonders gut gelungen?

Molich: Ein einigermaßen gelungenes Beispiel ist die Website der Firma Ikea. Der Erfolg bei diesem Projekt hing auch von den Designern ab, die recht gut waren. Andere gute Produkte, bei denen ich aber nicht mitgearbeitet habe, sind die Website der Tageszeitung "New York Times" und die Online-Videothek Netflix.

ORF.at: Sie beschäftigen sich seit 1984 mit dem Thema Usability am Computer. Was war in dieser Zeit für Sie die wichtigste Veränderung?

Molich: Ohne Zweifel war das der Wechsel von Windows zum Web. Viele glaubten am Anfang, mit dem Web seien alle Benutzerprobleme gelöst. Es zeigte sich aber, dass wir genau die gleichen Probleme wieder haben und etliche neue Probleme kamen noch dazu. Es sind immer die gleichen Dinge, die Probleme machen. Zum Beispiel spricht das Produkt nicht die Sprache der Benutzer. Dass heißt, man verwendet Begriffe, die die Benutzer nicht kennen. Oder man verwendet schlechte Fehlermeldungen, die nicht erklärend und nicht konstruktiv sind. Es gibt eine Reihe von einfachen Regeln, die ich zusammen mit Jakob Nielsen vor 20 Jahren ausgearbeitet habe. Die gelten eigentlich auch heute noch. Die decken zwar nicht alle Probleme ab, aber wenn man diese Regeln befolgen würde, sehe die Welt doch deutlich besser aus.

ORF.at: Kommen wir zur Hardware: Gibt es ein Produkt, das Sie für besonders gelungen halten und das Sie selbst gerne verwenden?

Molich: Ein GPS-Gerät der Firma TomTom. Das ist ein ziemlich gutes Produkt und die Benutzerschnittstelle hat mich beeindruckt. Nur: Wenn ich es einschalte, kann es lange dauern, bis es anzeigt, wo ich bin. Und in dieser Zeit kommt keine Rückmeldung vom Gerät. Das ist wieder eine Verletzung einer wichtigen Usability-Regel.

ORF.at: Wie erkenne ich ein benutzerfreundliches Produkt beim Einkaufen? Ein großer Teil des Handels läuft heute ja übers Netz, man kann nicht jedes Gerät vorher lokal testen.

Molich: Das ist sehr schwierig. Eigentlich müssten Verbraucherschutzorganisationen, wie der Verein für Konsumenteninformation, standardisierte Usability-Tests machen und diese veröffentlichen. Damit würde man nicht die Meinung des Redakteurs, sondern eine objektive Beurteilung bekommen. Aber bei den vielen Produkten, die es gibt, würde das ganz schön teuer werden. Von Konsumenten sollte eigentlich die größte Nachfrage nach benutzerfreundlichen Produkten kommen. Es ist wichtig, diesen Menschen zu sagen, dass Usability etwas ist, was man verlangen kann und soll.

ORF.at: Welche Trends bezüglich der Benutzerschnittstellen sehen Sie derzeit in der Produktentwicklung?

Molich: Ich finde, alles in allem wird die Benutzbarkeit merklich besser. Die größte Gefahr ist jedoch, dass einem guten Produkt immer mehr Funktionen hinzugefügt werden. Durch diese "Featuritis" wird das Produkt immer komplizierter und darunter leidet die Benutzbarkeit. Bei meinem Nokia-Handy benutze ich zum Beispiel nur ein Zehntel der Funktionen. Ich kann die ungenutzten Funktionen aber nicht einfach ignorieren, da sie das Menüsystem komplizierter machen und so auch Auswirkungen auf die Auswahl der von mir gebrauchten Funktionen haben.

ORF.at: Was sollte man tun, wenn man nur drei Stunden Zeit hat, etwas über Usability zu erfahren?

Molich: Das Buch "Don't make me think!" von Steve Krug lesen. Das hat ungefähr 200 Seiten, ist sehr leicht zu lesen und auch ein bisschen witzig. Danach versteht man besser, was Usability ist.

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(futurezone/Max Scheugl)