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Sieben Regeln für das Social Web

SOZIALES NETZ
05.06.2010

Wer im Social Web erfolgreich sein will, sollte sich an den bereits bewährten Erfolgs- und Akzeptanzfaktoren orientieren. So ist es unter anderem entscheidend, die eingesetzten Systeme modular und flexibel zu halten und die Anwender schon früh bei der Gestaltung der Dienste einzubeziehen. Teil acht der futurezone.ORF.at-Serie über das Soziale Netz.

Zur Person:

Christiane Schulzki-Haddouti ist freie IT- und Medienjournalistin. Sie war von 2007 bis 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Darmstadt, um die Innovations- und Technikanalyse "Kooperative Technologien in Arbeit, Ausbildung und Zivilgesellschaft" (kooptech) zu erstellen.

Die futurezone.ORF.at-Serie "Soziales Web" wird unter dieser Adresse gesammelt.

Es gibt sieben Regeln, an denen sich Betreiber und Nutzer orientieren sollten, wenn sie sich erfolgreich im Social Web bewegen wollen. Herausgearbeitet wurden sie erstmals von einer kleinen Forschergruppe um den US-amerikanischen Online-Pionier Howard Rheingold in der Studie "Technologies of Cooperation".

Demnach sollten flexible Strukturen unterstützt, kontextorientierte Regeln aufgestellt und eingehalten werden. Ressourcen sollten sensibel erschlossen und genutzt werden, etwaige Barrieren für die Kommunikation identifiziert werden. Dazu gehört auch, dass eine Art Tiefengedächtnis der Anwendung verfügbar gemacht wird. Wichtig ist schließlich, Feedback-Schleifen seitens der Nutzer und Betreiber zu unterstützen und den Kommunikationsprozess über digitale Identitäten zu ermöglichen.

Beispiel Wikipedia

Diese sieben Regelungsdimensionen für den Einsatz kooperativer Technologien lassen sich am Beispiel der Wikipedia einfach erklären: Nutzer können mit verschiedenen Identitäten, nämlich anonym, pseudonym oder unter ihrem Klarnamen, Beiträge verfassen. Diese Beiträge tragen zum Aufbau der Wikipedia-Ressourcen bei und bilden langfristig ein digitales Gedächtnis. Voraussetzung für eine Teilnahme ist jedoch eine gewisse IT- und Medienkompetenz. So müssen sie etwa mit der Wiki-Syntax zurechtkommen, um Artikel schreiben, korrigieren und ergänzen zu können. Ihre Beiträge werden vielfach gelesen und wiederum von weiteren Nutzern ergänzt, korrigiert oder gar gelöscht.

Das Verhalten dieser weiteren Nutzer hängt im Allgemeinen davon ab, inwieweit der Beitrag bzw. der Erstautor sich an die in der Wikipedia üblichen Regeln hält. Der Beitrag muss bestimmte Elemente einer kollaborativ entwickelten Ordnung wie etwa eine Auszeichnung mit Kategorien enthalten bzw. bestimmte inhaltliche und strukturelle Eigenschaften aufweisen. Eine weitere Barriere kann das Urheberrecht darstellen. Hat ein Autor seinen Text aus einem Buch entnommen, dieses aber nicht als Zitat gekennzeichnet, müsste der Text umgearbeitet werden. Bilder von Fotografen, die der Veröffentlichung nicht zugestimmt haben, müssten gelöscht werden.

Schließlich bestimmt ein Set an sozialen Regeln den Umgang der Autoren untereinander. Hierzu gehört unter anderem ein standardisiertes Streitschlichtungsprozedere. Den sieben Regeln entsprechen sieben Erfolgsfaktoren. Abstrakt formuliert können die Erfolgsfaktoren auf das gesamte Social Web angewandt werden. Im Folgenden sollen die ersten drei Erfolgsfaktoren vorgestellt werden: Die Unterstützung flexibler Strukturen, die Beachtung sozialer Umgangsformen sowie die sensible Ressourcenerschließung und -nutzung.

Integration in den Arbeitsprozess

Zunächst geht es darum, flexible Strukturen zu unterstützen. Dazu gehört aus Perspektive der Dienstebetreiber eine inkrementelle Implementierung: Die Einführung sollte schrittweise erfolgen, um die Dienste an die Bedürfnisse anzupassen, um sie in Arbeits- und Geschäftsprozesse integrieren zu können und um das Aufnahmevermögen und die Veränderungsbereitschaft der Beteiligten nicht zu überfordern.

Ein laufender Erfahrungsaustausch der beteiligten Anwender sowie Schulungen von Personen mit Vorbild- bzw. Leitungsfunktionen können erfolgsentscheidend sein. Dabei gilt es zu beachten, dass Anwendungen selbsterklärend sind: Anwender können die Funktionsweise der Anwendungen einsehen und werden so befähigt, eigene Anwendungen zu erstellen. Ein Beispiel hierfür ist der offene Quellcode von HTML-Seiten, der die Entwicklung des Web-Designs beschleunigte.

Plug-ins und offene Schnittstellen

Schließlich sollte eine Social-Web-Umgebung modulartig aufgebaut sein: Anwender können sich entsprechend ihrer aktuellen, aber auch langfristigen Anforderungen nach einem Baukastensystem selbst Anwendungen und Dienste zu Modulen zusammenstellen und diese miteinander verknüpfen. Auf diese Weise können sie schnell auf Änderungen der Bedarfslage reagieren. Unterstützend für die Auswahl eines Dienstes oder einer Anwendung ist es, wenn diese ausprobierbar sind. Voraussetzung für die Verknüpfung von Diensten und Anwendungen zu neuen Diensten sowie die Integration von Diensten in bestehende Systeme sind offene Schnittstellen und Standards.

Die Daten müssen nahtlos zwischen einzelnen Anwendungen fließen können, müssen ex- und importierbar sein. Nutzer können Inhalte für eigene neue Dienste verwenden, etwa das Adressbuch, Kontaktlisten und Dateien. Features können Plug-in-Charakter haben, etwa für Navigation, Bewertung, Daten- oder Profilaustausch. Eine Suche kann beispielsweise auf verschiedene Dienste zurückgreifen, verschiedene Abfrage- und Auswertungsmodi kombinieren, um dann an einer Stelle das zusammengefasste Ergebnis zu zeigen. Schließlich sollten Betreiber und Anwender sich bewusst sein, dass Entwicklungsprozesse nicht abgeschlossen sein sollten. Er sollte vor den Augen der Nutzer stattfinden können. Dabei sollte ihre Nutzung und die Akzeptanz einzelner Features Einfluss auf die Weiterentwicklung haben.

Beachtung sozialer Umgangsformen

Die Beachtung sozialer Umgangsformen ist der zweite Erfolgsfaktor, den es zu berücksichtigen gilt. Dazu gehört es, dass Anwender bei der Einführung und Gestaltung der Dienste eingebunden und beteiligt werden sollten. So können sie Umgangsformen und -regeln in der gemeinsamen Praxis entwickeln. Die Einführung sollte informell über Vorbilder erfolgen, die über die Bereitstellung attraktiver Inhalte und Funktionen weitere Anwender überzeugen. Zu kontextorientierten Umgangsformen gehören etwa die Definition sozialer Etikette bzw. Normen und Rahmenbedingungen für Kommunikation und Interaktion.

Die Belohnung der Nutzer für ihre Beteiligung kann etwa über Karma-Systeme geregelt werden, in denen Bonuspunkte für produktives Verhalten vergeben werden. Mechanismen für Meinungsaustausch müssen etabliert und Streitschlichtungsmechanismen gefunden werden. Fragen der "sozialen Ordnung" müssen dahingehend behandelt werden, dass Anwender Probleme vorbringen können und es soziale Mechanismen zu ihrer Lösung gibt.

Gewinnmaximierung und Beitragsdilemma

Dabei gilt es, Nutzungs- und Beitragsdilemmata zu berücksichtigen: Nutzungsdilemmata treten bei öffentlichen Gütern auf. So kommt die Nutzung dem Einzelnen zugute, etwaige Probleme oder Schäden, die unter Umständen erst später auftauchen, betreffen hingegen alle bzw. werden sozialisiert. Das Dilemma besteht darin, dass das individuell rationale Verhalten der Gewinnmaximierung (Homo oeconomicus) in Konflikt zu einem kooperativen Verhalten steht, mit dem sich Probleme oder Schäden vermeiden ließen. Das Beitragsdilemma (Public Goods Dilemma) betrifft alle User-Generated-Content-Dienste bzw. aus öffentlichen Mitteln finanzierte Dienste. Hier müssen Einzelne etwas zu einem Gut beitragen, damit es geschaffen oder unterhalten werden kann. Gleichwohl können auch diejenigen davon profitieren, die nichts beitragen.

Der dritte Erfolgsfaktor besteht in der sensiblen Ressourcenerschließung und -nutzung. Dazu gehört es, den Nutzern Orientierung zu bieten: Zu viele Möglichkeiten, Informationen zu speichern, ergeben zu viele Orte, an denen man nach Informationen suchen muss, bzw. auch Redundanzen der Quellen. Wichtig sind daher Werkzeuge, die Datenbestände an verschiedenen Orten abgleichen sowie für den jeweiligen Nutzungszusammenhang relevante Daten anzeigen können.

Neue Orientierungssysteme

Die Art und Weise, wie Inhalte erstellt, verändert, gespeichert, beschrieben und mit anderen Inhalten und Urhebern verknüpft werden können, ist ebenfalls wichtig: Nutzer können bestehende Informationen mit Bewertungen oder Schlagworten anreichern. So entstehen zum Beispiel neue Orientierungssyteme über Tagging bzw. Tag-Wolken. Inhalte werden mit verschiedenen Metadaten wie individuell vergebenen Stichwörtern bzw. Tags, Angaben über Datum und Ort, der Sprache, der Domain, der Dateiart oder dem Profil versehen.

Darstellungen können außerdem die Art und Intensität der Nutzung, der Nutzungshistorie und des Rezeptionskontextes widerspiegeln. Dazu zählen etwa die Anzahl und Art der Kontakte sowie Angaben über die Nähe, etwa darüber, wie viele Personen miteinander verbunden sind. Aber auch nutzungsreflektierende Daten wie Ähnlichkeitslisten und Angaben über die Nutzungshäufigkeit, über Veränderungen von Inhalten und Identitäten können zu einer Erschließung von Ressourcen führen.

Lesen Sie nächste Woche im letzten Teil der Serie "Soziales Netz", welche weiteren Erfolgsfaktoren Sie beachten müssen, wenn Sie erfolgreich im Social Web unterwegs sein wollen.

(Christiane Schulzki-Haddouti)