Patentpoker mit Genbausteinen
Durch Craig Venters jüngsten Coup der Herstellung eines künstlichen Organismus sind Gentechnik und Synthetische Biologie wieder in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. ORF.at sprach mit dem Biologen Helge Torgersen vom Institut für Technikfolgenabschätzung der Akademie der Wissenschaften über den zunehmenden Einfluss von IT-Konzepten auf die Gentechnik.
ORF.at: Kürzlich sagte Bill Gates in "Wired", dass er, wenn er heute als junger Mann von vorn anfangen müsste, sicher im Bereich der Biotechnologie arbeiten würde. Synthetische Organismen zu schaffen, sei wie das Programmieren in Maschinensprache, sagte er. Das klingt gleichzeitig wie eine Ermutigung und wie eine Drohung.
Helge Torgersen: Das ist Geschmackssache. Es gab immer Wechselbeziehungen, nicht nur terminologische, zwischen IT und Biologie. Das Konzept des Virus beispielsweise stammt ursprünglich aus der Biologie und wurde in der Informationstechnik übernommen. Diese Übernahmen funktionieren aber auch in die andere Richtung. Venter hat ja zuletzt gesagt, er habe versucht, das von ihm mit einer synthetischen DNA versehene Bakterium mit dem fremden Genom zu "rebooten". Es gibt derzeit das bewusste Bestreben, die Ideen der IT in der Biologie zu verankern. Ich nehme an, das passiert deswegen, weil die IT-Industrie so eine Erfolgsstory ist. Venter ist eigentlich ein Sonderfall. Er nimmt Genome von einfachsten Organismen - Mycoplasma mycoides ist eins der einfachsten Bakterien, die es gibt, eine Art Parasit, der in den Nischen der Zellmembran von anderen Zellen lebt. Es ist extrem reduziert und eignet sich deshalb als Versuchsobjekt, weil es so ein kleines Genom hat. Bis zu zwei, vielleicht drei Kilobasen an Information lassen sich noch handhaben. Bei größeren Genomen wird es dann schon schwieriger. Venter hat seine DNA aus kleinen Bausteinen zusammengesetzt, wobei er für das Zusammenfügen der einzelnen Komponenten wieder andere Organismen, nämlich Hefe, gebraucht hat. Dann hat er das so entstandene Genom genommen und hat es in ein Mycoplasma einer anderen Art – Mycoplasma capricolum – platziert und dann eben "rebooted", also er hat es geschafft, dass sich dieses Bakterium dann von selbst fortgepflanzt hat. Das war der Durchbruch, von dem kürzlich berichtet wurde. Hier ging es darum, ein vollsynthetisches Genom in eine Zelle einzuschleusen und dort zum Laufen zu bringen. Wenn man die Analogie verwenden will: Eine Maschine ihres Programms zu entledigen und ein neues zu installieren. Mehr war es nicht. Das neue Programm kann auch kaum etwas anderes als das alte.
ORF.at: Inwiefern unterscheidet sich die Synthetische Biologie von anderen Ansätzen der Gentechnik?
Torgersen: Manche Wissenschaftler meinen, es gebe da gar keinen Unterschied. Die Protagonisten der Synthetischen Biologie sehen die Besonderheit ihres Felds darin, dass sie versuchen, einen Ingenieursansatz in der Biologie zu verwirklichen. Diese Ingenieursperspektive ist sehr stark problemgeleitet. Sie will eine Art Werkzeugkiste zur Verfügung stellen, mit denen Ingenieure dann beliebig neue Organismen kombinieren können. Auch wenn ich einen Computer zusammenbaue, muss ich nicht die Funktionsweise aller Komponenten bis ins Detail kennen. Ich muss nur wissen, was dieses Teil macht. Das ist insbesondere der Ansatz der Leute, die "Bioparts" oder "BioBricks" herstellen wollen, beispielsweise der MIT-Biologe Drew Endy. Die sind selber Informatiker oder arbeiten sehr stark mit Informatikern zusammen und sind von ihnen beeinflusst.
ORF.at: Wie würden Sie das Ziel der Synthetischen Biologie beschreiben?
Torgersen: Das Ziel besteht natürlich darin, Elemente in einen einfachen Organismus einzubauen, mit denen dieser eine andere Funktion erfüllen kann. Beispielsweise sollen sie künstliche Treibstoffe herstellen oder Medikamente, die man sonst nicht leicht bekommen kann. Als Erfolgsgeschichte wird gern die von Jay Keasling präsentiert, der das Artemisinin hergestellt hat, ein sehr potentes Mittel gegen Malaria. Dabei handelt es sich um einen Stoff, der eigentlich schon ganz natürlich in einer Pflanze vorkommt. Es wird daraus bereits kommerziell gewonnen, es ist aber sehr mühsam zu extrahieren. Keaslings Idee war, das Artemisinin stattdessen in Bakterien oder in Hefe herzustellen, also den Stoffwechselweg, den die Pflanze hat, nachzubauen, um das Mittel so zu synthetisieren, in einen anderen Organismus zu überführen, der leichter handhabbar ist. Das ist auch geglückt, und der Plan wird mit finanzieller Hilfe der Gates-Foundation jetzt auch kommerziell umgesetzt werden und soll unter anderem dazu dienen, dass Länder, die sich das Medikament sonst nicht leisten könnten, im großen Ausmaß damit versorgt werden können. Das gilt bisher als die erste Erfolgsstory der Synthetischen Biologie, was konkrete Anwendungen angeht.
ORF.at: Also funktioniert die Synthetische Biologie bereits.
Torgersen: Das Problem mit dem Artemisinin ist, dass es als Erfolg der Synthetischen Biologie gehandelt wird, aber eigentlich wenig damit zu tun hat, was viele Protagonisten unter Synthetischer Biologie verstehen. Man könnte es vielleicht als fortschrittliche Anwendung der traditionellen Gentechnik bezeichnen, als Extreme Genetic Engineering.
ORF.at: Wie in "Extreme Programming"?
Torgersen: Wieder eine Analogie. Interessant ist auch immer die visuelle Metaphorik. Die Artikel zum Thema werden oft mit dem Schöpfungsakt von Michelangelo aus der Sixtinischen Kapelle illustriert. Und es gibt immer diese Legosteine, aus denen das neue Leben zusammengebaut werden soll. Die BioBricks-Leute verstehen ihre Komponenten auch als Legobausteine, aus denen man dann in beliebiger Kombination etwas Neues bauen kann.
ORF.at: Aber ganz so einfach ist es doch nicht.
Torgersen: Nein. Diese BioBricks funktionieren in vielen Fällen auch nicht so, wie man das glaubt. Da ist schon noch viel Entwicklungsarbeit nötig. Die BioBricks, mit denen bisher experimentiert wird, machen auch teilweise Dinge, die man nicht ernst nehmen kann. Da gibt es welche, die bewirken, dass das Bakterium E. coli nach Bananen riecht. Als Grund dafür haben sie dann angegeben, dass man als Biologie ja so häufig mit dem Zeug arbeitet, dass es wenigstens besser riechen sollte. Das ist ja ein Darmbakterium und stinkt entsprechend. Sie merken, das Ganze hat einen wahnsinnig spielerischen Charakter. Dieses spielerische Element wird auch immer wieder hervorgehoben, das ist ein Aspekt, der auch junge Leute besonders anspricht.
ORF.at: Was sind BioBricks eigentlich?
Torgersen: Die BioBrick-Vordenker bemühen gerne die Analogie zu elektronischen Schaltkreisen. Das Ziel ist es, funktionale Komponenten herzustellen, die wie kleine Black Boxes funktionieren. Das heißt, dass derjenige, der sie verwendet, um etwas damit zusammenzubauen, gar nicht mehr zu wissen braucht, wie die einzelnen Bauteile funktionieren. Er muss nur wissen, was diese können. Im Idealfall sind diese Module versehen mit "Steckkontakten", so dass man sie beliebig kombinieren kann. Und aus diesen Elementen kann man dann bestimmte funktionale Schaltkreise zusammenstellen und diese dann in Organismen einbauen. Diese Organismen muss man sich vorstellen als Bakterien, die aller Dinge beraubt sind, die sie nicht unbedingt brauchen. Also sozusagen Minimalorganismen, die als eine Art Chassis dienen können, auf dem man dann aufbaut und in dem man dann diese Schaltkreise installiert und die dann so funktionieren, wie man sich das am Reissbrett vorgestellt hat. Das ist das Ziel, das Wesentliche an diesem ingenieursmäßigen Ansatz. Ein Ingenieur braucht ja nicht alle Details der Funktionsweise dessen zu kennen, was er benutzt, er muss es nur in der richtigen Art und Weise benutzen, um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen. Das unterscheidet diesen Ansatz von einem wissenschaftlichen Ansatz, bei dem man zumindest gehalten ist, über alles Bescheid zu wissen, was da so passiert.
ORF.at: Sind die BioBricks Elemente, die es in der Natur schon gibt, wie in Venters Experiment, oder müssen die erst von Grund auf neu hergestellt werden?
Torgersen: Die müssen hergestellt werden. Das sind tatsächlich Erfindungen. Die BioBrick-Leute bauen von null auf. Dabei verwenden sie aber auch Elemente, die schon seit langem bekannt sind. Gene aus Mikroorganismen, beispielsweise. Das sind Informationen, die frei zugänglich sind.
ORF.at: Wobei handelt es sich dann dabei? Um Leben? Um Code?
Torgersen: Es sind Bauteile aus Informationen, die dann noch in DNA übersetzt werden müssen, durch DNA-Synthese. Diese Informationen können auch geistiges Eigentum sein. Die Frage ist jetzt, wie man damit umgehen soll. Die BioBrick-Leute plädieren da stark für einen Open-Source-Zugang, so dass im Prinzip jedermann darauf Zugriff hätte. Es gibt auch eine Art von Bio-Hacking-Community, die das im Selbstverfahren anwenden wollen. Da gibt es Gemeinschaften, die sich dem verschworen haben und im Keller oder in der Küche ihre Lebewesen zusammenbauen wollen, in Analogie zu den berühmten Garagen im Silicon Valley, in denen die ersten Heimcomputer zusammengeschraubt wurden. Man emuliert sozusagen das Modell von Silicon Valley. Das Feld der Synthetischen Biologie scheint besonders attraktiv zu sein für junge Forscher. Es gibt einen jährlich stattfindenden Wettbewerb namens iGEM – international Genetically Engineered Machine Competition – der Studentengruppen anzieht, die solche BioBricks fabrizieren, natürlich unter Anleitung von erfahrenen Wissenschaftlern. Die Teilnahmezahl steigt exponenziell von Jahr zu Jahr. Das hat eine ungeheure Dynamik. Die Bedingung dabei ist aber, dass die Ergebnisse, die dabei erzielt werden, quasi in die Werkzeugkiste Eingang finden, so dass sich die nachfolgenden Wettbewerbsteilnehmer daraus bedienen und etwas Neues daraus bauen können.
ORF.at: Das ist wie beim RoboCup.
Torgersen: Genau. Auch hier nimmt man Anregungen aus der IT-Branche auf und versucht, sie auf die Biologie umzulegen.
ORF.at: Inklusive Open-Source-Lizenzen.
Torgersen: Bei den BioBrick-Leuten gibt es, wie gesagt, eine sehr starke Tendenz dazu, die Open-Source-Konzepte auf die Synthetische Biologie anwenden will. Sie wenden sich gegen eine frühzeitige Patentierung von Erfindungen, die dann exklusiv bestimmten Firmen gehören, sondern sie vertreten einen offenen Ansatz, der zwar Patente nicht ausschließt, aber sicherstellen will, dass die Biobausteine frei zugänglich bleiben. Das steht in gewissem Widerspruch zu der Praxis, die heute in der Biotechnologie, insbesondere in der Pharmaindustrie, üblich ist. Dort wird möglichst früh auf exklusive Patente gesetzt, man sieht es als wesentliches Element der Wertschöpfungskette: Ohne Patente keine neuen Medikamente. Die Patente müssen schon ganz früh angemeldet werden, damit die Konkurrenz das nicht tut. Das geistige Eigentum muss quasi schon geschützt werden, wenn es von der Laborbank hüpft. Wirklich teuer ist dann übrigens weniger die Patentanmeldung als vielmehr die klinische Prüfung. Da gibt es also eine Spannung, die nicht leicht aufzulösen ist. Es gibt verschiedene Ansätze, wie mit dem umzugehen ist, aber es ist zu bemerken, dass das ein sehr, sehr großes Thema ist und dass es auch zu gewissen Konflikten innerhalb der Community führt. Patente sind zunächst einmal kostspielig. Und die BioBrick-Leute müssen zum Teil mit extrem wenig Geld auskommen. Das ist auch ein Ziel, um den breiten Zugang zu ermöglichen, im Rahmen dieser Start-up-Kultur. Wenn da etwas patentiert werden würde, würde das die Zugangskosten gewaltig erhöhen. Da ist viel Geld im Spiel. Die iGEM-Leute wollen auch kein Geld von der traditionellen Pharmaindustrie nehmen. Das ist so ein bisschen Anti-Konzern-Attitüde. Man will nicht abhängig werden.
ORF.at: Der technische Aufwand für dieses Spiel scheint sich in Grenzen zu halten.
Torgersen: Das geht, im Prinzip, in jedem besseren Schullabor. Es gibt eine Schule im Salzburgerland, die haben im Rahmen eines Schulprojekts ein Protein eine nicht in der Natur vorkommende Aminosäure eingebaut. Die haben dafür einen Preis bekommen, vom Bundesministerium.
ORF.at: Wie sieht Open Source in diesem Bereich eigentlich konkret aus? Gibt es ein Biotech-Pendant zur GNU Public License?
Torgersen: Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Das Problem liegt unter anderem auch darin, dass die Analogie zur Elektronik begrenzt ist. Biologisches Material funktioniert eben nicht so wie elektronische Bauteile. Außerdem haben wir es hier auch mit dem Pharmabereich zu tun. Und da herrschen nun einmal eigene Gesetze. Software und Pharma sind zwei sehr verschiedene Industrien, die jeweils ihre eigenen Regeln haben. Ich möchte mich da nicht festlegen, in welche Richtung das gehen könnte.
ORF.at: Es gibt die Forderung, dass es keine Patente auf Leben geben dürfe. Gilt die auch für BioBricks?
Torgersen: Die Formel "Keine Patente auf Leben" ist zunächst einmal ein moralischer Appell. Und als solcher hat er mit der kommerziellen Realität recht wenig zu tun. Die Frage ist wirklich, was Leben ist und wie man das definiert. Die Diskussion, inwieweit DNA-Sequenzen patentierbar sind oder nicht, die füllt mittlerweile Bibliotheken. Patente sind eine wesentliche Grundlage dafür, dass überhaupt Medikamente entwickelt werden. Dass die Patente in der Forschung manchmal sehr lästig sind und das Anwaltsbüro gleich wichtig wird wie das Labor, ist auch klar. Forscher beklagen sich darüber, dass Patente angestrebt werden, ohne dass diese jemals verwendet werden. Es geht nur darum, etwas in der Hand zu haben, das man dann eintauschen kann.
ORF.at: Es gibt doch auch in der Synthetischen Biologie einige Basisverfahren, ohne die überhaupt nichts geht. Sind die patentiert?
Torgersen: Die wichtigsten Technologien sind die DNA-Sequenzierung und -Synthese, aber die sind nicht spezifisch für die Synthetische Biologie. Da gibt es natürlich jede Menge Patente. Bei den Techniken, die für die Synthetische Biologie spezifisch sind, geht die Tendenz dahin, alles freizustellen, was für Grundlagenforschung notwendig ist, und in dem Augenblick, in dem eine kommerzielle Anwendung in Sicht ist, den Patentschutz anzustreben. Nur reproduziert das dann die fiktionale Unterscheidung zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Die Tendenz in den letzten 15 Jahren geht ja dahin, das Ganze als Technoscience oder was auch immer zu betrachten. Da hat eine solche Unterscheidung keinen Sinn mehr. Man kann bezweifeln, ob es sinnvoll ist, diese Unterscheidung wieder neu erfinden zu wollen. Einige Grundbausteine freizustellen und alles, was dann besonders ist, unter Schutz zu stellen, ergibt eigentlich auch keinen Sinn. Was ist dann besonders? Das kann sich ja sehr schnell ändern. Entweder, man patentiert es, oder man patentiert es nicht. Und dann freizustellen, was viele Menschen brauchen - vom Patentinhaber her ist das sinnlos, weil erst dann die Gebühren anfallen würden. Es ist widersprüchlich.
ORF.at: Die Kulturen der Informatiker und der Biologen geraten in mehrerer Hinsicht aneinander. Die Biologen sind aber bei ihrer Arbeit auf Software angewiesen. Dreht das deren Arbeit dann in eine gewisse Richtung? So wie man manchmal merkt, dass die Arbeit eines Grafikers von bestimmten Funktionen in Photoshop beeinflusst wird?
Torgersen: Naja, das ist jetzt eine andere Frage. Bisher ging es in unserem Gespräch ja um die Informationsverarbeitung durch biologische Systeme, also durch DNA, RNA, etc. Was Sie ansprechen, ist das Handwerkszeug der Leute, die sequenzieren oder die in der Systembiologie Modelle von Vorgängen in Zellen bauen. Das können sie nur, wenn sie die entsprechenden elektronischen Hilfsmittel an der Hand haben. Dazu braucht man entsprechende Software und die Kenntnisse, damit umgehen zu können. Das ist inzwischen schon so weit gediehen, dass man eigentlich schon eher Informatiker sein muss als Biologe, um damit umgehen zu können. Diese Spannung zwischen der Informatik und der Biologie, zwischen zwei Fachgebieten, die verschieden ticken, ist nicht neu. Die gibt es, seit Computer in biologischen Labors Einzug gehalten haben. Einerseits gibt es Biologen, die nicht so gut mit Computern umgehen können, andererseits kommen viele Informatiker nicht mit der Fuzziness, also mit der Unschärfe zurecht, die im Umgang mit biologischem Material alltäglich ist. Sie wollen saubere Daten haben, mit denen sie arbeiten können und werden dann fürchterlich böse, wenn die Biologen das ihnen nicht liefern können. Die Biologen liefern zu dem Material Interpretationen mit, ohne die aber ein biologischer Befund keinen Sinn ergibt. Inzwischen sind die Konflikte nicht mehr so scharf, man hat sich aneinander gewöhnt. Aber es ist immer noch ein Problem, dass die Anforderung an die Daten und das Konzept dessen, was Evidenz ist, von Informatikern und Biologen unterschiedlich gesehen wird.
ORF.at: Und das bezieht sich dann nicht nur auf die Software, sondern auch auf die Forschung direkt.
Torgersen: Einige Leute behaupten, dass die Komplexität in der Synthetischen Biologie so groß sei, dass man nicht alle Parameter unter Kontrolle haben könne. Natürlich gibt es das auch bei großen Projekten im IT-Sektor, aber im biologischen Bereich ist das schon sehr bald so. Und wenn man sich diese Artemisinin-Geschichte anschaut, dann handelt es sich dabei vielleicht um ein Dutzend Gene, die da übertragen worden sind und die miteinander zum Laufen gebracht werden müssen. Und das hat schon 30 Personenjahre gekostet. Da kann man sich vorstellen, wie das wird, wenn es ganze komplexe Organismen betrifft, die man da konstruieren will. Daher meinen etliche Leute, die Naivität, mit der die Synthetischen Biologen an die ganze Sache herangehen, kommt wahrscheinlich daher, dass sie die IT-Welt gewohnt sind und mit der biologischen Welt noch nicht so richtig in Kontakt sind. Den BioBrick-Leuten wird auch gerne vorgeworfen, dass sie recht wenig in Fachzeitschriften mit Qualitätskontrolle nach dem Peer-Review-Prinzip publizieren, also sich der Kritik durch andere Fachleute aussetzen. Daher, so die Kritiker, sei das keine Wissenschaft, sondern nur Spielerei. Das liegt vielleicht auch daran, dass den Ingenieuren der Peer Review relativ egal ist. Wenn es funktioniert, dann funktioniert es. Das sind eben die unterschiedlichen Kulturen.
ORF.at: Also der alte Ansatz des genialen Bastlers.
Torgersen: Man probiert was aus. Diese Geschichte mit dem Spielen, die hat durchaus eine größere Bedeutung. Insbesondere im europäischen Kontext ist es ein Anliegen, die Ernsthaftigkeit zu unterstreichen. Zu sagen: Wir haben ein ernsthaftes Interesse, wir wollen Probleme lösen. Das mag auch daran liegen, dass viele Leute Angst davor haben, was die Öffentlichkeit denkt. Das ist ein Motiv, dem man sehr häufig begegnet, wenn man mit den Leuten aus der Szene redet, speziell in den USA. Da ging es auf großen Kongressen neben den Patentfragen auch um Sicherheitsbedenken wie "Intentional Misuse", vulgo: Terrorismus. Man will vermeiden, in einer ähnlichen Ecke zu landen wie die Gentechniker.
ORF.at: Ist die Angst berechtigt?
Torgersen: Synthetische Biologie ist leicht moralisierbar. Sie ruft Emotionen hervor, allein durch den Aspekt des Erschaffens von Leben. Die Leute sehen auch keinen großen Unterschied zwischen der Synthetischen Biologie und herkömmlicher Gentechnik - viele Wissenschaftler sehen den übrigens auch nicht. Wir haben das mal mit Hilfe von Fokusgruppen und Presseauswertung untersucht. Dabei hat sich gezeigt, dass wenn man den Leuten was über Synthetische Biologie erzählt, diese relativ rasch bei der Gentechnik eingeordnet wird. Interessanterweise wird sie auch nicht als neu empfunden. Das geht sogar so weit, dass die Leute erstaunt waren, dass man noch nicht Organismen künstlich herstellen kann, weil sie dachten, dass das schon seit 20 Jahren möglich sei. Die Versprechungen der Synthetischen Biologie wurden schon in der Populärkultur vorweggenommen, etwa in der Science Fiction.
ORF.at: Aber man ist noch nicht so weit. Das erinnert mich an den Internet-Hype.
Torgersen: Das ist alles noch im Stadium der Grundlagenforschung. Darum ist es ja auch so paradox, dass heute schon die Anwendungen im Vordergrund stehen. Wenn Sie die Zeitung aufschlagen, dann sagt da Herr Venter, dass er morgen die Energieprobleme der Welt lösen wolle, mit Hilfe von künstlichen Organismen. Das sind Projektionen, die vielleicht in 20 Jahren relevant sein könnten. Aber das ist ganz weit weg. Die erste Konferenz zur Synthetischen Biologie hat 2003 stattgefunden. Das ist ein Kind dieses Jahrtausends. Das Feld ist zwar sehr dynamisch, aber derzeit noch kleiner als das der Systembiologie oder der Bioinformatik. Es ist wesentlich weniger prominent in der Wissenschaft als in den Medien. Warum das so ist, hängt eben auch damit zusammen, dass es da ein paar Protagonisten gibt, die ein sehr großes Ego haben. In letzter Zeit hat sich auch in der Biologie eine Kultur des Hypes breitgemacht.
ORF.at: Um wieder zum Anfang zurückzukommen. Ich habe Bill Gates so verstanden, dass er das Intel der Gentechnik kurz vor der Gründung sieht.
Torgersen: Nur finden angekündigte Revolutionen selten so statt. Mein Eindruck ist, dass nicht nur bestimmte Verhaltensweisen wie Haltungen gegenüber geistigem Eigentum von der IT in die Biologie übernommen werden, sondern auch Erwartungen. Das Moore'sche Gesetz beispielsweise wird auch auf die Geschwindigkeit und Kosten von DNA-Synthese angewandt - und es passt auch noch! Man hat immer das Beispiel IT-Industrie vor sich und legt das dann auf die Biologie um. Das führt einerseits zu der Erwartung, dass da eine große Revolution stattfinden wird und andererseits auch zu der Angst, dass man irgendwas versäumen könnte. Das Next Big Thing darf keiner verpassen. Auch wir hier stricken an diesem Hype mit, auch wenn wir nicht direkt am Entwicklungsprozess beteiligt sind. Wir versuchen immer, die Zukunft links zu überholen und antizipieren dann Dinge, von denen wir nicht wissen, ob man sie jemals erreichen wird. Und wir tun so, als ob das schon sicher wäre. Dabei sind das ja nur Hirngespinste. Wenn man das macht, dann braucht man sich nicht darüber zu wundern, dass es ähnlich läuft wie in der IT-Branche. Dass man eine Blase generiert. Die Volkswirtschaften haben lange gebraucht, sich von der Dotcom-Blase zu erholen. Meines Erachtens sollten wir aufpassen, dass es bei der Synthetischen Biologie nicht zu einer ähnlichen Bubble kommt. Nicht, dass ich jetzt unmittelbar eine Gefahr dafür sehen würde, aber es gibt schon bestimmte Verhaltensweisen und bestimmte Strategien von Akteuren, die das Ganze in diese Richtung treiben. Wenn man sich die Entwicklung in der Synthetischen Biologie in den letzten fünf Jahren ansieht, dann ist das schon sehr schnell aus seiner Freak-Ecke herausgekommen - und heute landet es auf dem Cover des "Economist".
(futurezone/Günter Hack)