ICANN-Chef gegen zu viel Regierungseinfluss
Rod Beckstrom, CEO der Internet-Adressverwaltung ICANN, hat Forderungen nach mehr Einfluss nationaler Regierungen auf das Management des Netzes zurückgewiesen. Vielmehr sollten alle Interessengruppen dabei mithelfen, die anstehenden Probleme in der Netzverwaltung zu lösen.
In seiner Eröffnungsrede zur ICANN-Regionalkonferenz am Montag in Brüssel evozierte Beckstrom ausgerechnet den Surrealismus. Unter Hinweis auf das berühmte Gemälde "Der Verrat der Bilder" ("Ceci n'est pas une pipe") des Belgiers Rene Magritte forderte er seine Zuhörer - angesagt waren unter anderen EU-Ratspräsident Herman van Rompuy und IT-Kommissarin Neelie Kroes - dazu auf, ihre Vorurteile über die ICANN zu prüfen.
Dazu gehörte, so Beckstrom, die Auffassung, dass es sich bei der ICANN um eine von den USA kontrollierte Organisation handle, die nach innen gewandt sei und sich nur um technische Detailfragen kümmere.
Beckstrom bemühte sich, diese Ansichten zu ändern. Die ICANN sei eine multinationale Institution, die für das Gemeinwohl arbeite. Als Beweis für den internationalen Charakter seiner Organisation zog der ICANN-Chef die Einführung der Internationalen Domain-Namen (IDNs) heran, also der Top-Level-Domains in nicht-lateinischen Schriften. Diese deckten bereits 19 Sprachen mit nicht-lateinischen Zeichensystemen ab.
Auf die Einführung der stark umstrittenen neuen generischen Top-Level-Domains (gTLDs), die Orts- und Markennamen wie .wien und .bmw abdecken sollen, ging Beckstrom nur kurz ein. Man habe im Mai einen neuen Entwurf für die Richtlinien zur Anmeldung zur Debatte gestellt, der unter anderem neue Mechanismen zum Schutz von Marken und Ortsnamen enthalte.
Community statt Regierungskontrolle
Den Forderungen Chinas und einiger Stimmen aus EU-Kreisen nach mehr Macht für nationale Regierungen in den Entscheidungsprozessen rund um das Internet-Adresssystem erteilte Beckstrom eine Absage. Die ICANN berücksichtige bereits sämtliche Interessengruppen, einige Gruppen würden versuchen, ihre eigenen Ziele auf Kosten der anderen durchzusetzen.
Andere Institutionen wie die ITU, die Telekomorganisation der UNO, seien nun einmal von den Regierungen kontrolliert. Vor allem die chinesische Regierung hätte gern, dass sich die ITU um die Aufgaben der ICANN kümmern soll. Die Regierungen haben bereits eine eigene Unterorganisation in der ICANN.
Man wolle dafür sorgen, dass sich alle Interessengruppen einbringen könnten, und Falschinformationen über die Funktionsweise der ICANN ausräumen, bis das Thema Internet-Verwaltung in der UNO-Generalversammlung ab September debattiert werde, so Beckstrom. Als Zeichen der Transparenz habe die ICANN am Montag ein neues Wiki gestartet, in dem alle Entscheidungen des Vorstands eingesehen und im Volltext durchsucht werden könnten. Derzeit sind dort alle Entscheidungen aus dem vergangenen Jahr einsehbar, die Datenbank soll weiter ausgebaut werden.
Root-Server und Sex-TLD
Einen längeren Abschnitt seiner Rede widmete der ICANN-Chef der Sicherung des Domain-Name-Systems. So wies er darauf hin, dass die Organisation derzeit dabei sei, die Root-Server, also das "Herz" des DNS, zu signieren. Die ICANN kooperiert hier mit dem US-Technologieunternehmen VeriSign. Man sei auch hier auf die Wünsche und Rückmeldungen aus der ganzen Welt eingegangen.
Beckstrom erwähnte eine Reihe weiterer Aktivitäten der ICANN im Bereich Online-Sicherheit, beispielsweise den internationalen Dialog mit Sicherheitsteams (CERTs). Man müsse "bis zum Äußersten" gehen, um die "lebenswichtige öffentliche Ressource" Internet zu schützen.
Durchaus surreal mutet inmitten dieser wichtigen netzpolitischen Themen Beckstroms Hinweis darauf an, dass sich der ICANN-Vorstand in dieser Woche abermals mit dem Antrag auf die bereits 2004 beantragte Sex-gTLD .xxx befassen wolle. Die ICANN hatte den Vorstoß zuletzt 2009 abgelehnt, weil damit auch Fragen der Kontrolle von Inhalten verbunden seien. Im Februar 2010 hatte ein im Rahmen eines Schiedsverfahrens erstellter Bericht unabhängiger Gutachter dem Vorstand aber empfohlen, sich nochmals mit dem Thema auseinanderzusetzen.