© Günter Hack, Peter Glaser über Mind Machines

Hirnhilfen für Brain-Bodybuilder

ARCHÄOLOGIE
10.07.2010

Mit dem Computer war bereits eine Art von Intelligenzmaschine auf dem Vormarsch, aber in den 80er Jahren schien das nicht mehr auszureichen. Nun sollte auch die Geistesleistung auf direktem Weg maschinell angekurbelt werden - unterstützt von Mindmachines und Brainfood. Teil neun der futurezone.ORF.at-Serie "Digitale Trichtergrammophone" von Peter Glaser.

1986 veröffentlichte der amerikanische Autor Michael Hutchison ein Buch, das die Neuronen sprießen lassen sollte: "Megabrain" löste eine weltweite Gehirn-ist-geil-Welle aus. Grundidee des Ganzen war, die Prinzipien von Fitness und Leistungssport auf unseren Denkmuskel zu übertragen. Die Vorreiter der Idee riefen eine bevorstehende Intelligenzrevolution aus. Flankiert wurde das Vorhaben durch verschiedenartige kleine Apparate, mit denen man gewissermaßen Gehirnwellen-Liegestütze und Bewusstseins-Sit-ups machen können sollte: die Mindmachines.

Es war das Jahr, in dem Michail Gorbatschow dem Westen den Vorschlag unterbreitete, bis zum Jahr 2000 sämtliche Atomwaffen abzurüsten. Die Firma Atari hatte gerade den ST auf den Markt gebracht, einen Computer mit eingebautem Diskettenlaufwerk und einem damals unfassbar großen Hauptspeicher von einem ganzen Megabyte. Derartige Leistungen kluger Strategen und Ingenieure sollten jedoch angesichts der Verheißungen eines Neuronalturbos für jedermann in den Hintergrund rücken.

Zur Person:

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Der Bachmann-Preisträger lebt als Schreibprogramm und Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs in Berlin. In seiner futurezone-Serie "Digitale Trichtergrammophone" erinnert er an obsolete Gerätschaften und Technologien.

Brainwave-Skibrillen für den mentalen Abfahrtslauf

Gehirnwellen lassen sich nicht nur messen, sondern auch beeinflussen: Das kann durch einen visuellen und einen akustischen Reiz, durch Neurofeedback - eine Spezialform des Biofeedbacks - sowie durch direkte Veränderung der Gehirnwellen mittels elektrischer Felder geschehen. Die Geräte, die damals auftauchten, profitierten von den Fortschritten der Mikroelektronik. Wofür wenige Jahre zuvor noch ein Riesenhaufen Elektronik nötig gewesen war, reichten nun zigarrenkistengroße Kästchen und modifizierte Skibrillen, in denen Leuchtdioden angebracht waren.

Die Leuchtbrille und ein Kopfhörer wurden an das Kästchen angeschlossen, eines der voreingestellten Ablaufmuster ausgewählt, und los ging's in die neue Welt der zerebralen Wunder. Es war ein bisschen wie Autobahnfahren in der Nacht: Man sah rote Lichter und es brummte.

Entspannen mit Maschinen

Über die Wirkungen der Stimuliergeräte gab es eine Reihe von kleinen Studien. Viele Benutzer reagierten auf die optische und akustische Stimulation mit Wohlgefühl und Entspannung. Die Preisgestaltung der Geräte zielte auf Besserverdienende, die auf möglichst effiziente Weise zu relaxen versuchen und nebenbei Modernität zum Ausdruck bringen wollten.

Bald stellte sich heraus, dass die Entspannungseffekte weniger von der Mindmachine kamen, als vielmehr davon, dass man sich der Maschine als Anlass bediente, um eine Viertelstunde Ruhe zu geben. Man würde sich genauso entspannen, wenn man sich ohne Mindmachine hinlegt. Aber das wäre nicht so innovativ gewesen.

Frankie says: Relax!

1929 hatte der deutsche Neurologe Hans Berger das Elektroenzephalogramm entwickelt, mit dem sich elektrische Potenzialschwankungen an Elektroden messen ließen, die am Schädel angebracht sind. Die Frequenzkurven weisen auf unterschiedliche Arten des Bewustseinstonus wie "wach", "schlafend", "gestresst" und "entspannt" hin. In der Medizin werden EEGs etwa bei der Bestimmung der Narkosetiefe, des Hirntods und in der Schlafmedizin eingesetzt.

1967 brachte der amerikanische Mediziner M. Barry Sterman Katzen bei, ihre EEG-Wellen zu modifizieren und entdeckte später durch Zufall, dass die trainierten Katzen resistent gegen epileptische Anfälle waren. Seither gibt es Leute, die glauben, dass EEG-Wellentraining und Neurofeedback die Fähigkeiten des Gehirns verbessern können. Seit über vierzig Jahren wird damit experimentiert, bisher blieb es bei vagen Hinweisen auf mögliche Wirkungen. Einen Nachweis dafür gibt es immer noch nicht. Aber Experimentieren schadet ja nicht.

Hackin' the Brain

Dann rief mich jemand an, der verschiedene in den USA erhältliche Mindmachines und Brainstimulators nach Europa importierte. Er fragte, ob ich nicht etwas für seinen Katalog dazuschreiben wollte und ich sagte, ich würde mir gern erst einmal welche von diesen Maschinen ansehen und sie ausprobieren. Ich werde nichts kaputtmachen, sagte ich, aber ich werde sie auch aufschrauben. Zwei Wochen später kamen die Mindmachines und ich holte ein paar Freunde aus dem Chaos Computer Club dazu.

Eine der unausgesprochenen Verlockungen der Technologie war die Vorstellung, es würde sich um so etwas wie elektronische Drogen handeln. Gehirnstromaufgepeitschte Jungunternehmer planten, in der Art von Sonnenstudios Brainstudios einzurichten, wo man nebeneinander in der Nährlösung liegen und sein Gehirn geschmeidig halten konnte. Wir opferten uns der Forschung und versuchten herauszufinden, was von den "Joints zum Einschalten" zu halten sei: wenig. Dann die Hardware-Autopsie. Im Inneren ein billiger Soundchip, der Geräusche hervorbrachte, die mit viel gutem Willen als Wind und Brandungsrauschen durchgehen konnten, dazu ein Eprom, auf dem die verschiedenen abrufbaren Lichtmuster gespeichert waren. Hardware von gestern zum Preis von übermorgen.

Bodybuilding für die Großhirnrinde

Das Ganze gab es auch in einer essbaren Variante: Brainfood. Dabei handelte es sich um eine konsequent amerikanische Erfindung. Die Botschaft lautete: DENKEN ist das heißeste Ding seit der Erfindung der wassergefüllten Hohlhantel. Nachdem immer größere Teile der zermürbenden Geistesarbeit in Computer ausgelagert werden, müssen die dadurch im menschlichen Denkmuskel entstehenden Freistellen gefüttert werden, wie man das im Schneiderhandwerk nennt.

Instantpulver aus Vitaminüberdosen, die aussehen wie eine Mischung aus Wüstensand und Persil, schützen angeblich vor radioaktiven Strahlen, steigern Intelligenz und Potenz und verschaffen dem Konsumenten bereits nach wenigen Minuten ein erleichtertes Gefühl in der Brieftaschengegend.

Selbst eingeweckt

Brainfood gab eine überzeugende Antwort auf die Frage, weshalb sich Ziegelsteine noch nicht als Nahrungsmittel durchgesetzt haben (weil ihr Vitamingehalt zu gering ist). Wie wird man 100 Jahre alt? Man lässt die Lebensmittel weg und isst nur noch die Konservierungsstoffe. Was nötig ist, jemanden davon zu überzeugen, dass man Entfremdung essen kann, zeigten die Brainfood-Propagandisten Durk Pearson und Sandy Shaw in ihren Ratgeber-Bestsellern zum Thema Lebensverlängerung.

Ein Aspekt, der gern hervorgehoben wurde, war die "Psychoaktivität" der Mittel. Dass die im Schrifttum der Brainfood-Freunde verbreitete Auffassung von Intelligenz als eine Art mentale Motorleistung mit Klugheit so viel zu tun hat wie vier Räder Käse mit einem Auto, durfte man nicht zu eng sehen. Ein eigens eingerichtetes Netzwerk ("LifeNet") versorgte die Brainfooder mit einer überzeugungsähnlichen Grundausstattung, deren Lieblingsworte "Neurotransmitter" und "freie Radikale" waren.

Marvin Minsky, einer der Väter der Künstlichen Intelligenz, weiß schon lange, dass die Geisteskräfte nicht von der Nahrung allein herausgefordert werden. Das Essen muss ein Geheimnis haben. Als Beispiel führt er an, weshalb Hacker so gern Chinesisch essen - "weil sich die Speisen kryptisch anhören, und weil sie durchnummeriert sind".

(Peter Glaser)