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Googles Relevanz für die Wissenschaft

SUCHE
20.07.2010

Die stichwortartige, oft sekundenschnelle Google-Suche hat sich nicht nur in den Alltag von Millionen Menschen eingeschlichen, sondern auch die Suchpraxis in der Wissenschaft verändert. Das zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung. ORF.at sprach mit einem der Autoren über die Gefahren und den Nutzen, den die vermeintlich einfache Websuche für die Forschung und Lehre mit sich bringt.

Der US-Internetdienstleister Google dominiert seit geraumer Zeit den Suchmaschinenmarkt. Laut der Webanalysefirma Net Applications lag der weltweite Marktanteil im Juni 2010 bei fast 85 Prozent.

Auch in der Wissenschaft und an Universitäten kommt die webbasierte Suche häufig zum Einsatz. Dabei entstehen allerdings Probleme, die nicht jedem Wissenschaftler und Studenten gleichermaßen bewusst sind. Während die erzielten Ergebnisse der Google-Suche für den alltäglichen Universalgebrauch ausreichend sein mögen, zählen in der Wissenschaft andere Relevanzkritieren. Das Hierarchisierungsprinzip des Websuchanbieters basiert vor allem auf Hyperlinks, die im Netz prinzipiell von jedem gesetzt werden können.

Zur Person:

Rene König ist wissenschaftlicher Assistent am Wiener Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er arbeitet am Forschungsprojekt Interactive Science der VW-Stiftung. König hat zusammen mit Michael Nentwich im Rahmen des Projekts Interactive Science einen Bericht zum Thema Google, Google Scholar und Google Books in der Wissenschaft verfasst.

Zudem findet Google viele akademische Inhalte und wissenschaftliche Publikationen nicht, da diese oft passwortgeschützt sind oder in nicht alltäglichen Dateiformaten abgespeichert sind. Zwar schafft hier der eigens entwickelte Suchdienst Google Scholar etwas Abhilfe, aber der Dienst befindet sich nach mehreren Jahren immer noch in der Beta-Phase und kann höchstens als zusätzliches Angebot am Markt verstanden werden.

ORF.at sprach mit Rene König, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter am Wiener Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), über die Schwierigkeiten junger Wissenschaftler und Studenten, in diesem Kontext zwischen relevanten und irrelevanten Inhalten zu unterscheiden.

ORF.at: In Ihrer Studie haben Sie gewisse Problemfelder angeschnitten, die die Google-Suche für die Wissenschaft mit sich bringt. Entscheidend ist hier vor allem das Hierarchisierungsprinzip von Google, das vorwiegend auf dem Page Rank beruht.

Rene König: Ganz genau. Das Problem bei der Hierarchisierung ist, dass die Relevanz, die Google herstellt, nicht unbedingt die ist, die im Wissenschaftssystem besteht. Gerade für den Nachwuchs ist es oft schwierig, einzuschätzen, welche Suchergebnisse jetzt relevant sind. Viele Studenten und Wissenschaftler wissen nichts darüber, wie Google funktioniert und wie die angezeigten Suchergebnisse zustande kommen. Das Funktionsprinzip läuft auf eine Indexierung von Laien hinaus. Das Haupthierarchisierungsprinzip ist der Page Rank, der auf Verlinkungen beruht. Links können allerdings von jedem gesetzt werden, nicht nur von Experten. Entsprechend ergibt sich dann ein Ranking, das nicht dem Hierarchisierungsprinzip der Wissenschaft entspricht.

ORF.at: Was für Auswirkungen hat die Google-Suche auf die Wissenschaft?

König: Wirklich langfristige Auswirkungen lassen sich an dieser Stelle noch nicht abschätzen. Um globale Aussagen zu treffen, ist es noch zu früh. Chinesische Wissenschaftler haben in einer Studie etwa angegeben, dass sie Google jeden Tag nutzen würden und es essentiell für ihre Arbeit sei. Es gibt auch einige Feststellungen zur jetzigen Situation in Europa. Da ist etwa von einer "Vergoogelung" der Universitäten die Rede. Viele Lehrende beschweren sich, dass Studenten nur noch bruchstückhafte Informationen wiedergeben oder nicht in der Lage sind, die Information richtig zu bewerten, die sie bekommen.

ORF.at: Sie haben auch eine Studie zitiert, die besagt, dass von britischen Studenten an Universitäten die Suchmaschine von Google häufig als erste Quelle benutzt wird.

König: Studenten, aber auch Wissenschaftler sind es aus dem Alltag gewöhnt, Google zur Suche von bestimmten Begriffen zu verwenden, also zu "googeln". Dabei ist allerdings nicht nur die Nutzung der Suchmaschine Google das Problem, sondern die Art und Weise, wie dabei vorgegangen wird. Man ist gewohnt mit einem Stichwort sofort und schnell Ergebnisse zu bekommen. Auch die Art, wie man Suchbegriffe eingibt, zählt dazu. Zum Beispiel gab es eine vergleichende Studie unter Studenten, die mit Google Scholar und dem Suchdienst MetaLib gearbeitet haben. Hier wurde beobachtet, dass diese bei der Nutzung von MetaLib teilweise Suchvorgänge abgebrochen haben, wenn es ihnen zu lange gedauert hat. Die Studenten waren es von der Google-Suche gewohnt, dass ihnen sehr schnell ein Ergebnis angezeigt wird und dachten bei MetaLib daher, dass etwas nicht funktionieren würde. Ein anderes Beispiel ist etwa die Autokorrektur von Google. Wenn man einen Begriff falsch eingibt, korrigiert Google diesen automatisch. Das können andere Suchsysteme eben nicht und dementsprechend kommt es zu Problemen.

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ORF.at: Sind wir etwa alle schon zu verwöhnt von dieser einfachen Art der Suche im Web?

König: Diese Einfachheit täuscht eigentlich. Google nimmt uns zwar einiges ab, aber das ist auch ein Problem, weil wir nicht sehen, was Google dabei im Hintergrund macht. Man müsste über diese Vorgänge, die uns einfach vorkommen, eigentlich mehr wissen, um entscheiden zu können, was dabei eigentlich passiert und was für Auswirkungen das auf den einzelnen Suchvorgang hat. Wir wollen alle schnell zu Informationen kommen, die uns weiterhelfen. Das ist allerdings ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist es vorteilhaft für uns, wenn uns Interpretationsschritte abgenommen werden und wir effektive Ergebnisse gelistet bekommen, auf der anderen Seite bedeutet dies auch eine Vorselektion, die wir vielleicht gar nicht wollen. Das Problem ist außerdem, dass sich Nutzer kompetent fühlen, da sie Google aus der Alltagspraxis kennen und jeden Tag Suchvorgänge durchführen und dabei meist effektive Ergebnisse erzielen. Sie kommen an Informationen, die ihre Fragen beantworten. Dadurch haben sie das Gefühl, dass sie diese Praxis kompetent beherrschen. Das ist aber oft nicht so. Wenn Menschen danach gefragt werden, zeigt sich oft, dass sie nicht viel über die Hintergrundprozesse wissen. Diese Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung und der tatsächlichen Kompetenz ist problematisch. Das betrifft Leute, die sich mit dem Thema intensiver befasst haben, genauso. Wir haben vielleicht ein bisschen mehr Einblick darüber, aber die tatsächliche genaue Zusammensetzung der Darstellung der Suchergebnisse ist ein Firmengeheimnis von Google.

ORF.at: Würde es trotzdem etwas nützen, wenn die Google-Suche mitsamt ihren Möglichkeiten und Grenzen, die damit verknüpft sind, ein eigenes Einführungsfach an der Uni wäre?

König: Ja, das wäre absolut notwendig und sinnvoll, sollte aber schon vor der Universität anfangen. Ich würde es allerdings nicht auf Google alleine fokussieren, es gibt ja diverse Informationsanbieter. Es wäre sicherlich falsch, wenn man als Bibliothek nur den eigenen Dienst vorstellt, aber Google ignorieren würde. Google wird einfach genutzt und daher wäre es auch für Bibliotheken sehr wichtig, darauf einzugehen, was ja teilweise schon geschieht. Man darf die Erwartungen an Aufklärungsprogramme allerdings auch nicht überstrapazieren. Selbst wenn man dies als Fach in der Schule anbieten würde, kann man nicht davon ausgehen, dass es automatisch bei den Schülern richtig ankommt. Es wäre auch zu klären, ob es denn überhaupt die eine Form "richtiger" Medienkompetenz gibt. Ich glaube allerdings schon, dass es ein Schritt in die richtige Richtung wäre, hier mehr Aufklärung zu betreiben angesichts dessen, wie wichtig diese Suchpraxis ist und wie wenig darüber eigentlich bekannt ist.

ORF.at: Ein weiteres Problem, das Sie in Ihrer Studie angeschnitten haben, hat mit dem "Deep Web" zu tun. Nicht alle wissenschaftlichen Inhalte werden von Google gefunden.

König: Ja, es gibt im Web Bereiche, die von den Webcrawlern der Suchmaschine nicht erfasst werden. Dafür gibt es diverse Gründe. Manche Dokumente sind passwortgeschützt, manchmal wird das Dateiformat nicht richtig erkannt und kann deshalb nicht erfasst werden. Im akademischen Bereich ist dies sehr oft der Fall, daher kann man davon ausgehen, dass sehr viele Papiere von Google nicht erkannt werden. Google hat darauf aber selbst reagiert mit der Einführung von Google Scholar. Dieser Dienst wurde explizit für das Auffinden von wissenschaftlichen Publikationen entwickelt und hat gegenüber den einfachen Webcrawlern den Vorteil, dass auch Kooperationen mit Verlagen und Bibliotheken entstanden sind, sodass der Index um diese Quellen erweitert werden konnte. Teilweise werden auch bei der normalen Websuche Ergebnisse von Google Scholar schon eingebunden. Doch selbst Google Scholar ist kein wirklicher Ersatz für andere Dienste.

ORF.at: Ist Google Scholar trotzdem eine Konkurrenz für Uni-Bibliotheken?

König: Ja, ganz sicher. Von Bibliothekaren wird Google Scholar sehr stark kritisiert. Gewisse Dokumente werden nicht indexiert und Metadaten werden oft nicht richtig erfasst. Dies hat dann wiederum einen Einfluss auf das Ranking und manche Beiträge werden nicht angemessen eingereiht.

ORF.at: Was könnten Bibliotheken tun, um wieder mehr genutzt zu werden?

König: Das ist eine schwierige Frage. Da fällt mir ein Beispiel der Universität Bielefeld in Deutschland ein, die mit Google Scholar kooperiert und diese Suche in die eigene Suchmaschine einbindet. Auch können Bibliotheken dahingehend kooperieren, dass in den Ergebnissen Links zu den lokalen Ergebnissen in der Bibliothek angezeigt werden können. Wenn ein Suchbegriff eingegeben wird, lässt sich so auch nachvollziehen, ob diese Publikation in der Bibliothek verfügbar ist. Das wäre etwa eine Maßnahme, um wieder mehr Leute in die eigene Bibliothek zu bringen. Gleichzeitig bedeutet das natürlich auch, dass man sich auf das ganze System einlässt und sich in gewisser Weise auch davon abhängig macht. Das ist eine schwierige, wissenschaftspolitische und globale Frage, wie damit umzugehen ist. Die Hierarchisierungsprinzipien sind nicht immer so, wie sie sein sollten. In dem Moment, in dem man mit Google kooperiert, verstärkt man diesen Prozess wieder. Gleichzeitig ist die Marktmacht und Wirkung so groß, dass es schwer ist, Google zu ignorieren und so tun, als würde es einen nichts angehen. Hier bräuchte es einen breiten, gesellschaftlichen Diskurs.

ORF.at: Gibt es Vorschläge, wie es Google anders - besser - machen könnte?

König: Man könnte die Effektivität erhöhen. Daran wird natürlich auch gearbeitet und Google hat selbst ja ein Interesse daran, dass es möglichst gut funktioniert. Aber am grundsätzlichen Problem der intransparenten Hierarchisierung wird sich nicht viel ändern. Aber auch hierüber müsste es eigentlich eine breite gesellschaftliche Debatte geben. Ich sehe es schon als ein Problem, wenn ein Anbieter so zentral dafür verantwortlich ist, wie wir an Informationen kommen und gleichzeitig die hintergründigen Prozesse derart intransparent sind.

ORF.at: Wie recherchieren Sie persönlich bei Ihrer Arbeit als Wissenschaftler?

König: Ich nutze durchaus auch Google. Man kann auch nicht sagen, dass es schlecht oder falsch sei, Google zu verwenden. Die Frage ist immer, wofür man es nutzt und wie man mit den Informationen, die man über die Suche erhält, umgeht. Man darf nicht davon ausgehen, dass die Google-Suche vollständig ist und einem alles anzeigt, was jeweils relevant ist. Es ist sehr wohl so, dass Google einen gewissen Mehrwert bieten kann. Man kann über Google teilweise auch relevante Dokumente finden, die einem andere, etablierte Suchdienste nicht anzeigen. Die Schnelligkeit und Einfachheit der Suche ist ebenfalls ein wichtiges Argument und sie ist für manche Informationsbedürfnisse effektiver als die Suche im Bibliothekskatalog. Das Beste ist es, verschiedene Services zu nutzen, damit man einen umfassenden Überblick bekommt.

ORF.at: War die Suche nach wissenschaftlichen Forschungsberichten vor Google Ihrer Meinung nach einfacher oder schwieriger?

König: Es war insofern einfacher, als eine stärkere Vorauswahl vorgenommen wurde. Je nach Suchdienst wurden etwa nur schon begutachtete Papiere angezeigt, die bereits in etablierten Fachzeitschriften erschienen waren. Jetzt bekommt man bei Google alles Mögliche angezeigt. Das können unter anderem auch PDFs von Studenten sein, die sie als Seminararbeit verfasst haben. Von den einen wird das als Gefahr für die akademische Qualität bewertet, die anderen feiern dies als eine "Demokratisierung" des Wissenschaftssystems. Ich kann mich nicht eindeutig in diesen Lagern verorten. Es kommt eben ganz auf die jeweilige Nutzungsweise an.

ORF.at: Sie haben ja auch Google Books in Ihre Studie integriert. Wie schätzen Sie die Auswirkungen von Google Books auf die Wissenschaft ein?

König: Da muss man sehr vorsichtig sein, weil es noch eine sehr junge Plattform ist und da noch sehr viel im Umbruch ist, besonders die Urheberrechtsfragen sind noch nicht gänzlich geklärt. Ich glaube allerdings nicht, dass Google Books traditionelle Bibliotheken ablösen wird, nur weil Bücher auch online verfügbar werden. Denn viele der Bücher in Google Books sind nicht vollständig einsehbar, weil sie urheberrechtlich geschützt sind, und man bekommt nur sehr kleine Ausschnitte präsentiert. Auch fehlen viele Bücher gänzlich und die bibliothekarische Aufbereitung – etwa durch Katalogisierungen – lässt noch zu wünschen übrig. Insofern wird der Gang in die Bibliothek in absehbarer Zeit nicht obsolet. Mit den Urheberrechtsfragen kann es außerdem auch zu Interessenkonflikten zwischen Verlagen und wissenschaftlichen Autoren kommen. Im Endeffekt haben die meisten wissenschaftlichen Bücher so geringe Stückzahlen, dass die Tantiemen nicht besonders hoch sind. Ökonomisch bringt eine Buchveröffentlichung wissenschaftlichen Autoren daher meist nicht viel. Diese haben wahrscheinlich eher ein Interesse daran, dass ihre Bücher zugänglich sind und von vielen zitiert werden, um die eigene Reputation zu erhöhen. Das will der Verlag aber wiederum nicht. Hier muss man abwarten, wie sich das entwickelt. Für Zukunftsprognosen ist es hier noch ein wenig zu früh.

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(futurezone/Barbara Wimmer)