2010: Das Jahr des Web-TV
Google, Apple und Hollywood möchten dieses Jahr mit neuen Produkten Internet-Videos und Medienstreaming ins Wohnzimmer bringen. Rückenwind bekommen sie dabei von erfolgreichen Online-Videoangeboten wie Hulu und Netflix. Experten glauben, dass 2010 Online-Videos als Entertainmentform zum traditionellen Fernsehen aufschließen werden.
DVD-Player, Spielkonsolen, digitale Videorecorder, Blu-ray, angestaubte VHS-Geräte, Home-Theater-Receiver: Bei vielen Konsumenten stapelt sich mittlerweile ein ganzer Turm von Zusatzgeräten neben dem Fernseher. Google und Logitech glauben trotzdem, dass sich US-Fernsehfreunde dieses Jahr noch eine weitere Box kaufen werden. Das Logitech Revue genannte Produkt ist eine der ersten Inkarnationen der neuen Google-TV-Plattform, die im Mai auf der Google-I/O-Entwicklerkonferenz vorgestellt wurde.
Zur Person:
Janko Röttgers ist Experte für digitale Medien und arbeitet als Redakteur des Online-Magazins Newteevee.com in San Francisco.
In den nächsten Wochen wird er im Rahmen der futurezone.ORF.at-Serie "Neo-TV" von der schönen neuen Online-Fernsehwelt berichten. Die Artikelübersicht ist unter der folgenden Adresse abrufbar:
Logitech Revue wird den Kunden die Möglichkeit bieten, traditionelles Kabelfernsehen mit Web-Videos und lokalen Inhalten zu kombinieren. Wie viel die Box kosten wird, ist noch nicht bekannt. Doch schon jetzt ist klar, dass Logitech mit einer ganzen Reihe von Konkurrenten um die Aufmerksamkeit der Verbraucher buhlen wird. So wird es pünktlich zum Weihnachtsgeschäft auch Google-TV-Produkte von Sony geben. Gleichzeitig verdichten sich die Anzeichen dafür, dass Apple kurz vor der Einführung eines neuen Apple-TV-Produkts steht.
Neue Endgeräte zum Anschließen an den heimischen Fernseher gibt es zudem auch von Seagate und Western Digital, und der Router-Hersteller D-Link bereitet sich auf den Launch der lang erwarteten Boxee Box vor. Gleichzeitig bastelt der US-Einzelhandelsriese Wal-Mart an einer eigenen Online-TV-Strategie, und Sony und Microsoft peppen ihre Spielkonsolen mit Videoangeboten auf.
Durchbruch dank Netflix
Ganz neu ist die Idee, Web-Inhalte auf den Fernseher zu bringen, nicht. Yahoo bietet bereits seit Jahren in Zusammenarbeit mit namhaften TV-Endgeräteherstellern Widgets für die Mattscheibe an, und YouTube-Videos lassen sich mittlerweile mit nahezu jedem Blu-ray-Player abspielen. Doch während derartige Angebote in der Vergangenheit gerne als nette Spielereien belächelt wurden, glaubt man in der Branche, dass Web-TV dieses Jahr tatsächlich im großen Stil das Wohnzimmer erreichen wird.
Der beste Beweis dafür ist der Erfolg des DVD-Verleihs Netflix, der in den USA mittlerweile mehr als 14 Millionen zahlende Kunden hat. Netflix begann vor gut einem Jahrzehnt mit einem simplen Pauschalabonnement für den Postversand von Leih-DVDs. Vor gut drei Jahren startete das Unternehmen sein Streamingservice, über das sich die Kunden eine Reihe von Filmen und TV-Show-Episoden ansehen konnten. Das Online-Angebot kommt an: 55 Prozent aller Netflix-Kunden schauen sich mittlerweile Videos über die Netzplattform der Firma an.
Kooperation mit Hardware-Herstellern
Ein Grund für diesen Erfolg ist, dass Netflix in den vergangenen Jahren fleißig Partnerschaften mit Endgeräteherstellern geschlossen hat. Netflix-Nutzer können auf die Videos der Firma per Wii, PlayStation 3, Xbox, eine Reihe von Blu-Ray-Playern, Apples iPad, digitalen Videorecorder und eine Reihe von Set-Top-Boxen von Firmen wie Roku und Neuros zugreifen. Bis Ende des Jahres will die Firma ihr Angebot auf 100 verschiedenen Endgeräten verfügbar gemacht haben. Marktforscher berichten, dass mittlerweile die Hälfte aller Nutzer die Videos des Netflix-Online-Angebots auf ihrem heimischen Fernseher anschauen.
Die Netflix-Zahlen haben selbst Skeptiker aus der traditionellen TV-Branche überzeugt. So sagt Braxton Jarrat vom Kabel-TV-Dienstleister Clearleap, dass der Erfolg des Netflix-Online-Angebots in den vergangenen sechs Monaten zu einem massiven Umdenken bei Kabelfernsehanbietern geführt habe. "Vor einem Jahr fragten sich viele noch, ob es für Set-Top-Boxen für Online-Streams wirklich ein Publikum gibt", erinnert sich Jarrat. "Jetzt ist allen hundertprozentig klar, dass es ein Massenphänomen ist."
90 Prozent aller Folgen im Netz
Netflix ist nicht zuletzt deshalb bei der Fernsehbranche so beliebt, weil Konsumenten offensichtlich bereit sind, für das Angebot der Firma Geld auszugeben. Die großen US-Fernsehsender versuchten anfangs vergeblich, ihre Inhalte über Download-Plattformen wie Apples iTunes Store zum Kauf anzubieten. Erfolgreicher war man dagegen mit Hulu.com - einer von Hollywoods Branchengrößen gemeinsam gegründeten Website, über die sich zahlreiche Serienfolgen kostenlos und werbefinanziert abrufen lassen. Hulus Nutzer schauen sich Monat für Monat knapp eine Milliarde Videos auf der Website an.
Fernsehsender reagieren auf diesen Trend, indem sie immer mehr Inhalte frei verfügbar ins Netz stellen. So berichtete das Videosuchportal Clicker diese Woche, dass die großen US-Fernsehsender mittlerweile 90 Prozent ihrer Serienfolgen kostenlos im Netz verfügbar machen. Gleichzeitig wächst jedoch die Angst davor, dass diese kostenlosen Streams das DVD-Geschäft zerstören könnten. 60 Prozent aller Folgen sind deshalb bereits nach drei Wochen nicht mehr online. Hulu startete zudem Ende Juni ein Angebot namens Hulu Plus, das zahlenden Kunden Zugriff auf komplette Serien verspricht. Hulu Plus ist auch auf dem iPad und in Zukunft auch per PlayStation und Xbox verfügbar.
Aus Online-Video wird Fernsehen
Trotz all dieser Entwicklung spielt Web-TV im Gesamtbild der US-Medien bisher noch eine eher kleine Rolle. So greifen YouTube-Nutzer im Schnitt pro Tag 15 Minuten auf die Videosite zu. Dem traditionellen Fernsehen widmen US-Amerikaner dagegen immer noch Tag für Tag fünf Stunden ihrer Aufmerksamkeit.
Marktforscher gehen jedoch davon aus, dass die Rolle des Internet-Fernsehens in den nächsten Jahren rasant wachsen wird. So prognostizierte die Diffusion Group kürzlich, dass US-Konsumenten in zehn Jahren mehr Web-TV-Inhalte als traditionelles Fernsehen anschauen werden. Diffusion-Group-Forscher Colin Dixon glaubt allerdings, dass die Grenzen zwischen diesen Medienformen bis dahin komplett verwischt sein werden. "Konsumenten werden das nicht mehr als Online-Video begreifen", so Dixon, "sondern als Fernsehen."
(Janko Röttgers)