© Fotolia/Lara Nachtigall, RFID-Chip

Die heimliche Invasion der Funkchips

ANALYSE
19.07.2010

Von der Nachschublogistik für indische Kohlekraftwerke bis zu den Gabelstaplern eines Sägewerks in Virginia steuern datenbankgestützte Netze aus Sensoren zur Funkidentifikation weltweit immer mehr Infrastruktur-Einrichtungen. Dieselbe Tracking-Technologie kommt gerade in US-Casinos wie im Afghanistankrieg massiv zum Einsatz. 5,6 Milliarden Dollar werden 2010 weltweit umgesetzt.

Nachdem sie rund um die Einführung der Funkchip-Reisepässe periodisch ab 2006 immer wieder in die Schlagzeilen der Mainstream-Medien gekommen war, ist es um die Funkchip-Technologie in letzter Zeit relativ ruhig geworden. Ihrem tatsächlichen Status entspricht das nicht, im Gegenteil.

Rund um den Globus dringt die RFID-Technologie (Radio Frequency Identification), unter der stets ein datenbankgestütztes Netz aus Lesegeräten, das Chips auf Karten oder Containern einliest, zu verstehen ist, rasant in die verschiedenen Sektoren der menschlichen Lebenswelt vor.

Es kursiert nur eine verwirrende Vielfalt an Bezeichnungen für ein- und dieselbe Stammtechnologie. Die RFIDs heißen auch "Tags", "Transponder", und "Secure Smart Cards", wobei zwischen "Vicinity Tags" (Nahbereich, meist Logistik/Transport) und "Proximity Tags" (Nächstbereich, etwa Reisepässe) unterschieden wird.

Funktion, verkürzt beschrieben

Die Lesegeräte sind allesamt Transceiver (Sender/Empfänger), die jeweils auf verschiedenen Frequenzen von Kurzwelle bis in den UHF-Bereich arbeiten. Der Chip schickt zuvor gespeicherte Informationen zurück, wenn er auf der richtigen Frequenz vom Lesegerät angesprochen wird.

Das ist die Grundfunktion all dieser Systeme, die auf eine solche Vielzahl von Bezeichnungen hören, sodass sie offenbar nicht als zueinandergehörig wahrgenommen werden.

Sämtliche Beispiele in Folge stammen aus den vergangenen vier Wochen, die Liste ist nicht vollständig. Es konnten vielmehr nur ein paar exemplarische Beispiele herausgegriffen werden.

Funkchips und Gesellschaft

Kohlekraft in Indien

In Indien hat der Kraftwerksbetreiber National Thermal Power Corporation zwei RFID-gestützte Informationsnetze für seine Kraftwerke eingerichtet.

Das eine soll schlicht und einfach "Kohle sparen" bzw. dieselbe effizienter einsetzen lassen. Zu diesem Zweck wurden die Lokomotiven mit einer Kombination von RFIDs und GPRS als Übertragungskanal vernetzt, um die genaue Position jedes einzelnen Kohlezugs rund um die Großkraftwerke live zu verfolgen. Daneben sichert ein zweites Funkchip-Netz das Gelände ab, die Angestellten des Werkschutzes protokollieren ihre Runden mit vernetztem RFID-Lesegeräten.

Vernetzte Hubstapler

In Blackstone, Virginia wiederum hat der Spezialholzhändler Cox Industries seine gesamte Infrastruktur bis hin zu den Gabelstaplern mit 5.000 RFID-Lesegeräten vernetzt.

Sobald ein Staplerfahrer eine Ladung anhebt, liest das bordeigene Lesegerät den Funkchip auf der Holzladung ein, auf dem Bildschirm sieht der Fahrer, wohin exakt er seine Ladung bringen muss. Parallel dazu geht über Funk die Meldung an die Zentrale ab, dass der Stapler bereits geladen hat, am Zielort wird wiederum elektronisch quittiert. Transport- und Lagerlogistik sind die Kernbereiche dieser doch relativ neuen Branche, das gilt für die Zivilgesellschaft ebenso wie für das Militär.

Schlachtfeldtaugliche RFIDs

Am vergangenen Dienstag gab Comtech Telecommunications bekannt, dass man einen Auftrag im Umfang von 47,4 Millionen Dollar von der US Army für ein Bewegungs-Tracking System erhalten habe. Der MT-2012-Satelliten-Transceiver ist nach Angaben des Herstellers "schlachtfeldtauglich" und genügt auch den Standards der militärischen Kommunikation, die natürlich verschlüsselt erfolgt.

Integriert ist der "Echo Point RFID Reader" von Savi Technology, der als Andockpunkt mit anderem Equipment desselben Herstellers kommuniziert.

Ebenfalls am Dienstag gab Savi Technology bekannt, das US Marine Corps habe 50 Einheiten seines Multifunktionsgeräts PDK bestellt. Die Kombination aus Laptop, Handheld und RFID-Lesegerät druckt Labels, Bar- und 2D- Codes, zudem verfügt es über GPS und Satellitenfunk-Anbindung.

Diese Geräte sind nach Angaben des Herstellers dafür bestimmt, "Munition, Reifen, Essensrationen oder Stiefel" in Afghanistan zu verwalten. Aber auch: "Tracking von beweglichem Gut, samt Frachtliste von Ladung und Personal", das heißt, hier werden sowohl die Container als auch die Besatzung vom selben Mechanismus identifiziert.

5,6 Mrd. Dollar Umsatz

Laut IDTechEx, einer spezialisierten Marktforschungsfirma, wird der globale Markt für RFID-Netzwerke 2010 5,6 Milliarden US-Dollar umsetzen, das bedeutet etwa zwölf Prozent Wachstum gegenüber 2009.

Von den 2,3 Milliarden RFID-Chips, die laut IDTechEx 2010 abgesetzt werden, ist allerdings das Gros passive UHF-Ware. Das sind recht primitive, aber dafür billige Chips für den Ladentisch, die Handelskette Marks & Spencer soll allein 200 Millionen davon geordert haben.

Höherwertige Systeme mit angebundener Logistik-Datenbank oder Lagerverwaltung haben naturgemäß immer IT-Dienstleister - vor allem Integratoren - dabei, die darauf spezialisiert sind, die neuen Systeme in die bestehenden IT-Netzwerke der Firmen einzubinden. Damit hat dieser Markt eine weitaus höhere "Traktion" aufzuweisen, als die zwölf Prozent Umsatzsteigerung vermuten lassen.

Werkzeugwagen, Gammastrahlen

Die Firma WinWare hat das "Accu-Drawer RFID modular drawer system", einen batteriebetriebenen, fahrbaren Werkzeugkasten mit RFID-gesicherten Schubladen, herausgebracht. Damit lässt sich hochwertiges Werkzeug nachverfolgen und in "unfreundlichen" Umgebungen sichern.

Smartrac wiederum hat einen RFID-Transponder auf ferroelektrischer Basis entwickelt, der Gammastrahlung von bis zu 45 Kilogray (kGy) verträgt. Diese Art der Sterilisierung ist in medizinischen Labors gebräuchlich. Neuartige, patentierte Medikamente lassen sich so beim Verpackungsprozess absichern.

Im Meadows Racetrack and Casino (Pennsylvania) kommen ab sofort Spielchips zum Einsatz, die RFID-Chips enthalten. Diese "schlauen" Chips werden durch flache Loop-Antennen, die unter den Spieltischen kleben, ausgelesen. Sie sollen die Fälschungssicherheit erhöhen und ermöglichen es, das Verhalten des jeweiligen Spielers zu analysieren.

Naturgemäß kommt auch hier wieder ein datenbankgestütztes Netz zum Einsatz, hinter dem Analysetools werken.

Rindvieh-Nachschub

Das irische Agrarministerium hat Ende Juni kundgemacht, dass ab jetzt sämtliche Pferde der Inselrepublik mit RFID-Chips ausgezeichnet werden müssen.

Bei der jährlichen "Calgary Stampede and Cattle Showcase" in Kanada am 9. Juli wurde demonstriert, wie man mit RFID-Tags den "Rindvieh-Nachschub sichert". Die Tiere wurden mit RFID-Chips oder ebenfalls automatisch einlesbaren Barcode-Ohrmarken versehen, um gefährliche Krankheiten im System frühzeitig zu erkennen. Die (menschlichen) Besucher erhielten personalisierte Ohrmarken als Abschiedsgeschenk.

(futurezone/Erich Moechel)