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World ohne Wide Web

NETZTEILE
07.08.2010

Sicher, es gibt das Internet, mobile Computer, die sogar telefonieren können, wenn man sie richtig herum trägt. Aber was wäre, wenn wir heute das Jahr 2010 hätten, und im CERN wäre nicht das World Wide Web erfunden worden?

Tim Berners Lee räumt seinen Arbeitsplatz im CERN auf. Ein bisschen wehmütig ist ihm heute zumute, denn an seinem letzten Arbeitstag schaut er auf spannende, wenn auch nicht immer leichte Zeiten am Genfer See zurück.

Was hatte er nicht für wunderbare Meetings mit dem Team "interne Kommunikation", vor allem damals Anfang der 90er, als allen klar wurde: Das Kernforschungszentrum produzierte zu viel Information. Und das musste irgendwie an die richtigen Leute kommen, damit es vorangehen konnte.

Es hätte da vielleicht eine Chance dazu gegeben, einen Weg zu finden, wäre da nicht Regula Meier aus der Innerschweiz aufgestanden, hätte auf ihre "drüssg Johr Arbeitserfahrig" gepocht und die Pläne einer vernetzten Struktur von digitalen Dokumenten beiseitegewischt.

Das sei alles nicht gut. Diese Idee, mit unterstrichenen Wörtern zu arbeiten, das brauche doch niemand. Zum einen schrieben die meisten der Kollegen immer noch mit Papier und Stift, würden also nie alle in einem Netzwerk zu finden sein, das würde sich nicht durchsetzen.

Zum anderen würde so ein Netzwerk immer sehr instabil und ganz sicher nicht //worldwide// sein.

Was hätte Tim da schon dagegen sagen sollen, er war ja im Gegensatz zu Regula noch nicht lange in diesem Laden zu Hause. Also zog er seinen Antrag auf ein weltweites Netzwerk zurück, in dem man auf Wörter klicken konnte, um auf andere Dokumente zu gelangen.

Ein einfaches Schlagwortregister tat es ja im Zentralkatalog jeder Stadtbibliothek auch. Dass Regula diesen Katalog im CERN leitete und sich deshalb auch gegen Neuerungen wehrte, wäre vielleicht noch dazu zu sagen.

Immerhin arbeitete man ja auch noch auf verbesserten Modellen von Zuses Z3, einer Z64 mit sehr schneller Verarbeitungsgeschwindigkeit von mehr als 500 Rechenoperationen pro Sekunde, aber das ständige Rattern der Relais war immer noch so störend, dass Computer wirklich nicht zur beliebtesten Form von Arbeitsgerät gehörten.

Einzelne Manager hatten vorgeschlagen, den Rechner zumindest bei schönem Wetter nach draußen zu stellen und ihn als "mobilen Computer" zu vermarkten. Aber die Leitung von CERN hatte sich sehr dagegen verwahrt.

Denn bei einem Pilotversuch war eine Amsel in den Kasten hineingeraten und hatte die Rechenergebnisse für die neuen Teilchenbeschleuniger so verbogen, dass einzelne Wissenschaftler entsetzt die Arbeit daran einstellten, weil ihnen vorgerechnet wurde, dass das Ding ein schwarzes Loch östlich von Bregenz erzeugen würde.

Ja, das war sein letzter Arbeitstag. Jetzt würde er sich vielleicht noch einmal hinsetzen. Seit neuestem gab es Gerüchte, dass ein junger Kollege eine Idee hatte, alle Daten einzuscannen und als Fotoservice bereitzustellen. Das würde zumindest die Microverfilmung wieder etwas in Schwung bringen, die seit dem Abgang von Regula 2003 im Argen lag.

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(Harald Taglinger)