© AP/Paul Sakuma, Braille Tastatur

Barrierefrei durchs Internet

NETZ
01.08.2010

Der Umgang mit dem Internet gehört in Industriegesellschaften zum Alltag. Damit wird auch der barrierefreie Zugang zu Websites wichtiger. Die Forschung nimmt sich dieses Themas verstärkt an. "Matrix" sprach auf der 12th International Conference on Computers Helping People with Special Needs (ICCHP) über aktuelle Trends in Sachen assistierende Technologien.

Am Sonntag in "matrix"

Den Radiobeitrag zu diesem Thema hören Sie am Sonntag, dem 1. August 2010, um 22.30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix".

Neben dem Lesen und Schreiben gehört das Bedienen eines Computers und anderer elektronischer Geräte längst zu den Kulturtechniken, die man zum (Über)leben in der Informationsgesellschaft braucht. PCs, Mobiltelefone und Websites werden allerdings meist für imaginäre Durchschnittsbenutzer entwickelt. Für ältere Personen und Menschen mit körperlichen Behinderungen bedeuten Touchscreen, Maus und eine unglückliche Farbkombination bei Websites oft unüberbrückbare Barrieren.

Unter der Bezeichnung "assistierende Technologien" wuchs in den letzten Jahren ein Forschungsfeld heran, das Kommunikations- und Informationstechnologien für Menschen mit speziellen Bedürfnissen anpasst. Alle zwei Jahre trifft sich die Community zur ICCHP-Konferenz. Heuer fand sie in Wien statt.

Informationen zum Greifen

Gerhard Weber ist Professor für Mensch-Computer-Interaktion an der Fakultät für Informatik der TU Dresden. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Kästchen mit hellbrauner Oberfläche, dessen Stellfläche ungefähr so groß ist wie ein DIN-A4-Blatt, auf dem sich 7.200 bewegliche Metallstiftchen befinden, die elektronisch gesteuert werden.

Fährt man mit dem Finger über die Platte, lassen sich feine Linien und Muster erfühlen. Bei der Platte handelt es sich um den Prototyp eines haptischen Computerdisplays. Grafische Elemente wie Pläne, Tabellen und Diagramme werden damit für sehbehinderte Menschen ertastbar. Daneben kann man mit den Fingerkuppen auch zeichnen und Abdrücke auf den Metallplättchen hinterlassen, die von der dazugehörigen Software aufgezeichnet werden.

"Wie können wir es einem blinden Menschen ermöglichen, nicht einfach nur zu konsumieren, sondern mit Sehenden im Unterricht und auf dem Arbeitsplatz zusammenzuarbeiten?" so Weber. "Zum Beispiel kann er als Entwickler die grafischen Symbole, die man auch für Software hat, mit Gesten selbst produzieren oder Diagramme und Zeichnungen anfertigen."

Neue Berufsfelder für Sehbehinderte

Weber forscht seit mehr als 20 Jahren auf dem Gebiet der assistierenden Technologien. Bisher können grafische Darstellungen nur als Braillezeile in Blindenschrift dargestellt oder als gesprochene Information ausgegeben werden. Das haptische Interface, an dessen Entwicklung neben der TU Dresden die Universität Potsdam sowie drei Technologiefirmen beteiligt sind und das nächstes Jahr auf den Markt kommen wird, soll das nun ändern und blinden Menschen den Zugang zu bisher verschlossenen Berufsfeldern und Kommunikationskanälen öffnen.

Laut der europäischen Kommission sind in der EU etwa 50 Millionen Menschen, das sind zehn bis 15 Prozent der Gesamtbevölkerung, von einer den Alltag einschränkenden Behinderung betroffen. Seien es Lernschwierigkeiten oder Probleme mit der Motorik, dem Sehen, Hören oder Sprechen. Mit dem zunehmenden Anteil alter Menschen an der Gesamtbevölkerung nehmen diese Beeinträchtigungen zu. Dabei sind Menschen mit Behinderungen doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen wie Menschen ohne Behinderung.

Barrierefreiheit im Kommen

Kommunikationstechnologien könnten allerdings für Menschen mit Behinderungen auch große Chancen darstellen, wenn sie möglichst barrierearm gestaltet werden, also für Menschen unabhängig von einer eventuellen Behinderung ohne Einschränkungen benutzbar sind.

Abgesehen vom 2005 in Österreich durch das Behindertengleichstellungsgesetz festgeschriebenen Grundsatz, dass niemand aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden darf, ist die Integration in den Arbeitsmarkt eines der Hauptanliegen der Politik. Neue Technologien sollen dabei helfen, und dementsprechend fördern nationale und europäische Programme Forschungseinrichtungen, die an der Entwicklung von assistierenden Technologien arbeiten.

Veränderte rechtliche Rahmenbedingungen

Die im Zweijahresrhythmus abgehaltene internationale Konferenz ICCHP avancierte innerhalb von 20 Jahren zu einem der wichtigsten Treffpunkte für Forscherinnen und Forscher aus dem Bereich der assistierenden Technologien. Während sich in den ersten Jahren das Gros der Forschung auf Sehbehinderungen konzentriert und Vergrößerungssoftware, Braillezeile und Screenreader hervorgebracht hatte, geraten in den letzten Jahren immer öfter auch kognitive und Hörbehinderungen in den Fokus, so der Informatiker Klaus Miesenberger, der an der Universität Linz zum Thema forscht.

Fristete die Entwicklung assistierender Kommunikations- und Informationstechnologien lange Zeit akademisch ein Randdasein, hat sich in den letzten beiden Jahren unheimlich viel getan, so Miesenberger. Immer mehr Forschungseinrichtungen würden sich mit dem Thema beschäftigen, weil auch gesamtgesellschaftlich, nicht zuletzt ausgelöst durch veränderte rechtliche Rahmenbedingungen, ein größeres Bewusstsein für Barrieren und spezielle Bedürfnisse herrsche.

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(matrix/Anna Masoner)