© Bild: ORF.at/Carina Kainz, Ein Musikvideo wird von Youtube geladen.

YouTube: Marktführer und Underdog

NEO-TV
31.07.2010

Googles Video-Website bedient mittlerweile mehr als 40 Prozent aller Videozugriffe im Netz. Nun will YouTube mit neuen Angeboten auch ins Wohnzimmer der Konsumenten vordringen. Dieser Weg wird für die YouTube-Manager aber nicht leicht, denn die Konkurrenz schläft nicht - und in der alten TV-Welt gelten andere Gesetze als im Web.

Zur Person:

Janko Röttgers ist Experte für digitale Medien und arbeitet als Redakteur des Onlinemagazins Newteevee.com in San Francisco.

In den nächsten Wochen wird er im Rahmen der futurezone.ORF.at-Serie "Neo-TV" von der schönen neuen Onlinefernsehwelt berichten. Die Artikelübersicht ist unter der folgenden Adresse abrufbar:

Anfang Juli im Süden von San Francisco. Rund ein Dutzend eingeladene Journalisten drängeln sich anlässlich der Vorstellung neuer YouTube-Produkte in einem kleinen Konferenzraum im Hauptquartier der Video-Website. Die Erfolgsgeschichte des Tages sollte eigentlich YouTubes rundum erneuerte Website für mobile Endgeräte sein. Doch die anwesenden Pressevertreter interessieren sich viel mehr für ein experimentelles neues Produkt namens YouTube Leanback, das Googles Videoportal endlich Wohnzimmer-kompatibel machen soll.

YouTube Leanback verzichtet nahezu komplett auf Text. Im Mittelpunkt steht stattdessen das aktuell spielende Video. Eine simple Menüleiste ermöglicht den Wechsel zu anderen Clips. Für die Suche nach spezifischen Videos gibt es ein eigenes Suchfeld. All diese Elemente wurden für die Bedienung mit einer simplen Fernbedienung optimiert, eine Maus ist nicht nötig. YouTube-Manager Hunter Walk erklärt dazu, dass die Grenzen zwischen den verschiedenen Endgeräten zunehmend verschwimmen. "Beim iPad weiß man nicht mehr, ob es ein Telefon, ein Fernseher oder ein PC ist", so Walk. "Ich glaube, für den Endnutzer spielt das keine Rolle mehr." Leanback sei YouTubes Beitrag dazu, diese Grenzen weiter aufzuweichen.

Für die anwesende Presse ist das ein gefundenes Fressen. Eine Reihe von Fragen dreht sich darum, wie YouTube mit Leanback Geld verdienen will. Nachgebohrt wird auch bei einem weiteren Punkt: Was halten denn die Rechteinhaber davon, und wie verändert sich ihr Verhältnis zu YouTube, wenn ihre Inhalte mit Leanback auf dem Fernseher landen? YouTube-Leanback-Produktmanager Kuan Yong sind diese Fragen sichtlich unangenehm. Man solle sich doch bitte nicht zu sehr auf den TV-Bildschirm fixieren, erklärt er ausweichend. Leanback laufe schließlich auch prima auf dem PC.

Justin Bieber und Lady Gaga

YouTubes vorsichtiger Umgang mit diesem Thema kommt nicht von ungefähr. Angesichts wachsender Konkurrenz von Online-TV-Websites wie Hulu.com bemüht sich auch die seit knapp vier Jahren zum Google-Konzern gehörende Website immer mehr um professionelle Inhalte. So begann YouTube Ende letzten Jahres unter dem Namen Vevo eine Kollaboration mit Universal Music und Sony Music, um professionelle Musikvideos über YouTube und Vevo.com zu verbreiten. Im Januar begann man zudem damit, bekannte Spielfilme wie "3:10 to Yuma" und "Precious" gegen Bargeld zum Abruf anzubieten.

Auf YouTube Leanback sucht man diese Kinofilme jedoch bisher vergebens. Auch Vevo-Videos finden sich dort keine. Einer der Gründe dafür: Rechteinhaber können beim Upload eines YouTube-Videos auswählen, ob sie es auch auf mobilen und TV-Endgeräten verfügbar machen wollen. Für Endnutzer mögen diese Grenzen immer unschärfer werden, doch für Plattenfirmen und Hollywood-Studios sind sie nach wie vor ganz klar - und YouTube muss sich ihren Wünschen fügen, um Zugriff auf Premiuminhalte zu bekommen.

Millionengeschäfte mit Werbung

Im Musikbereich klappen derartige Kooperationen bereits sehr gut. Die Liste der populärsten YouTube-Videos aller Zeiten wird derzeit von zwei Musikvideos angeführt, die ganz offiziell von Plattenfirmen auf YouTube hochgeladen wurden. Die beiden neuesten Videos von Justin Bieber und Lady Gaga verbuchen gemeinsam mehr als eine halbe Milliarde Abrufe - und YouTube blendet bei jedem dieser Abrufe Werbung ein.

YouTube teilt sich diese Werbeeinahmen mit Rechteinhabern, und Universal-Music-Vertreter berichteten bereits vor zwei Jahren davon, achtstellige Beträge mit YouTube-Werbung zu verdienen. Diese Einnahmen dürften in den letzten Monaten nochmals deutlich gewachsen sein: Das Vevo-Joint-Venture hat sich innerhalb eines halben Jahres zur viertpopulärsten Video-Website der USA gemausert.

Geld verdienen mit unlizenzierten Inhalten

Doch nicht alle Rechteinhaber wollen mit YouTube zusammenarbeiten. In Deutschland versucht die Musikverwertungsgesellschaft GEMA derzeit, YouTube gerichtlich zur Sperrung von 600 Titeln zu zwingen. In den USA wurde YouTube zudem vor drei Jahren vom Unterhaltungskonzern Viacom auf eine Milliarde Dollar Schadenersatz verklagt. Ende Juni entschied ein New Yorker Gericht das Verfahren zu Gunsten von YouTube. Der zuständige Richter befand, dass YouTube genug getan habe, um Ausschnitte von Viacom-Fernsehshows aus seinem Angebot zu entfernen. Viacom hat jedoch bereits angekündigt, gegen das Urteil Berufung einzulegen.

Ironischerweise haben derartige Urheberrechts-Auseinandersetzungen zu einer der größten Einnahmequellen von YouTube beigetragen. Die Website reagierte auf die Forderungen von Urhebern lange Zeit nur, indem sie unrechtmäßig hochgeladene Clips umgehend aus ihrem Katalog entfernte. Ein paar Monate nach dem Beginn der gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Viacom startete man jedoch auf Druck der Entertainment-Industrie zusätzlich ein Programm namens Content ID, das Rechteinhabern das Filtern ihrer Werke mit Hilfe sogenannter akustischer Fingerabdrücke erlaubt. Plattenfirmen können damit beispielsweise den Upload von Heimvideos verhindern, die mit ihren Songs unterlegt wurden.

Profite mit "Piraten"

Gleichzeitig bietet YouTube Rechteinhabern eine weitere Möglichkeit: Anstatt ein solches Video aus dem YouTube-Katalog zu entfernen, können sie sich dafür entscheiden, damit Geld zu verdienen und die unlizenzierte Nutzung ihrer Musik gewissermaßen im Nachhinein zu legalisieren.

YouTube nutzt dazu beispielsweise im Video-Player eingeblendete Text-Banner - und die Plattenfirma verdient jedes Mal, wenn jemand auf den eingeblendeten Link klickt. YouTube weiß zu berichten, dass die meisten Content-ID-Nutzer sich mittlerweile dafür entscheiden, mit Uploads von YouTube-Nutzern Geld zu verdienen, anstatt sie entfernen zu lassen.

1,1 Milliarden Dollar Umsatz

Wie viel Geld YouTube insgesamt umsetzt, gibt Google offiziell nicht bekannt. Die Video-Website galt wegen ihres immensen Datenverkehrs lange Zeit als Geldvernichtungsmaschine. Kritiker glaubten, dass Google mit 1,6 Milliarden US-Dollar viel zu viel Geld für sie ausgegeben hatte. Doch YouTube hat in den vergangenen Monaten massiv an der Ausweitung seiner Werbestrategie gearbeitet. Auf YouTubes Homepage findet sich beständig Werbung von Autokonzernen, Hollywood-Studios und anderen bekannten Marken, die sich diese prominente Werbefläche 175,000 Dollar pro Tag kosten lassen.

Immer mehr Videos kommen zudem mit Werbebannern oder sogenannten Pre-Roll-Werbevideos daher. YouTube hat bereits Tausende seiner Nutzer zu seinem Partnerprogramm eingeladen, um ihre Videos gezielt mit Werbung zu vermarkten. Für Werbekunden setzt man zudem mittlerweile auf ein Rezept, das bereits Google Milliarden eingebracht hat: Mit einem Anzeigengenerator können sich kleine Mittelstandsfirmen eigene Banner zusammenklicken, die dann über kontextrelevanten Videos eingeblendet werden.

Nach wie vor Underdog

Die Rechnung scheint für YouTube aufzugehen: Die Großbank Citi geht davon aus, dass YouTube im kommenden Jahr 1,1 Milliarden Dollar umsetzen wird. Anderen Schätzungen zufolge wird YouTube bereits in diesem Jahr schwarze Zahlen schreiben.

YouTubes Erfolg geht einher mit dem beständigen Wachstum der gesamten Web-Video-Welt. Das Marktforschungsinstitut ComScore schätzt, dass sich US-Amerikaner im Mai knapp 34 Milliarden Videos im Netz angesehen haben. Mehr als 14 Milliarden davon stammten von YouTube. Doch die wachsende Bedeutung von Onlinevideo hat auch dazu geführt, dass YouTube mit immer mehr Konkurrenten zu kämpfen hat. Dazu gehören nicht nur Web-TV-Angebote wie Hulu, sondern auch die Onlineplattformen der Fernsehsender selbst sowie soziale Netzwerke wie Facebook, die ihren Nutzern den Austausch von Videos ermöglichen.

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Web-TV im Wohnzimmer

Chancen wittern YouTubes Konkurrenten insbesondere im Einzug des Webfernsehens ins Wohnzimmer. Wenn sich Verbraucher mit Hilfe von Fernsehern mit Netzanschluss und neuen Internet-Set-Top-Boxen ihr Webfernsehen auf der Couch anschauen, so die Logik, dann wollen sie keine kurzweiligen YouTube-Clips mehr, sondern etwas, was sie über eine halbe Stunde oder eine Stunde beschäftigen kann.

YouTube bemüht sich deshalb derzeit aktiv darum, den eigenen Film- und Fernseh-Katalog auszubauen. Gleichzeitig strahlt man immer häufiger Live-Konzerte in ganzer Länge aus. Und schließlich arbeitet man an neuen Benutzerschnittstellen wie Leanback, die auch für passive TV-Konsumenten funktionieren. Hunter Walk ist sich jedoch bewusst, dass man dabei in einer völlig neuen Liga spielt - insbesondere dann, wenn man mit dem klassischen Fernsehprogramm konkurrieren will. Im Netz mag YouTube mittlerweile mehr als 40 Prozent aller Video-Zugriffe bedienen. Im Wohnzimmer gelten dagegen andere Regeln. "In dieser Welt sind wir nach wie vor der Underdog", so Walk.

(Janko Röttgers)