Autisten als Softwaretester
Menschen mit Autismus haben spezielle Bedürfnisse. Sie haben aber auch spezielle Fähigkeiten. Der dänische Unternehmer Thorkil Sonne macht sich die zunutze, um Autisten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Rund 40 Leuten hat er mit seinem Unternehmen Specialisterne bereits zu einem Job im IT-Bereich verholfen. Weltweit sollen es eine Million werden, sagt Sonne im Gespräch mit ORF.at.
Kommunikationsprobleme, Schwierigkeiten mit anderen Leuten Kontakt aufzunehmen, mangelnde Flexibilität: Die Eigenschaften, die Menschen mit Autismus zugeschrieben werden, sind in Stelleninseraten eher nicht zu finden. Beim dänischen Unternehmen Specialisterne sind sie dennoch gefragt. Denn Autisten verfügen auch über eine hohe Konzentrationsfähigkeit, Detailverliebtheit und ein ausgezeichnetes Gedächtnis.
Bei Specialisterne testen sie im Auftrag von IT- und Telekommunikationsunternehmen Software oder sind in der Qualitätskontrolle tätig. Kunden und Mitarbeiter sind zufrieden. Eine Win-win-Situation, die nach dem Willen von Unternehmensgründer Sonne Schule machen soll.
Das 2004 gegründete Unternehmen Specialisterne beschäftigt derzeit rund 60 Menschen. 40 davon sind Autisten. Sie arbeiten für Unternehmen im IT- und Telekombereich, darunter Cisco und der dänische Telekomanbieter TDC. Seit 2008 gehört Specialisterne zu der von Sonne gegründeten Specialist People Foundation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, weltweit eine Million Jobs für Autisten zu schaffen.
Interesse auch in Österreich
Um das Wissen und die Erfahrung auch in anderen Ländern und Branchen zum Einsatz zu bringen, hat Sonne die Specialist People Foundation gegründet. In Schottland wurde dieser Tage die erste internationale Specialisterne-Niederlassung eröffnet. Auch in Österreich gibt es Bedarf und Interesse.
Am Wochenende war Sonne bei einer Konferenz der Organisation Ashoka, die sozial engagierte Unternehmen fördert, in Wien zu Gast. ORF.at hat ihn zur Entstehungsgeschichte von Specialisterne, zur Ausbildung seiner Mitarbeiter, der Arbeitssituation im Unternehmen und zu den Zielen der Specialist People Foundation befragt.
ORF.at: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Specialisterne zu gründen?
Sonne: Als mein jüngster Sohn drei Jahre alt war, wurde bei ihm Autismus diagnostiziert. Als Eltern waren wir darüber zunächst schockiert. Es war beängstigend zu wissen, dass er die sozialen Anforderungen der Gesellschaft nie erfüllen wird. Meine Frau und ich wussten nicht, was wir tun sollten. Wir wollten für unser Kind kämpfen. Es war uns aber auch klar, dass wir irgendwann zu alt dafür sein würden und wollten sicherstellen, dass er ein ausgefülltes Leben hat. Er hat so viele Fähigkeiten und ist eine nette Person. Aber er spielt nicht mit anderen Kindern und es fällt ihm schwer, Kontakte zu knüpfen. Wir wussten, dass er vermutlich in der Schule schikaniert und dass er es auch am Arbeitsmarkt schwer haben wird. Wir setzten also alles daran, unserem Sohn eine Zukunft zu ermöglichen, in der er als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert wird. In Dänemark gab es für Leute wie ihn keine Möglichkeiten, seine besonderen Fähigkeiten zum Einsatz zu bringen. Alles, was wir vorfanden, waren geschützte Werkstätten. Wir mussten also selbst dafür sorgen. Wir haben eine Hypothek auf unser Haus aufgenommen und das erste Unternehmen gegründet, dessen Geschäftsmodell auf den Fähigkeiten von Autisten aufbaut.
ORF.at: Über welche Fähigkeiten verfügen Autisten. Welche Aufgaben können sie übernehmen?
Sonne: Das lässt sich nicht verallgemeinern, weil sie sehr verschieden sind. Aber es gibt bestimmte Charakteristika. Autisten haben etwa ein sehr gutes Gedächtnis und sie können sich in Details vergraben. Sie sind sehr beharrlich und in der Lage, Aufgaben zu lösen, die monoton sind, aber eine hohe Konzentration verlangen. In Unternehmen können sie für unterschiedliche Aufgaben eingesetzt werden, etwa bei der Qualitätskontrolle, bei Softwaretests oder bei der Arbeit mit Datenbanken oder im Netzwerk-Monitoring.
ORF.at: Wie bereiten Sie Ihre Angestellten auf die Aufgaben vor?
Sonne: Üblicherweise durchlaufen sie ein drei- bis fünfmonatiges Vorbereitungsprogramm. Viele von ihnen hatten noch nie einen Job. Andere haben an ihrem Arbeitsplatz schlechte Erfahrungen gemacht. Wir versuchen herauszufinden, über welche speziellen Fähigkeiten sie verfügen, welche Aufgaben sie bewältigen können und welche Arbeitsumgebung zu ihnen passt.
ORF.at: Wie gestalten sich der Arbeitsalltag und das Verhältnis Ihrer Angestellten zu Ihren Kunden?
Sonne: Unsere Angestellten arbeiten in der Regel 20 bis 30 Stunden in der Woche. Die Arbeit kostet sie sehr viel Energie. Sie brauchen danach Ruhe. Ihr Privatleben ist sehr kompliziert. Üblicherweise arbeiten sie direkt bei unseren Kunden. Wir bereiten also auch unsere Kunden darauf vor und versuchen sicherzustellen, dass unsere Angestellten eine Arbeitsumgebung vorfinden, die ihren Bedürfnissen gerecht wird. Viele von ihnen haben ein sehr gutes Gehör und reagieren sehr sensibel auf Geräusche, viele können auch sehr schnell von visuellen Reizen abgelenkt werden. Ein Großraumbüro eignet sich also nur bedingt. Wir versuchen sicherzustellen, dass ihre Aufgaben sehr genau beschrieben werden und machen unseren Kunden auch klar, dass sie Ihre Erwartungen deutlich zum Ausdruck bringen müssen. Unsere Kunden müssen damit rechnen, dass unsere Angestellten ungewöhnlich aufrichtig sind. Wenn sie etwa herausfinden, dass etwa ein Programmierer sehr viele Fehler gemacht hat, werden sie das der betreffenden Person auch sagen. Andere würden das vielleicht nicht so direkt zur Sprache bringen. Es ist wichtig, das als wertvolle Rückmeldung zu akzeptieren und nicht beleidigt zu sein. Darauf versuchen wir sie vorzubereiten.
ORF.at: War es schwierig, Kunden zu finden? Wie waren die Reaktionen auf die Arbeit Ihrer Angestellten?
Sonne: Unsere Idee hat in Dänemark sehr viel mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das hat uns sehr geholfen, mit potenziellen Kunden in Kontakt zu kommen. In Dänemark waren die Unternehmen sehr offen für unsere Idee. Das liegt vielleicht auch daran, dass es im IT-Sektor einen Mangel an Arbeitskräften gibt. Es wird aber auch erwartet, dass unsere Angestellten die von ihnen erwartete Leistung erbringen. Denjenigen, die etwa in Unternehmen für Softwaretests zuständig sind, geht es nicht um soziale Verantwortung. Sie erwarten, dass die Aufgaben erfüllt werden.
ORF.at: Bezahlen Sie Ihren Angestellten marktübliche Gehälter?
Sonne: Wahrscheinlich verdienen Softwaretester bei IBM mehr. Unsere Verträge wurden aber von den Gewerkschaften geprüft. Wir wollen nicht über den Preis konkurrieren, sondern über unsere Fähigkeiten. Was wir tun, ist wertvoll. Allerdings arbeiten unsere Angestellten aufgrund ihrer besonderen Situation nur zwischen 20 und 30 Stunden die Woche. Sie bekommen aber das volle Gehalt. Wir erhalten Unterstützung von den Gemeinden. Wir haben auch höhere Ausbildungs- und Managementkosten.
ORF.at: Sind die besonderen Fähigkeiten ihrer Angestellten ein Wettbewerbsvorteil
Sonne: Wenn es uns gelingt, das richtige Verhältnis zwischen Aufgabe, Können, Motivation und Arbeitsumgebung zu finden, ist das durchaus der Fall.
ORF.at: Ihre Angestellten sind zufrieden?
Sonne: Viele von ihnen haben Freunde in den Unternehmen gefunden, für die sie arbeiten. Die Arbeit ist für ihr Selbstwertgefühl enorm wichtig und sie sind auf ihre Tätigkeiten sehr stolz. Viele von ihnen hatten davor überhaupt keine Arbeitsidentität. Stellen Sie sich vor, was es bedeutet, wenn sie sich bei der Frage "Was arbeitest du eigentlich?" nicht mehr wegdrehen müssen, sondern stattdessen antworten können: "Ich teste Software für Cisco."
ORF.at: Sie wollen Ihrer Idee auch außerhalb von Dänemark zum Durchbruch verhelfen und haben deshalb die Specialist People Foundation gegründet. Wie geht das voran?
Sonne: Die Stiftung ist mittlerweile auch Eigentümer des Unternehmens. Ziel der Specialist People Foundation ist es, weltweit eine Million Jobs für Autisten zu schaffen. Das ist unser großes Ziel. Über die Stiftung stellen wir das Wissen und die Erfahrungen, die wir in Dänemark gesammelt haben, auch in anderen Ländern zur Verfügung. Diese Woche werden wir im schottischen Glasgow die erste internationale Specialisterne-Niederlassung eröffnen. Wenn es dort funktioniert, wollen wir unser Modell auch in anderen Ländern an den Start bringen. Wir arbeiten auch am Aufbau einer Forschungsabteilung, die herausfinden soll, wie sich unsere Erfahrungen aus dem IT-Sektor auf andere Branchen übertragen lassen. Es gibt auch in anderen Branchen ein riesiges Potenzial, etwa in der Pharmabranche oder bei Finanzdienstleistungen. Ich glaube, dass es in jedem Unternehmen zwischen einem und fünf Prozent an Aufgaben gibt, die auf die Fähigkeiten unserer Angestellten zugeschnitten sind. Wir haben im IT-Sektor begonnen, weil das mein Hintergrund war. Der IT-Sektor verhilft uns auch zur finanziellen Unabhängigkeit.
ORF.at: Gibt es auch in Österreich Interesse?
Sonne: Ich habe unser Modell im Juni vor österreichischen Autismus-Organisationen präsentiert und sehe einen großen Bedarf dafür. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Specialisterne-Modell bald auch in Österreich zum Einsatz kommen wird. Wir werden uns bemühen, in Zusammenarbeit mit Organisationen und österreichischen Unternehmen so etwas auf die Beine zu stellen.
ORF.at: Wann wird Ihr Sohn bei Specialisterne beginnen?
Sonne: Er ist jetzt 13. Wenn er erwachsen ist, will er drei Jahre für das Unternehmen arbeiten. Aber dann will er Lokführer werden.
(futurezone/Patrick Dax)