20 Jahre am Ozean der Zeichen
Seit genau 20 Jahren ist die Republik Österreich kein Binnenland mehr. Denn seitdem ist es permanent mit dem Datenozean Internet verbunden. Die Herausforderungen, die das Netz an die Gesellschaft stellt, gehen längst über die reine Infrastrukturpolitik hinaus.
Seit 20 Jahren hängt Österreich permanent am Internet, mit eigener Länder-Domain. Schon dieses Jubiläum ist Teil einer Selbsttäuschung, einer der Grundlagen für die zahlreichen Pannen und Missverständnisse der Netzpolitik. Während die Länder-Domains noch auf nationalstaatliche Konzepte zurückgehen, stellt das Internet gerade diese permanent in Frage und zeigt tagtäglich die engen Grenzen nationalstaatlicher Handlungsspielräume auf.
Nur in Ländern wie China können sich Politiker noch der Illusion hingeben, "das Internet im eigenen Land" einhegen, kontrollieren und beherrschen zu können. Doch die "Great Firewall" ist durchlässig und könnte sich am Ende als ähnlich nützlich erweisen wie ihr Vorläufer aus Stein. Auch die europäischen Pläne für Netzsperren aller Art zeigen eher die Hilflosigkeit und mangelnde Kommunikationsfähigkeit der Akteure auf, als dass sie einen Beitrag zur Lösung der zentralen Frage leisten würden.
Die nämlich lautet: Ist das Internet Teil des öffentlichen Raums oder ein künstliches Paralleluniversum? Auf die Vorstellung des abgeschlossenen Konstrukts mit ganz eigenen Gesetzen hereinzufallen, ist nur allzu einfach. Schließlich gehört diese zum kulturellen Gründungsmythos elektronischer Kommunikationsnetze. Aber das Internet ist keine Shopping-Mall. Es gehört niemandem, keinem Provider, keinem Konzern, keinem Staat. Es gehört uns allen.
Wer noch den direkten Vergleich zwischen proprietären Onlinediensten wie AOL oder CompuServe und dem Internet hat ziehen können, wird sich an ein Gefühl erinnern, das schnell zur befreienden Gewissheit wurde: Der geschlossene Dienst ist wie ein Tümpel, vielleicht etwas wärmer und überschaubarer und von gewohnten Gestalten wimmelnd, aber das Netz der Netze ist das offene Meer, der Ozean, gleichzeitig Bedrohung und Verheißung - das Versprechen von etwas Neuem.
Wie auf den Weltmeeren gibt es im Internet dominante Kräfte. Doch selbst die Googles, Ciscos und Großprovider wissen, dass sie das Netz nie beherrschen werden. Und auch die Landgewinnungsprojekte von Apple, Amazon & Co. erinnern eher an künstliche Sandbänke vor Dubai - in geschmackvoller Form stilisierter Palmen. Dazwischen: abgestandenes Wasser, von allzu bekannten Kreaturen bevölkert.
Doch nur Disney-Länder leben gut davon, dass sich nichts in ihnen ändert. Die Realität, deren Bestandteil und Abstraktion das Internet ist, entwickelt sich weiter, und zwar so schnell, dass jeder Versuch, einen Damm zu bauen oder Menschen den Zugang dazu abzuschneiden, über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt ist und gegen elementare Rechte verstößt. Mag sein, dass die noch zu schaffende nachhaltige Netzpolitik sich am Seerecht orientieren wird, dass jeder seine Dreimeilenzone bekommt, dass hier und dort Handelsrouten gesichert werden. Ein Raum mit viel Freiheit - aber mit klaren Regeln, kodifizierten wie ungeschriebenen.
Vielleicht wäre das die Chance einer noch zu formulierenden echten "Digitalen Agenda" der Europäischen Union, die über die üblichen wirtschaftlichen und infrastrukturpolitischen Aspekte hinausgehen und wenigstens ansatzweise für Europa Grundrechte für die Bürger im Netz definieren und ein Spiel von Checks and Balances etablieren würde. Gerade Letzteres wäre heute wichtig, weil im "Kampf gegen den Terror" in Vergessenheit geraten ist, dass nur das Spiel der Kräfte in der Gewaltenteilung die zarte Oberflächenspannung der Freiheit aufrechterhalten kann. Und auf dieser wollen wir auch in den nächsten 20 Jahren gerne tanzen.
(futurezone/Günter Hack)