© Fotolia/Ilja Mašík, Silhouette einer Frau, die vor dem Computer sitzt.

Andy Tanenbaum und die Zyklen der IT-Branche

"MATRIX"
15.08.2010

Andy Tanenbaum hat nicht nur das Betriebssystem MINIX geschrieben, sondern auch wichtige Lehrbücher der Informatik verfasst. Ein Gespräch über zyklisch wiederkehrende IT-Trends, Mäuse mit Rädern sowie die Gemeinsamkeiten von Großrechnerära und aktuellem Cloud-Computing-Trend.

Am Sonntag in "matrix"

Den Radiobeitrag zu diesem Thema hören Sie am Sonntag, dem 15. August 2010, um 22.30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix".

Der Computerwissenschaftler Tanenbaum, Autor mehrerer wichtiger Lehrbücher, machte sich in den 1980er Jahren durch sein Betriebssystem MINIX einen Namen, das im Kern mit nur 5.000 Zeilen Code auskommt. Um MINIX wurde es mittlerweile still. In Russland, so Tanenbaum, gebe es derzeit wohl die aktivste Community. Er selbst arbeitet an "Selfhealing Systems" ein Forschungsansatz, von dem man sich in Zukunft erwartet, die Programmierung von Softwaresystemen besser in den Griff zu bekommen. Aber das war auch die Idee hinter MINIX, nach wie vor ein gelungenes Beispiel dafür, dass es möglich ist, saubere und verlässliche System zu schreiben.

Von den USA nach Europa

Als Tanenbaum Anfang der 1970er Jahre seine Dissertation an der Universität Berkley schrieb, beschloss er, dass er nicht Physiker, sondern Programmierer werden wollte. Und zwar ausgerechnet in Europa. Denn seine Überlegung damals lautete wie folgt: In den USA hat man als Physiker keine Chance, Computerwissenschaftler zu werden. In Europa würden sie den Unterschied nicht merken. Und er lag damit genau richtig. Tanenbaum: "Ich suchte mir damals in der Bibliothek also die Adressen aller Computerzentren der Welt heraus und schickte ihnen ein Bewerbungsschreiben. Zwei Wochen später hatte ich über 1.000 Jobangebote."

Eigentlich wollte Tanenbaum nach London. Aber die Stadt hatte er sich anders vorgestellt: "Meine Freunde, die aus Europa zurückkamen, erzählten nur von den Schlössern und den großartigen Museen, aber auf der Fahrt von Gatwick ins Zentrum sah ich davon nichts. Nur ganz normale Häuser und Gärten." Anstatt in London zu bleiben, entschloss sich der Student, den Job an der Freien Universität in Amsterdam anzunehmen. Eine Stadt, die er auf einer früheren Europa-Reise kennengelernt hatte, und wo ihn die Menschen am freundlichsten behandelt hatten. Tanenbaum landete damals in einem Europa, wo an den Universitäten nur wenige Menschen überhaupt einen Computer zu Gesicht bekommen haben.

Support in der Warteschlange

"Die Unterschiede waren enorm", so Tanenbaum. "Ich hackte bereits als Student am MIT an einer CDC 6600, die damals die populärste Maschine der Welt war. Sie hatten eine davon auch in Berkeley. Es gab dort einen Helpdesk, an den man sich wenden konnte, wenn man Probleme mit der Maschine hatte. Vor diesem Helpdesk bildete sich immer eine lange Schlange und ich lernte sehr schnell, dass ich meine Wartezeit verkürzen konnte, indem ich die Person vor mir fragte, was ihr Problem sei. In neun von zehn Fällen konnte ich helfen und so die Warteschlange sozusagen von hinten verkürzen. Mein erster Job hier in Amsterdam war, die Leute auf diese CDC 6600 einzuschulen, auf eine Maschine für die ich bereits Experte war. Die hatten zwar den Namen auf Cyber geändert, aber im Wesentlichen war es eine CDC 6600. Ich war also vom ersten Tag an ein Held, weil ich bereits fünf Jahre lang an einem Rechner gearbeitet habe, der hier gerade erst ausgepackt wurde."

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, kann nicht nur eine Karriere, sondern auch die Einführung von neuen Produkten und Services fördern. Tanenbaum gibt dem derzeit von der Industrie forcierten Konzept, Rechenaufgaben an fremde Rechner zu delegieren, also "in der Wolke" erledigen zu lassen, durchaus eine Chance. "Time Sharing" nannte man das in den 1960er Jahren. Es gab damals noch keine Heimgeräte und Geräte für die Hosentasche, sondern nur dumme Terminals, die an einen teuren Großrechner angebunden wurden. Heute gilt dieser Ansatz nicht mehr als Alternative zu teuren Computern, geringem Speicherplatz und zu kleiner Rechenleistung, sondern für die Überforderung so mancher Computerbenutzer.

Untote NetPCs

In den 1990er Jahren gab es NetPCs und WebPCs. Auch damals wurde bereits daran gedacht, dem Nutzer die Freiheiten am PC zu nehmen und ihn durch einfache Terminals zu ersetzen. Aber damals zogen gerade die ersten Rechenmaschinen in den Kinderzimmern ein und der Ausspruch "always on" musste erst erfunden werden.

Computer, simpel wie Fernseher

Die Menschen, so Tanenbaum, wollen eine Maschine, die sie wie ihr Fernsehgerät an die Steckdose anhängen können und die zehn Jahre lang ohne Probleme läuft. Aber so funktionieren Computer nun einmal nicht. Hacker, so Tanenbaum, haben Spaß am Experiment und folgen dem Credo: "Wenn Gott gewollt hätte, dass es verlässliche Systeme gibt, dann hätte er den Reset-Knopf erfunden." Aber Hacker gibt es immer weniger und User immer mehr. Geschäftsmodelle wie Cloud-Computing und Service-Computing könnten daher funktionieren, so Tanenbaum.

In den 1960er Jahren wurden Rechenaufgaben an fremde Rechner delegiert, weil die Rechner teuer und Speicherplatz rar war. Damals nannte man Cloud-Computing eben "Time Sharing". Heute hat jeder Heim-PC ein Vielfaches an Rechenleistung und Speicherplatz, aber die User fühlen sich mit dem Gebotenen zunehmend überfordert. "Viele Menschen verstehen nur ein Bruchteil von dem, was Windows alles kann", fasst Tanenbaum das Dilemma zusammen.

Probleme mit dem Interface

Wer nicht zufällig einen Programmierer in der Verwandtschaft hat, hat ein Problem. Aber nicht nur obskure Fehlermeldungen, Sicherheitsupdates und Spam stellen für so manchen Benutzer eine Herausforderung dar, sondern auch die Handhabung der Maus. "Vor nicht allzu langer Zeit musste ich für eine Kollegin was erledigen", so Tanenbaum. "Ich saß an ihrem Rechner und sah, dass sie eine dieser Computermäuse mit Rad hatte. Also verwendete ich es auch. Sie sah mir zu und sagte: Ah, das Rädchen hat eine Funktion! Ich dachte, das sei nur zu Dekoration."

Wäre da nicht die Frage des Datenschutzes und der Privatsphäre, dann wäre für so manchen das Auslagern von Daten und die Fremdverwaltung der Programme durchaus von Nutzen, meint Tanenbaum und fügt hinzu, dass auch an entsprechend starken Verschlüsselungskonzepten gearbeitet werde, um diese Systeme im Netz abzusichern. Ein zweites Argument, das seiner Meinung nach derzeit der Geschäftsidee Cloud-Computing zugutekommt, sind die Kosten, die bei den Unternehmen durch die Computerisierung angefallen sind.

Hohe Kosten für Computer

"Ich habe irgendwo gelesen, dass die durchschnittlichen Kosten in den Unternehmen für einen Rechner bei 50.000 US-Dollar pro Jahr liegen", so Tanenbaum. "Mag sein, dass die Zahlen nicht ganz stimmen, aber es ging ungefähr so: 1.000 kostet die Hardware. 1.000 fallen für die Software an und 30.000 für die Wartung. Wenn sich diese 30.000 jetzt mit Hilfe von Cloud-Computing auf 1.000 Dollar senken ließen, dann werden viele diese Möglichkeit auch ergreifen.

Ob und wie viel sich ein Unternehmen mit Cloud-Computing an Kosten sparen kann, bleibt abzuwarten. Die Anbieter derartiger Services argumentieren heute jedenfalls auch damit, dass sich so auch der Energieverbrauch in den Unternehmen drosseln ließe. Was bei aller Euphorie fehlt, sind Angaben dazu, welche Kosten entstehen, wenn Daten verloren gehen, gestohlen werden und Serverfarmen nicht erreichbar sind.

Arbeitsteilung und Outsourcing

Das glaubt auch Tanenbaum: "Es gibt noch einiges zu klären. Ich erinnere mich, als ich für die Bell Labs arbeitete, fand ich es seltsam, dass wenn ein PDP-11-Rechner seinen Geist aufgab, jemand von der Firma DEC gerufen werden musste, um ihn zu reparieren. Ich wunderte mich und fragte meine Kollegen. Hier sitzen lauter Computerexperten, können wir den Rechner nicht selbst reparieren? Wäre das nicht billiger? Und man antwortete mir: Wir können alles besser als irgendjemand anderer, aber wir können nicht alles machen. Reparieren gehört nicht zu unserem Kerngeschäft und daher ist es billiger und einfacher, für uns jemanden zu haben, der das übernimmt. Und so kann ich mir durchaus vorstellen, dass IT-Abteilungen manche Dinge an die Wolke und andere Firmen auslagern."

(matrix/Mariann Unterluggauer)